SZ-Serie "Älter werden - alt sein" (Folge 13):Opa will noch fahren

Zwang zum Gesundheits-TÜV für Autofahrer?

Entscheidend für die unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr seien nicht das Lebensalter oder ein Testergebnis, heißt es vom ADAC, sondern der Gesundheitszustand. Deshalb ist man dort gegen verpflichtende Untersuchungen der Fahrtauglichkeit.

(Foto: dpa)

Immer mehr ältere Menschen sind mit ihren Autos auf den Straßen unterwegs. Sie gelten als besonnene und erfahrene Autolenker, sie bauen die harmloseren Unfälle. Dennoch taucht die Frage auf: Sollen sie zu regelmäßigen Gesundheitstests verpflichtet werden? Oder gar ihren Führerschein abgeben?

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Darf Opa eigentlich noch Autofahren? Ab wann ist man zu alt dafür, am Straßenverkehr teilzunehmen? Oder kann die jahrelange Erfahrung mögliche altersbedingte Defizite aufwiegen? Senioren am Steuer rufen zwiespältige Gefühle hervor: Da ist der Opa in seinem Auto, der eine Kolonne hinter sich herzieht, weil er so langsam fährt. Oder sich unsicher einen Parkplatz sucht. Doch ist der Verzicht auf das Auto tatsächlich eine Option, wo es älteren Menschen doch Selbständigkeit gestattet? Ein schwieriges Kapitel, das freilich immer mehr zum Thema werden wird, je mehr ältere Menschen es gibt. Dass deren Zahl aufgrund der demografischen Entwicklung weiter zunehmen wird, ist zumindest sicher.

In den Polizeiberichten tauchen sie täglich auf: Senioren, die Verkehrsunfälle verursachen. Dabei ist jener der 72-jährigen Münchnerin, die in Gröbenzell beim Abbiegen ein anderes Auto übersehen hat, noch ähnlich glimpflich ausgegangen wie ein zwei Jahre zurück liegender Vorfall in einer Tiefgarage in den Germeringer Einkaufs-Passagen, als ein 79-jähriger Rentner einparken wollte und dabei sechs Autos rammte. Im Vorjahr konnte ein 67-Jähriger mit dem Automatikgetriebe seines neuen Autos noch nicht richtig umgehen und lenkte das Fahrzeug in Emmering in die Scheibe einer Pizzeria. Tödlich verunglückte 2013 ein 83-jähriger Fußgänger, als ihn eine 88-jährige Autofahrerin in Fürstenfeldbruck beim Einbiegen übersah. Im gleichen Jahr hatte ein 82-Jähriger in Fürstenfeldbruck nicht erkannt, dass mehrere Fahrzeuge vor ihm anhielten, um einer Gruppe Kinder das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Der Rentner überholte und erfasste zwei Siebenjährige, die lebensgefährlich verletzt wurden. Im Frühjahr starb die 82 Jahre alte Ehefrau eines 85-jährigen Autofahrers, als dieser in einer Tiefgarage rückwärts aus einer Parklücke fuhr und seine Frau dabei übersah.

Vor allem in Gröbenzell, der Gemeinde mit der zweitältesten Bevölkerung im Landkreis, komme es auf den Haupteinkaufsstraßen immer wieder zu Unfällen, an denen Senioren beteiligt sind, bestätigt Klaus Gründler, stellvertretender Leiter der für Gröbenzell und Puchheim zuständigen Polizeiinspektion Gröbenzell. Dabei seien auch viele Senioren auf dem Fahrrad betroffen. Die Polizisten aber machen auch die Erfahrung, dass "es schwierig ist, Leuten etwas zu sagen, die seit vielen Jahrzehnten Auto fahren", wie Gründler sagt. Er könne verstehen, dass es den Leuten wichtig ist, "bis zum Schluss mobil zu sein und ein selbstbestimmtes Leben zu führen". Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) aus dem Jahr 2012 hatten 93 Prozent der Autofahrer der Generation 65 plus es sehr wichtig oder wichtig genannt, dass sie sich selbständig mit dem Auto fortbewegen können. Das Autofahren ermögliche ihnen so soziale Teilhabe und sichere ihnen Lebensqualität.

Auch Michael Fischer, stellvertretender Leiter der Inspektion in Fürstenfeldbruck, bekennt, "dass wir von der Polizei das auch von zwei Seiten sehen". Zwar nähmen gewisse Fähigkeiten im Alter ab, aber ältere Menschen würden in der Regel defensiver und vorsichtiger fahren und hätten jede Menge Routine am Steuer, sagt Fischer. Auch seien von ihnen verschuldete Unfälle in der Mehrzahl harmloserer Natur: Parkrempler beispielsweise oder die Vorfahrt übersehen.

