Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Start-up, Folge 8:Die Pflanze der vielen Möglichkeiten

Lesezeit: 4 min

Seit vier Jahren baut der Purker Landwirt Franz Rottenkolber Nutzhanf an. Daraus entstehen Öl, Nüsse, Nudeln, Käse, Mehl, Seife und sogar Schokolade. Nach und nach entwickelt er dabei ein Netzwerk für Produktion und Vertrieb

Von Ingrid Hügenell, Moorenweis

Als sich die Milcherzeugung wegen des schlechten Preises vor sieben Jahren partout nicht mehr lohnte, hat Franz Rottenkolber aus Purk die Kühe weggegeben und sich auf andere landwirtschaftliche Produkte verlegt. Auf ganz andere. Er baut seit vier Jahren Hanf an, als einziger Landwirt in den Landkreisen Fürstenfeldbruck, Dachau und Landsberg am Lech. Seither ist er auch damit beschäftigt, sich ein Netzwerk aufzubauen von Leuten, die aus dem Hanf die unterschiedlichsten Produkte machen und diese auch wieder verkaufen. Denn die Hanfpflanze kann man sehr vielfältig nutzen.

Über tausende Jahre war sie ein extrem wichtiger Rohstoff, etwa in der Papierherstellung, in der Ausrüstung von Segelschiffen und für Textilien. Dann ging die Segelschifffahrt stark zurück, die Baumwolle kam auf, und Papier wird nun überwiegend aus Holz hergestellt. Im 20. Jahrhundert wurde Cannabis wegen der berauschenden Wirkung des Tetrahydrocannabiol, kurz THC, in vielen Ländern illegal, und auch der Anbau von Nutzhanf ohne Rauschwirkung war in Deutschland von 1982 und 1995 verboten. So gab es kaum noch Strukturen, als der Anbau wieder erlaubt wurde.

Rottenkolber musste als Start-up ganz von vorne anfangen, sich Veredelungsbetriebe und Vertriebswege suchen. Doch das kommt dem 49-Jährigen, der oft vor Ideen sprudelt, auch entgegen. Er fand eine Ölmühle, die ihm Hanföl aus den Samen presst. Aus dem Rest wird eiweißreiches Hanfmehl, das man zum Backen oder für Nudeln verwenden kann. Die Hanfnüsse kann man angeröstet an den Salat geben, im ganzen oder gequetscht in Brotteig oder ins Müsli. Es gibt auch Käse mit Hanfnüssen und Hanfblättern. Den stellt ein Käser auf dem Robeller-Hof in Mammendorf her. An dem Käse tüfteln Rottenkolber und seine Frau Elisabeth, 51, noch herum, um die richtige Menge Blätter und Nüsse zu finden, die hineinkommen sollen. Eine Herausforderung ist es, die richtige Packungsgröße zu bestimmen. Die Landwirtskollegen vertreiben seine Produkte in ihren Hofläden und auf Märkten, außerdem kann man sie im Internet bestellen. Eine eigene Homepage allerdings "braucht noch ein bisschen", sagt Rottenkolber.

Sogar für das Hanfstroh fand sich eine Verwendung. Ein Gemüseanbauer, der in Permakultur arbeitet, sei davon ganz begeistert gewesen, sagt Rottenkolber. Er verwende es zum Mulchen. Von der Qualität seiner Hanfprodukte ist der Landwirt überzeugt, ebenso von ihrer Gesundheitswirkung. Auch im menschlichen Körper gibt es ein Cannabinoid-System. Cannabinoide lindern Schmerzen. Mit der Nahrung nähmen die meisten Menschen zu wenig davon auf, sagt Rottenkolber. In Hanfprodukten sind sie enthalten. Auch ohne THC gelte: "Hanf hebt immer die Stimmung."

