SZ-Adventskalender:Unterschlupf in höchster Not

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Das jetzige Haus ist alt, wird aber zu Weihnachten liebevoll geschmückt. So wirkt es für die Bewohnerinnen und ihre Kinder heimeliger. (Foto: Frauen helfen Frauen/oh)

Das Frauenhaus als Anlaufstelle für Opfer von häuslicher Gewalt bekommt einen Neubau in Germering, der eine bessere Unterstützung ermöglicht. Noch fehlt unter anderem Sicherheitstechnik.

Von Ingrid Hügenell

Für manche ist das Frauenhaus die letzte Zuflucht. Wer hierher kommt, sieht keine andere Möglichkeit mehr, Schutz zu finden. Die meisten sind allein, haben Freunde verloren, keine Angehörigen mehr, niemanden, der sie unterstützt. Die Frauen haben Gewalt erfahren, manche wurden von ihren Ehemännern oder Partnern grün und blau geprügelt, haben Verbrennungen. Andere waren subtileren Formen von Gewalt ausgesetzt, die nicht weniger schmerzen und ebenso viel Schaden anrichten. Sie sind beleidigt worden, wurden regelrechtem Psychoterror ausgesetzt, waren abhängig von ihrem Peiniger, wurden ihrem Umfeld entfremdet. "Das Spektrum ist ziemlich breit", sagt Anja Blobner, 40. "Auch für die Kinder sind diese Erfahrungen traumatisierend."

Die Sozialpädagogin ist Geschäftsführerin des Vereins "Frauen helfen Frauen Fürstenfeldbruck". Er unterhält in Fürstenfeldbruck das einzige Frauenhaus des Landkreises. Ein altes Haus, in dem sechs Frauen mit ihren Kindern untergebracht werden können, wenn es nicht zu viele Kinder sind. Es gibt ein Gemeinschaftsbad und eine Gemeinschaftsküche.Im Jahre 20217 ist die Germeringer Sozialstiftung auf den Verein zugekommen und hat angeboten aus Stiftungsmitteln im Rahmen der Errichtung eine Hospizes auch ein neues Frauenhaus zu errichten. Die Sozialstiftung ist für die Errichtung des Gebäudes zuständig.

Der Gebäudeteil, in dem das Frauenhaus unterkommt, wird vom Landkreis Fürstenfeldbruck angemietet und dem Verein Frauen helfen Frauen als Träger und Betreiber des Frauenhauses zur Verfügung gestellt. Die Stiftung hatte Erbschaften gemacht mit der Maßgabe, ein Frauenhaus und ein Hospiz zu errichten. Das Hospiz wird ebenfalls in dem Gebäude an der Unteren Bahnhofsstraße untergebracht. Dort können Blobner zufolge neun Frauen in kleinen Appartements mit eigenem Bad und Küchenzeile untergebracht werden. Es wird ein barrierefreies Zimmer geben und ein ziemlich großes Appartement. "Wir können jetzt auch die Familien mit den vielen Kindern nehmen", freut sich Blobner.

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Für die Einrichtung fehlt noch Ausstattung: Eine große Industriewaschmaschine, damit man in der Pandemie auch Bettdecken und Kissen waschen kann, und ein Trockner. Für das Sicherheitskonzept muss der Verein selbst einiges an technischen Gerätschaften anschaffen, etwa spezielle Lampen mit Bewegungsmeldern und einen teuren Server. "Der ist unbedingt erforderlich", erklärt Blobner. Dazu kommen kleinere Sachen wie Nachttischlämpchen und Hausrat. Gebraucht werden auch Spielsachen und Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Dabei möchte der Adventskalender den Verein durch Spenden unterstützen.

Das neue Haus wird nicht nur größer sein, es folgt auch einem neuen Konzept. Die Frauen sollen nicht mehr durch Geheimhaltung der Adresse geschützt werden, sondern durch ein ausgeklügeltes Konzept. "Das Haus wird baulich so geschützt, dass man darin nicht gefährdet ist", sagt Blobner. Unbefugte könnten es nicht betreten. Dazu braucht es auch die teure Technik, unter anderem eine Kameraüberwachung. "Bei der Sicherheit können wir nicht sparen." Zu groß ist die Gefahr, dass gewalttätige Männer die Frauen sonst im Haus bedrohen.

