Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie, Folge 8:Neues Selbstbewusstsein

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Vor den Kommunalwahlen wähnen sich die Grünen im Hoch. Sie treten in 16 Städten und Gemeinden mit einer eigenen Liste an. Die Ursache für ihren Aufschwung sehen sie in der Klimadebatte und den Gefahren eines Rechtsrucks

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Grünen sind bundesweit im Aufwind und davon profitieren auch die lokalen Verbände. Im Landkreis verzeichnet die Partei gleich zwei Rekorde. In nur zwei Jahren sind etwa hundert Menschen den Grünen beigetreten, die Gesamtzahl der Grünen-Mitglieder liegt bei 330, bislang der Höchststand. Und bei den Kommunalwahlen treten Kandidaten mit einer grünen Liste in insgesamt 16 Kommunen an, sechs mehr als noch 2014. Als Ursachen für diesen Boom sehen Vertreterinnen der Partei die Klimadebatte und den Rechtsruck. In beiden Fällen würden die Grünen von vielen Bürgern als die Kraft gesehen, die etwas bewegen könnte.

Den Grünen kommt zugute, dass Klimawandel und Artensterben in den Fokus gerückt sind, dank einer neuen Graswurzelbewegung, den Protesten gegen Braunkohleabbau und Boykottaktionen der Schüler von Fridays for Future, aber auch der Schlagzeilen über das Insektensterben oder riesige Brände in Portugal oder Australien. Die Folgen waren im Sommer auch hierzulande sichtbar, wenn das Land austrocknet und braun wird.

Eine "große Sehnsucht nach neuen Antworten für das 21. Jahrhundert" macht der Stadt-, Kreis- und Bezirksrat Jan Halbauer als Ursache für den Aufschwung aus. Die Menschen würden spüren, dass große Aufgaben anstehen, und nach "positiven Antworten für die Zukunft" suchen. Das fossile Zeitalter liege eigentlich bereits hinter uns, aber die Bundesregierung tue zu wenig und im Landkreis habe man das Ziel der Energiewende, einer kompletten Versorgung mit erneuerbare Energien bis 2030, ebenfalls aufgegeben, kritisiert Halbauer, der für die Grünen als Landrat kandidiert. Darum würden viele auf die Grünen als Antreiber und "Motor" setzen.

Als zweiten Faktor nennt Halbauer das Erstarken rechter Tendenzen. "Das hat viele wachgerüttelt. Sie wollen sich für Demokratie, für Weltoffenheit engagieren." Das "Nie wieder" zum Faschismus würde in der "natürlichen DNA der Grünen" liegen und viele Bürger würden der Partei als "Antipode der AfD" großes Vertrauen schenken, sagt Halbauer. Für die Grünen seien Grundwerte nicht verhandelbar. Dass die Rüstungsexporte angestiegen sind damals zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, das sagt er freilich nicht.

Vor allem Menschen mit kirchlichem Hintergrund würden zu den Grünen stoßen, außerdem viele Aktivisten aus Asylhelferkreisen, berichtet Lena Satzger, die Kreisvorsitzende. Ein Beispiel sei Gina Merkl, die 2015 mit damals 16 Jahren beigetreten sei. Sie war früher mal Ministrantin, wollte sich politisch engagieren und war auf der Suche. Wegen des Klimawandels und der Asyldebatte ist sie damals bei den Grünen gelandet, die Linkspartei erschien ihr "zu aggressiv" im Auftritt.

Die neuen Mitglieder sind zu 40 Prozent Frauen, was dem bisherigen Anteil im Kreisverband entspricht, sagt Satzger. Ungewöhnlich ist, dass das Gros der neuen Aktivisten der Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren angehört, die im politischen Betrieb sonst rar sind: Das sind Menschen, die voll im Berufsleben stehen und oft noch kleine Kinder haben. Dagegen hat die Grüne Jugend trotz Fridays for Future von dem Boom nicht so stark profitiert. Der Jugendverband wächst langsam und zählt aktuell 64 Personen. Eine Massenpartei sind die Grünen jedenfalls noch lange nicht, die Mitgliederzahl verweist eher auf den Typus der traditionellen liberalen Honoratiorenpartei. Zum Vergleich: Die CSU hatte schon im Herbst 1946, ein Jahr nach ihrer Gründung, etwa 340 Mitglieder, heute sind es knapp 2000 im Landkreis. Wer bei den Grünen eintritt, kann schnell Karriere machen. Seit 2018 sitzt Merkl im Bezirkstag. Sie ist Sprecherin der Grünen Jugend und kandidiert auf aussichtsreichen Plätzen für den Kreistag und den Fürstenfeldbrucker Stadtrat.