Der Hanf, den Rottenkolber anbaut, darf höchstens 0,2 Prozent des rauscherzeugenden THC enthalten. Der Anbau wird streng kontrolliert. Rottenkolber muss die Fläche melden, auf der er säen will. Er darf nur zugelassene Sorten anbauen, muss den Zeitpunkt der Aussaat und den Beginn der Blüte an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit Sitz in Bonn melden. Von dort kommen Prüfer, die den THC-Gehalt der Blüten testen, und Rottenkolber braucht eine Freigabe für die Ernte. Die ist beim Faserhanf gar nicht so einfach, die Pflanzen werden drei bis fünf Meter hoch. Eine passende Maschine gibt es dafür nicht. "Mit den 1,2 Hektar werden wir schon fertig werden", sagt Rottenkolber zuversichtlich. Solche Probleme löst er, wenn sie auftauchen.

Den niedrigeren Körnerhanf, der auf weiteren 1,2 Hektar wächst, kann man mit dem Mähdrescher ernten. Wie er den Faserhanf heuer verwertet, weiß er noch nicht. Für Kleidung können die Fasern nicht verwendet werden, sie sind zu grob. Will man feine Fasern, sät man die Pflanzen dicht aus, sodass sie eng nebeneinander stehen und dünne Stengel ausbilden. Es gibt aber ohnehin kaum Manufakturen, die sie verwerten. Eigentlich wollte Rottenkolber den Faserhanf für die Gewinnung von Cannabidiol, kurz CBD, verkaufen. Im Moment ist aber nicht klar, ob das CBD weiter als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt werden darf. Es wirkt schmerzlindernd und entzündungshemmend, macht aber nicht high. Rottenkolber findet ohnehin, dass man Cannabis wie in Kanada legalisieren sollte. Dann könnte er etwa für medizinische Zwecke mehr Hanf anbauen. Momentan sind die Sicherheitsvorschriften für den Anbau von Hanf mit hohem THC-Gehalt so hoch, dass er sie nicht erfüllen könnte. Doch bis zur Legalisierung fällt dem Bauern immer wieder etwas ein, was man mit dem Hanf anstellen könnte. Bier brauen vielleicht, oder Schokolade und Pralinen herstellen. Für die Schokolade arbeitet er schon mit der Landsberger Manufaktur Hollinger zusammen, eine erste Charge ist in Arbeit. Eine andere Manufaktur stellt Hautöl und Seife aus Hanf her.

So wächst nach und nach das Netzwerk. "Wenn man offen ist, ergibt sich was", sagt Rottenkolber. "Man lernt viele interessante Leute kennen, die auf derselben Wellenlänge sind." Darunter sind Menschen, mit denen Rottenkolber früher eher nichts zu tun gehabt hätte. Wie der junge Mann mit der Pluderhose und den langen Haaren, den er neulich von einer Tagung mit zum nächsten Bahnhof genommen hat. Auch einige Veganer haben die Rottenkolbers kennengelernt, weshalb sie jetzt überlegen, wie sie ihre Nudeln aus dem Mehl alter Getreidesorten, Hanfmehl und Hanfblättern auch ohne Ei herstellen können.

"Solange wir die Viehhaltung hatten, war ich immer im Hamsterrad", sagt der Landwirt. Er sei eigentlich froh, dass er da ausgestiegen ist. Der große Hof im Moorenweiser Ortsteil Purk ist seit dem 19. Jahrhundert in der Familie, vor 15 Jahren haben Franz und Elisabeth Rottenkolber ihn übernommen. Er verfügt über 40 Hektar Grund und ist ein Zuerwerbsbetrieb. Denn von der Landwirtschaft alleine kann die Familie Rottenkolber mit vier teils erwachsenen Kindern nicht leben, auch nicht von dem, was die Hanfprodukte einbringen. Er betreibt daher zusätzlich einen Futtermittelhandel und arbeitet zuweilen als Betriebshelfer bei anderen Landwirten. Elisabeth Rottenkolber arbeitet im Kindergarten und der Kinderkrippe. Gerade stellt er auf ökologische Landwirtschaft um. Größer werden will Rottenkolber nicht: "Ich möchte auf meiner Fläche bleiben und Kulturen anbauen für hochwertige Lebensmittel." Neben dem Hanf sind das die alten Getreidesorten Emmer und Einkorn. Seit Dezember 2018 hält er auch wieder Tiere, natürlich eine alte Haustierrasse: Fünf Pinzgauer Rinder in Mutterkuhhaltung.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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