Eine bekannte Adresse habe viele Vorteile, erklärt Blobner. "Die Frauen müssen sich nicht verstecken, sondern können sogar Besuch haben. Sie können normal leben." Das macht es leichter, in ein eigenständiges Leben zu finden. Und die Kinder könnten erzählen, wo sie leben. Das dürften sie derzeit nicht, "aber das ist natürlich schwierig durchzuhalten".

Ein weiterer Vorteil: Die Räume werden so errichtet, dass sie den Anforderungen gerecht werden. Derzeit können etwa Frauen mit Behinderung nicht aufgenommen werden, denn im alten Haus gibt es viele Treppen. Dabei besteht Bedarf an Plätzen für ältere oder behinderte Frauen. Das Spektrum der Schutzsuchenden ist Blobner zufolge sehr breit. "Zu uns kommen Frauen von 18 Jahren an bis über 60-Jährige. Manche leben 40 oder 45 Jahre in eine Gewaltbeziehung, bevor sie die Kraft finden, sich zu trennen." Manchmal bewirkten das der Renteneintritt oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Dass Frauen Opfer von Gewalt werden, komme in allen Schichten und ökonomischen Standards vor. "Es gibt auch Ehefrauen von Hochschulprofessoren, die ins Frauenhaus müssen. Es trifft wirklich alle."

Viele kommen durch die Hilfe des Vereins wieder auf die Beine, finden neue Kraft. Blobner berichtet von einer Frau, die ins Frauenhaus flüchten musste. Ihr gehe es nun wieder gut, sie unterstütze den Verein mit Spenden.

Durch die Corona-Pandemie habe sich die Situation der Frauen oft verschlechtert. "Natürlich hat das in den Gewaltfamilien die Gewalt verstärkt." Durch die Anspannung komme es schneller zur Eskalation. "Man konnte sich im Lockdown auch nicht aus dem Weg gehen und auch nicht Schönes zusammen machen. "Es gab kaum noch positive Paar-Zeit", sagt die Sozialpädagogin. So sei es noch häufiger zu Streit gekommen.

Viele Frauen haben Kinder, für die Spielsachen bereit stehen. (Foto: Frauen helfen Frauen/oh)

Das Frauenhaus ist eine von drei Einrichtungen des Vereins. Seit 1984 betreibt er auch den Frauennotruf, der mit Hilfe von Ehrenamtlichen 24 Stunden am Tag zu erreichen ist für Frauen, die Gewalt erfahren haben. Dabei geht es auch um Missbrauch in der Kindheit und Jugend, um Stalking durch frühere Freunde, Kollegen oder Bekannte aus dem Sportverein. Die Frauen werden zur rechtlichen Situation beraten, "es ist aber auch viel Stärkungsarbeit dabei", sagt Blobner. Die Beratung findet am Telefon, aber auch persönlich statt. Die Möglichkeit dazu werde im neuen Haus in Germering viel besser sein.

Ein relativ neues Angebot ist die Interventionsstelle, bei der sich auch Arbeitgeber oder Polizeibeamte melden können, wenn sie bemerken, dass eine Frau Opfer von Gewalt ist. "Die Zusammenarbeit gerade mit der Polizei ist gut", sagt Blobner. Voriges Jahr habe sich an Weihnachten eine Polizistin gemeldet, die einen Gewaltausbruch in einer Familie befürchtete. Gemeinsam mit dem Team der Interventionsstelle habe man eine Lösung gefunden: Die Frau sei über die Feiertage mit den Kindern zu ihrer Schwester gezogen. Dass sich das Verhältnis zur Polizei verbessert hat, freut Blobner. "Das ist ausgesprochen angenehm." Vor 30, 40 Jahren habe man eher gegeneinander gearbeitet.

Der Verein "Frauen helfen Frauen" besteht aus einem fünfköpfigen, ehrenamtlichen Vorstand und Geschäftsführerin Blobner. Dazu gibt es zehn Mitarbeiterinnen, Sozialpädagoginnen, die in Teilzeit arbeiten. Sie haben unterschiedliche Zusatzausbildungen, etwa für Traumatherapie oder systemische Beratung. "Das ist eine anspruchsvolle Arbeit", sagt Blobner. "Es ist auch nicht einfach, jeden Tag mit Gewalt konfrontiert zu sein. Es sei nicht leicht, neue Mitarbeiter zu finden. Das gilt auch für das Team von Ehrenamtlichen, die viele Angebote erst möglich machen.

© SZ vom 18.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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