Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 17:Tödliche Schüsse bei der Vernehmung

Vor gut 30 Jahren ereignet sich in Fürstenfeldbruck ein Polizistenmord, der bis heute nachwirkt. Es fängt harmlos an. Dann zieht der Täter plötzlich eine Waffe

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Für die Polizeikollegen wie den späteren Althegnenberger Bürgermeister Reiner Dunkel ist es "der schwärzeste Tag in der ganzen Karriere". Auch die Bevölkerung im Kreis Fürstenfeldbruck ist schockiert, als vor gut 30 Jahren, am 26. März 1989, ein Mann in der Polizeiinspektion Fürstenfeldbruck einen Beamten erschießt und einen weiteren durch einen Schuss verletzt.

Es beginnt am frühen Morgen völlig harmlos: Auf Höhe der Kreisstadt kontrolliert der 27 Jahre alte Grafrather Polizist Erich Reicherzer gegen ein Uhr gemeinsam mit einem Kollegen einen Kleintransporter. Der offensichtlich betrunkene Fahrer wird zur Inspektion gebracht, die damals noch neben der Polizeihochschule an der Fürstenfelder Straße liegt. Ein Arzt nimmt Blut ab, anschließend nimmt Reicherzer die Personalien des 36 Jahre alten Mannes auf. Es stellt sich heraus, dass der verheiratete Prospektverteiler in Dachau gemeldet und wegen eines Ladendiebstahls bereits zur Fahndung ausgeschrieben ist. Während der Beamte Formulare ausfüllt, zieht der 36-Jährige plötzlich eine Pistole und feuert auf Reicherzer. Der wird in Kopf und Bauch getroffen, ist auf der Stelle tot. Der 27 Jahre alte Kollege Reicherzers stürmt in den Vernehmungsraum, wird bei dem folgenden Schusswechsel am Unterarm getroffen. Dem Täter gelingt zunächst die Flucht.

Obwohl sofort Ausfallstraßen und Bahnhöfe gesperrt werden, schafft es der Täter zum Münchner Hauptbahnhof. Völlig unbemerkt steigt er um fünf Uhr in einen Zug nach Freilassing ein. Vom Reinigungspersonal wird er in Freilassing schlafend aufgefunden. Bei der Durchsuchung habe man eine Pistole, Kaliber 7,65, gefunden, heißt es später im Polizeibericht.

Es gibt eine andere Version der Festnahme. Sie stammt von Reiner Dunkel. Der erinnert sich, dass die Kollegen, die den schlafenden Schwarzfahrer damals bei Freilassing mit auf ihre Dienststelle nahmen, zunächst gar nicht gewusst hätten, um wen es sich da handle - und auch nicht, dass dieser eine geladene Pistole dabei hatte. Der 36-Jährige sei aber offenbar selbst so geschockt und durcheinander gewesen, dass er keinen Widerstand mehr leistete.

Dunkel, heute 62 Jahre alt und seit zwei Jahren im Ruhestand, erinnert sich an diese furchtbare Zeit noch sehr gut: Am Tattag, dem Ostersonntag, fährt er um kurz vor sieben Uhr gemeinsam mit einem Kollegen zum Dienst und wundert sich, dass über der Stadt ein Polizeihubschrauber kreist und überall Bereitschaftspolizisten stehen. "Ja, spinnen die", denkt er zunächst. "Machen die ausgerechnet am Ostersonntag eine Übung?" Dann kommt die Hiobsbotschaft vom Dienstgruppenleiter: "Den Reicherzer ham's erschoss'n." Für Dunkel bleibt die Welt stehen. Den Kollegen kennt er gut, hat mit ihm oft Fußball gespielt. Der wollte demnächst heiraten und nach Schöngeising ziehen. Es ist ein Schock. Noch heute kann er nicht fassen, dass der tote Kollege viele Stunden lang in der großen Blutlache liegen gelassen wurde. Und die Kollegen der Nachtschicht werden nicht abgelöst - heute sei so etwas undenkbar. Aber damals gibt es noch keine psychologische Betreuung. Dunkel schüttelt den Kopf, wenn er daran denkt, wie der damalige Innenminister Edmund Stoiber versucht habe, sich zu profilieren. "Das alles hat mich geprägt", sagt Dunkel. "Das zeichnet einen fürs Leben."

Könnte so etwas heute noch passieren? Leider ja, warnt Dunkel. Die Kontrolle damals sei doch eine ganz normale Kontrolle gewesen, Routine. Und gerade Routine könne gefährlich werden. Michael Fischer von der Fürstenfeldbrucker Polizeiinspektion stimmt zu. Es gebe diesen Spagat "zwischen Bürgerfreundlichkeit und Eigensicherung". Völlige Sicherheit gibt es für Polizisten nicht. Das zeigen solche Todesfälle im Dienst, wie es sie in den zurückliegenden Jahren auch in Erding und Augsburg gegeben hat.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019
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