SZ-Serie: Sagen und Mythen, Teil 15:Hexentanz am Dreiherrenstein

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Fast in Vergessenheit geraten ist ein geheimnisvoller Ort zwischen Türkenfeld und Geltendorf, an dem sich sogar der Geist des bayerischen Hiasls herumtreiben soll. Auch seine Funktion als Grenzzeichen hat er verloren

Von Katharina Knaut, Türkenfeld

"Die Hexen zu dem Brocken ziehn, die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. Dort sammelt sich der große Hauf, Herr Urian sitzt oben auf." Mit diesem Gesang leiten die Hexen in Goethes "Faust" die Walpurgisnacht ein. Von überall her kommen sie auf Besen und Öfen geritten, um die ganze Nacht zu feiern und zu tanzen. Das solche ausschweifende Gelage, wie Goethe sie einst beschrieb, sich auch im Wald zwischen Türkenfeld und Geltendorf zugetragen haben sollen, ist nun, im 21. Jahrhundert, kaum mehr vorstellbar. Eine gewisse Mystik kann man dem Hammerwald, wie er in alten Flurkarten bezeichnet wird, jedoch nicht absprechen. Nebel sammelt sich in den kahlen Baumkronen, der Boden ist weich und sumpfig und außer vereinzeltem Vogelgezwitscher rührt sich nichts. Hexenzeit.

Mitten im Wald liegt der Dreiherrenstein, der "Brocken", an dem sich die Hexen angeblich jeden Samstag nach dem letzten Kirchengeläut versammeln. Ohne eine genaue Beschreibung ist dieser Platz kaum zu finden. Den Beginn des Weges bilden zwei Fichten, deren Stämme jeweils mit weißen Dreiecken markiert sind. Sie stehen am Rand des vierten Waldweges, der links von der Straße zwischen Türkenfeld Richtung Geltendorf abzweigt. Der Pfad, dessen Eingang die Fichten kennzeichnen, ist zerfurcht, uneben und aufgeweicht nach der Schneeschmelze. Erst wenn man an der folgenden Gabelung nach rechts abzweigt wird es wegsamer. Beinahe wirkt es wie eine Allee.

Die Hexen am Dreiherrenstein, wie sie Illustrator Wolfgang Huss Steinfurt sieht. (Foto: privat)

Die Bäume ragen hoch zu beiden Seiten auf, der Boden besteht aus Moos, bedeckt mit einem Teppich aus leuchtend braunroter Blätter. Schließlich kommt man erneut an eine Gabelung, an deren Rand ein zersplitterter, etwa zwei Meter hoher Baumstumpf steht. Der Weg, der dahinter nach rechts abzweigt, ist kaum mehr als ein Pfad, beinahe zugewachsen mit Büschen und Sträuchern. Dieser Weg öffnet sich schließlich zu einer kleinen runden Lichtung. In der Mitte ragt der Dreiherrenstein aus der Erde. Er ist rund 60 Zentimeter hoch und dreiseitig, auf jeder Fläche ein verwittertes Wappen. Wischt man mit einem Tuch darüber, erkennt man eine Zahl: 1692. In dieser Zeit wurde der Stein aus Ruhpoldinger Marmor aufgestellt. Die Verzierungen sind heute sehr verwittert, bei genauer Betrachtung erkennt sind jedoch noch die Wappen zu erkennen. Auf der Südseite prangt das Wappen mit dem Rautenmuster und den Initialen "M.E.C.B." für Max Emanuel Churfürst von Bayern. Daneben auf der Seite, die nach Nordwesten weist, ist ein Schild mit einem Kreuz eingraviert, darüber stehen die Buchstaben "S. I." für "Societas Iesu", dem Landsberger Jesuitenkolleg. Die letzte Fläche zeigt Richtung Nordosten, darauf findet sich ein Wappen mit gekreuzten Stäben, darin die Buchstaben "C. B. B." für "Conventus Benedictum Buranum", dem damaligen Namen für das Kloster Benediktbeuern. Der Stein diente als Grenzmarkierung, an der die Ländereien des Kurfürsten, des Kollegs und des Klosters aufeinandertrafen.