Seit der Landtagswahl im Herbst 2018, also vor Fridays for Future, schlägt sich der Boom in Wählerstimmen nieder. Bei der Bundestagswahl ein Jahr zuvor erzielten die Grünen im Landkreis um die zwölf Prozent, das war wenig spektakulär, sondern eine Größenordnung, in der sie seit Jahrzehnten verharrt hatten. Bei der Landtagswahl konnten die Grünen ihren Anteil in beiden Wahlbezirken auf knapp ein Viertel mehr als verdoppeln und die SPD weit hinter sich lassen. Im Mai 2019 bei der Europawahl heimsten die Grünen mehr als 22 Prozent ein - verglichen mit 14,5 Prozent 2014 ein großer Sprung.

Jedenfalls sind die Grünen optimistisch in Bezug auf die bevorstehenden Kommunalwahlen. Deren Besonderheit besteht in einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung und einem ausgeprägteren Persönlichkeitsfaktor. Bei ihrer allerersten Kandidatur für den Kreistag 1984 schafften die Grünen sechs Prozent und schraubten sich in der Folgezeit deutlich in den zweistelligen Bereich. Vor sechs Jahren erzielten sie 14,3 Prozent, allerdings bei einer Wahlbeteiligung von nur 53 Prozent.

Im Vorfeld hat die Partei ihre organisatorische Basis verstärkt. Der Ortsverband Nordwest, der etwa der Verwaltungsgemeinschaft Mammendorf entspricht, wurde 2017 reaktiviert und hat nun Listen in Althegnenberg und Mammendorf aufgestellt. In Türkenfeld gründeten die Grünen im Oktober 2019 einen Ortsverband und stellten im Anschluss eine Kandidatenliste auf, angeführt von Sabeeka Gangjee-Well, die sechs Jahre Erfahrung im Gemeinderat gesammelt hat, als Vertreterin der unabhängigen Dorfgemeinschaft.

Premiere können die Grünen mit einer Kandidatur auch in Emmering feiern. Ob die Mitglieder sich als eigener Ortsverband von den Bruckern trennen, ist laut Halbauer noch offen. "Aktuell verstehen wir uns alle super und sehen keine Notwendigkeit, die Baustelle vor der Kommunalwahl aufzumachen", versichert er. Auch in Schöngeising und Alling treten die Grünen erstmals an, ohne dass dort ein Ortsverband existiert. In acht Kommunen haben die Grünen einen Bürgermeisterkandidaten nominiert. Insgesamt hat die Partei einige weißen Flecken im westlichen, ländlichen Raum geschlossen. Im verstädterten Osten war die Partei schon lange verankert, in ihrer Hochburg Gröbenzell längst zweitstärkste Kraft vor der SPD.

Die verschiedenen Wahlen sind bedingt vergleichbar, schon weil die Beteiligung schwankt, aber es scheint, als habe der Genosse Trend das Parteibuch gewechselt. Der Aufstieg der Grünen war von einem drastischen Schwund der SPD begleitet, der es nicht gelang, sich die "Neue Mitte" einzuverleiben, jene urbane, akademische Mittelschicht, die Gerhard Schröder einst als Klientel anvisierte. Die SPD sei für sie nicht in Frage gekommen, "weil nicht klar ist, wofür die stehen", sagt Gina Merkl.

Begünstigen dürfte den Grünen-Hype, dass die Jamaika-Koalition nicht zustande kam. Sonst müsste die Ökopartei jetzt womöglich Klimapaketchen, den Ausstieg aus der Kohle in Zeitlupe und Milliarden an die Konzerne für abgeschriebene Anlagen rechtfertigen. "Keine Kohle von Beust" lautete einst der Wahlkampfslogan der Hamburger Grünen, die hinterher mit dem CDU-Politiker Ole von Beust eine schwarz-grüne Koalition eingingen und das neue Kohlekraftwerk Moorburg akzeptierten. "Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache, dass man in der Regierung nicht jede Erwartung erfüllen kann. Eine Koalition ist ja keine Liebesheirat, sondern eine Zweckgemeinschaft", meint Halbauer dazu. Er räumt aber ein, dass die Grünen von der Oppositionsrolle profitieren, insofern, als sie ihr Angebot "offensiv kommunizieren" können.

Für wichtiger hält Halbauer jedoch, dass die Grünen klare Argumente für eine "ökologische Transformation" hätten. "Die Zukunftstechnologien stellen Chinesen, Amerikaner, Koreaner derzeit her, und wenn wir da Schritt halten, Exportnation bleiben, Jobs erhalten und ausbauen wollen, dann müssen wir jetzt investieren, sofort durch Subventionen und kluge Gesetzgebung lenken und den Rahmen für die Unternehmen setzen", sagt er. Das sei Hauptaufgabe der Politik, und die Grünen hätten da ganz konkrete Zielvorstellungen. Die Bürger würden das honorieren.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2020
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