SZ-Adventskalender:Dankbar für jeden Tag

Adventskalender Eberlein

Seit Chirurgen die Herzklappe des Sechsjährigen ersetzten, ist der Junge wie ausgewechselt.

(Foto: Günther Reger)

Der sechs Jahre alte Leon aus Puchheim leidet an einer äußerst seltenen Krankheit. Sein Herz kann jederzeit aufhören zu schlagen

Von Anna Landefeld-Haamann

Nicht einmal ein lebensbedrohlicher Herzfehler kann Leon S. aufhalten. Wieso sollte er dann ein liebevoll-bestimmtes: "Nicht ganz so wild!", seiner Mutter befolgen? Auf allen Vieren bewegt er sich erstaunlich schnell und geschickt durch die kleine Dachgeschosswohnung. Spontan hat der Sechsjährige die 45 Quadratmeter zu seinem Abenteuerspielplatz erklärt - Mutter Tanja S. (Name geändert) lächelt nachsichtig: "Lieber so als anders." Es sei ohnehin ein Wunder, dass Leon seit ein paar Monaten so viel Energie habe wie noch nie zuvor in seinem Leben. Und dennoch: "Jederzeit kann er krampfen. Im schlimmsten Fall kann sogar sein Herz aufhören zu schlagen", so die Puchheimerin.

Doch bis zur 20 Kilometer entfernten Kinderkardiologie im Klinikum Großhadern dauert die Fahrt mit Bus und S-Bahn knapp anderthalb Stunden - mit einem Auto gerade einmal 20 Minuten. Je nach Tagesform sind auch alltägliche Wege für Leon ein Kraftakt: Laufen oder Fahrradfahren beanspruchen sein Herz stark. Seitdem Leon regelmäßig in den Kindergarten geht, arbeitet die alleinerziehende Mutter wieder und legt kleine Geldbeträge für ein gebrauchtes Auto beiseite, das sie benötigt, um Leon die Belastungen der Fahrten mit Bussen und S-Bahn zu ersparen. Bei dieser so dringenden Anschaffung möchte sie der SZ-Adventskalender unterstützen.

Doch an diesem Nachmittag denkt Leon nicht an das, was mit seinem Herzen passieren könnte. Er genießt es, endlich ein wenig durch die Wohnung zu toben. Das hat er sich auch redlich verdient. Immerhin habe es heute ewig gedauert, bis seine beiden Kinder eingeschlafen seien, erzählt er und schließt sacht die Schlafzimmertür. Die "beiden Kinder" (genannt die "Mäh-Mähs") sind Leons Plüschschafe. Sie begleiten ihn seit seinen ersten Lebenstagen. Jenen Tagen, in denen die Ärzte seinen Herzfehler diagnostizierten - ein äußerst seltener, nur drei Fälle dieser Art sind weltweit bekannt.

Leons vollständige Krankengeschichte ist in vier prall gefüllten Ordnern dokumentiert. Die Kurzfassung: Pulmonalklappenatresie. Ein angeborener Herzklappenfehler, der sich auch auf die Blutversorgung der Lunge auswirkt. Noch vor 20 Jahren konnte ein solch komplexer Herzfehler nur schwer festgestellt werden. Für die betroffenen Neugeborenen bedeutete das fast immer den plötzlichen Kindstod. Leons schweren Start hat Tanja S. in einem Baby-Tagebuch festgehalten. Die Fotos zeigen einen kräftigen, rosigen Säugling im weißen Strampler. Um den kleinen Körper herum schlängeln sich Schläuche und stehen Maschinen, die ihn am Leben halten - Leon, gerade einmal ein paar Tage alt, kurz nach seiner ersten Herz-OP.

Für die nächsten viereinhalb Monate wurde die Klinik zu seinem Zuhause. Mit achteinhalb Monaten dann die zweite Operation. Dabei verlor Leon seinen Saugreflex und musste über eine Magensonde ernährt werden. Von den Ärzten habe sie sich in dieser Zeit allein gelassen gefühlt, sagt Leons Mutter. "Sie warfen nur mit Fachbegriffen um sich. Zu Hause hab ich dann gegoogelt." Auf diese Weise erfuhr sie auch, dass das Herz eines Babys nur etwa so groß ist wie ein Pfirsichkern und dass es bei solchen Operationen häufig vorkommt, dass - wie auch bei Leon - ein Stimmband durchtrennt wird. Während andere Babys schrien, blieb Leon jetzt stumm. Tanja S. musste lernen, auf jede noch so kleine Regung ihres Sohnes zu reagieren. Es dauerte Monate, bis das unbeschädigte Stimmband den Verlust des anderen ausglich. "Ich hatte Angst und wusste oft nicht, was los ist, weil mich niemand aufklärte - weder medizinisch noch darüber, welche sozialen Unterstützungen uns zustehen", erinnert sich die Puchheimerin, die mittlerweile vom Ambulanten Kinderhospiz München betreut wird.

Mittlerweile weiß auch Leon über seine Krankheit Bescheid. Ganz selbstverständlich zieht er sein T-Shirt hoch und zeigt die 20 Zentimeter lange Narbe über seinem Brustbein. Mit seinen Plüschschafen spielt er die Krankenhausaufenthalte nach, lässt sie von den fünf Herzkathetern erzählen, die ihm gelegt worden sind, von den vier Operationen am offenen Herzen - die letzte im vergangenen Jahr in Münster. Doch selbst die beiden allwissenden Schafe ahnen nichts von den Ängsten, die die Mutter während dieser Operation durchstand. Acht Stunden sollte die OP dauern, bereits nach vier riefen die Ärzte an. Als das Telefon klingelte, war ihr einziger Gedanke: "Mein Kind ist gestorben." Doch der Eingriff war problemlos verlaufen.

Zwei Herzchirurgen hatten Leons kaputte Herzklappe durch eine natürliche Herzklappe aus Rindergewebe ersetzt, seine verschlossene Lungenarterie aufgesprengt und neu geformt. Leon erholte sich schnell. Am dritten Tag fuhr er mit seinem Bobby-Car durch die Station. Nach einer Woche begann er mit der Physiotherapie. "Er hat einen starken Willen. Das haben alle mitbekommen - die Schwestern und die Ärzte", erinnert sich Tanja S. an die Tage im Klinikum. Während der Rehamacht Leon weitere Fortschritte. Im Sommer erklomm er im Allgäu den ersten Anderthalbtausender. Die Jahre davor hatte er nur im Bett gelegen und sich abgeschlagen gefühlt. In dieser Zeit wurden Bücher, Hörspiele, DVDs, Papier und Stifte zu seinen besten Freunden. "Für mich war das auch eine ganz schöne Umstellung. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an Leons neues Tempo gewöhnt habe", erzählt Tanja S. Trotz der Fortschritte, die ihr Sohn macht, ist ein Gedanke ihr ständiger Begleiter: "Zwar kann Leons neue Herzklappe bis zu 15 Jahre halten. Genauso kann sie sein Körper aber auch jederzeit abstoßen." Deswegen sei sie unendlich dankbar für jeden einzelnen schönen Tag zu zweit.

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