Für die Zeit ein sehr aufwendiger Stein, meint Toni Drexler, Kreisheimatpfleger für Fürstenfeldbruck. "Normalerweise ragen Grenzsteine kaum über den Boden. Nur die, die es sich leisten konnten, haben markantere gebaut." Auf diese Weise konnten solche Steine weniger leicht versetzt werden. Grenzsteine waren sehr wichtig zur Eigentümerbeschreibung, erklärt Drexler. Sie bestimmten, wo ein Besitztum endete und ein anderes begann. Bewegte man den Stein, verschob man die Grenzen, meist so, dass man sich den Grund seines Nachbarn aneignete. "Das stand damals unter schweren Strafen." Es sei durchaus möglich, dass auf diese Weise die Legenden von den Hexen entstanden. "Die Strafe schloss auch die ewige Verdammnis mit ein: Versetzt du den Stein, holt dich der Teufel." Die Angst vor den Hexen habe die Leute von dem Stein ferngehalten. "In den heutigen Tagen ist er aber vor allem ein markantes, altes Geschichtsdenkmal."

Der versteckt im Wald liegende Dreiherrenstein, den auf jeder Fläche ein verwittertes Wappen ziert. (Foto: Katharina Knaut)

Die Sage um die Hexen ist aber nicht der einzige Mythos, der sich um den Stein rankt. Auch der berüchtigte Räuber Matthias Klostermayr, der bayerische Hiasl, soll am Dreiherrenstein sein Unwesen treiben. "An Allerheiligen trifft er sich dort mit seinen Spießgesellen, so heißt es", erklärt Heinrich Staffler, ehemaliger Lehrer für Heimat- und Sachkunde an der Türkenfelder Grundschule. Ebenso wie ein Schimmel ohne Kopf dort bereits gesehen worden sein soll. "In abgelegene Orte mit Zeichen wurde alles mögliche hineininterpretiert", meint Drexler. "Vor allem in voraufklärerischer Zeit." Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden solche Grenzorte auch als Opferstätte benutzt, mein Staffler. "In der Nähe des Dreiherrensteins fand man auch Skelettteile, die damit in Verbindung stehen könnten". Auf jeden Fall sei es ein sehr geheimnisvoller Ort.

SZ Grafik (Foto: N/A)

Tatsächlich kann die kleine Lichtung einer gewissen Atmosphäre nicht entbehren. Der verwitterte Stein mit seinen gravierten Symbolen thront wie ein Mahnmal auf seinem Sockel. Kein Strauch wächst in seiner Nähe, beinahe so, als würden die Pflanzen einen ehrfurchtsvollen Abstand wahren. Nur die nahe Straße und das Geräusch der vorbeifahrenden Autos stört die Atmosphäre. Auch ist die Lichtung ein wenig zu klein für wild tanzende Hexen oder eine feiernde Räuberbande. Aber es wirkt wie ein Ort, an dem die Zeit die stillsteht.

Nicht viele Menschen kommen zum Dreiherrenstein. Staffler bedauert das sehr. "Es ist ein schöner Ort." Er ist oft mit einer seiner Klassen zu der kleinen Lichtung gewandert. "Das habe ich immer so geheimnisvoll wie möglich gemacht. Wir sind nie über die Straße gegangen, sondern über die Waldwege. Am Stein habe ich ihnen die Geschichten erzählt und die Kinder haben dann nach Spuren gesucht." Auch Petra Brill, ebenfalls eine ehemalige Lehrerin an der Türkenfelder Grundschule, war einige Male mit einer Klasse dort. Sonst kenne sie jedoch niemanden, der dorthin gehe. Es sei kein bekanntes Denkmal und auch nicht leicht zu finden, meint sie. Nach der Gebietsreform 1972 gehöre der Stein auch nicht mehr zu Türkenfeld, sondern zu Geltendorf.

Zur Feier des 1250-jährigen Bestehens von Türkenfeld im Jahr 1999 wurde der Stein thematisiert. Zu diesem Ereignis fand ein großer Festumzug statt, bei dem drei Männer mitmarschierten, die sich als die drei ehemaligen "Herren" verkleidet hatten. "Sie führten eine Nachbildung des Steins mit sich", erzählt Staffler. Der pensionierte Lehrer wohnt mittlerweile in München, dennoch besucht er den Stein ab und zu. "Es ist wirklich ein schöner Ort und er erinnert mich an meine Schulbesuche. Ein Ortschronist hat ihm das erste Mal von dem Stein erzählt. "Er wollte, dass noch andere von ihm wissen, damit er nicht ganz in Vergessenheit gerät."

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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