Deutschlandweit waren im Jahr 2015 laut Statistischem Bundesamt 13 Prozent aller Unfallbeteiligten Ältere - das ist wenig im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil von etwa 21 Prozent. Das liege daran, dass ältere Menschen nicht mehr täglich zur Arbeit fahren müssten und insgesamt auch weniger Autos zur Verfügung hätten, vor allem die älteren Frauen. Im Bereich des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord, wozu der Landkreis Fürstenfeldbruck zählt, stieg die Zahl der Verkehrsunfälle, die von Senioren verursacht werden, seit 2006 kontinuierlich an. Ältere Verkehrsteilnehmer sind einem höheren Risiko ausgesetzt, bei einem Unfall tödlich verletzt zu werden, weil die körperliche Widerstandsfähigkeit im Alter nachlässt, schreibt das Statistische Bundesamt zur Unfallentwicklung auf deutschen Straßen im Jahr 2015. Ältere Menschen erleiden im Durchschnitt schwerere Unfallfolgen als jüngere: Knapp 26 Prozent der verunglückten Älteren wurden schwer verletzt, während der Anteil bei den unter 65-Jährigen bei 16 Prozent lag. Indes sind junge Autofahrer immer noch häufiger an schweren Unfällen beteiligt, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Und: Vor allem in Unfälle, die auf Alkoholkonsum oder zu schnelles Fahren zurückgehen, sind junge Erwachsene besonders häufig involviert. Leichtsinn und Unvernunft kommt bei älteren Autofahrern indes kaum mehr vor, allerdings erweisen sich zunehmende altersbedingte Einschränkungen von Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit als Problem. Mit höherem Alter steigt deshalb die Unfallverursachungsrate. Von den über 75-Jährigen, die an einem Unfall beteiligt sind, haben drei Viertel den Unfall auch verursacht. Was also tun? Den Führerschein freiwillig zurückgeben? Oder die Abgabe von einem bestimmten Alter an zur Pflicht machen? Nein, sagt Michael Fischer. Generell zu sagen, "ab 70 muss jemand jährlich zur Untersuchung oder er muss ab einem bestimmten Alter gar den Führerschein abgeben", das würde er nicht mittragen wollen. "Den Führerschein im Alter wegnehmen, ist ja wie jemanden entmündigen." Auch unter den anderen Experten sind entsprechende Eingriffe umstritten. Entscheidend für die unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr seien nicht das Lebensalter oder ein Testergebnis, sagt man beim Automobilclub ADAC, sondern der Gesundheitszustand des Fahrers und seine Fähigkeit, Risiken richtig einzuschätzen. So spricht sich der ADAC ausdrücklich gegen verpflichtende Untersuchungen zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit aus - mit der Begründung, davon sei keine Verbesserung der Verkehrssicherheit zu erwarten. Im Vergleich zu europäischen Ländern, in denen es dies üblich ist, stehe Deutschland in der Unfallstatistik sogar besser da. Die Deutsche Verkehrswacht rät dazu, ältere Menschen zu ermuntern, ihre körperliche und psychische Verfassung - auch mit Hilfe freiwilliger Tests - selbstkritisch einzuschätzen. Der Deutsche Anwaltverein indes möchte Gesundheitstests für Autofahrer von 75 Jahren an zur Pflicht machen. Der Fürstenfeldbrucker Fahrschulinhaber Axel Lämmle plädiert bereits ab einem Alter von 50 Jahren an alle fünf Jahre für einen Gesundheitscheck, "wie bei den Lkw-Fahrern auch". Das sei früh genug, dass es noch keine Altersdiskriminierung darstelle und würde rechtzeitig sich einstellende Probleme etwa beim Sehen und Hören überprüfen.

"Wenn ein Senior aber noch gesund und fit ist, dann spricht nichts dagegen, dass er auch mit 80 oder 90 noch fährt", sagt Lämmle. Dass indes jemand freiwillig den Führerschein abgibt, ist selten. Laut Führerscheinstelle im Landratsamt waren es von 2012 bis 2016 insgesamt 132 Personen über 65 Jahre, die die Fahrerlaubnis aus freien Stücken zurückgaben. Meist sei ein besonderes Vorkommnis wie ein Unfall oder ein Beinahe-Unfall vorausgegangen, erzählt Doris Langer, Sachbereichsleiterin in der Fahrerlaubnisbehörde. Häufiger kommt es vor, dass Angehörige darauf drängten, dass ein älterer Mensch wider die eigene Einsicht auf das Autofahren verzichten soll. Das bringen manche dann in der Führerscheinstelle vor. Mitteilungen gibt bisweilen auch die Polizei weiter, wenn "wir feststellen, dass jemand anderen Verkehrsteilnehmern nicht mehr zuzumuten ist", sagt Klaus Gründler. Ihre Behörde lade die Leute dann ein, sagt Doris Langer, und spreche mit ihnen. Hilfe leisten kann auch ein vom Arzt bestätigter, freiwilliger Gesundheitsfragebogen. Danach kann ein psychologischer Leistungstest oder eine Fahrverhaltensprobe angeordnet werden. "Es kommt sehr auf die Einsichtigkeit an", sagt Doris Langer. Einige ältere Autofahrer seien jedoch stur - nach der Haltung: "Ich fahr doch noch gut." Dass jemand von selbst sagt, er möchte sich prüfen lassen, "das kommt leider sehr selten vor". Manche Kommunen wie etwa die Stadt Kaufbeuren versuchen deshalb, den Senioren den Umstieg auf den öffentlichen Nahvekehr schmackhaft zu machen - mit einem kostenlosen Jahresticket für die städtischen Busse.

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