Süddeutsche Zeitung

"Stunde der Wintervögel":Das Vogelsterben wird in den Gärten sichtbar

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Noch nie sind so wenige Vögel gezählt worden wie in diesem Winter. Das hat verschiedene Gründe.

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Wo sind sie geblieben, die Vögel im Garten und vor dem Fenster? Seit Jahren weisen Fachleute darauf hin, dass die Zahl der Vögel abnimmt. Auch die alljährlichen Beobachtungen im Landkreis Fürstenfeldbruck bestätigen diesen Trend. Die aktuelle Vogelzählung von Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) und Naturschutzbund (Nabu) erbrachte bayernweit die niedrigste Zahl an Vögeln seit Beginn der Zählaktionen. Im Landkreis sind die Werte sogar noch schlechter: Nur 24 Vögel pro Garten beobachteten die Naturfreunde an drei ausgewählten Tagen Anfang Januar. Damit liegt der Landkreis deutlich unter dem bundesweiten (33 Vögel), bayerischen (30 Vögel) und oberbayerischen Durchschnitt (27 Vögel) und auch hinter den umliegenden Landkreisen zurück. Einzig in der Stadt München sind es durchschnittlich mit 20 Vögeln pro Garten noch weniger.

Da der Landkreis "eine hohe Siedlungsdichte hat und auch auf vielen Flächen intensive Landwirtschaft betrieben wird, könnten hier mögliche Gründe liegen", vermutet Simon Weigl, Geschäftsstellenleiter der Fürstenfeldbrucker Kreisgruppe des LBV. Als weiteren möglichen Grund nennt er, "dass sich in einem dicht besiedelten Raum die Vögel auf mehr Futterstellen verteilen".

Die Vogelschützer kommen bei ihrer Auswertung zu der Erkenntnis, dass auch der bis zum Zeitpunkt der Zählung milde Winter dafür verantwortlich ist, warum bestimmte Vogelarten in manchen Jahren weniger zu sehen sind. Beunruhigend aber ist der langfristige Trend, den sie aus den gewonnenen Daten der Mitmachaktion herauslesen. Denn "das allgemeine Vogelsterben setzt sich bei einigen bisher häufigen Arten im Siedlungsraum fort", fasst LBV-Ornithologin Angelika Nelson zusammen: "Mittlerweile merken wir die Abnahme einst häufiger Arten auch in den Gärten."

506 Vogelfreunde aus dem Landkreis beteiligten sich dieses Mal an der "Stunde der Wintervögel" und zählten 6537 Vögel in insgesamt 270 Gärten. Gesunken ist nicht nur die Zahl derer, die sich vors Fenster gesetzt und die Vögel beobachtet haben - im Vorjahr waren es noch 630 Teilnehmer -, gesunken ist, und zwar drastisch, auch die Gesamtzahl der Vögel, die in den vergangenen Jahren stets fünfstellig gewesen war. So waren im Vorjahr noch mehr als 11 000 Vögel im Landkreis gemeldet worden. Dass besonders im Winter die Zahl der Vögel in den Gärten schwankt, ist dem LBV zufolge freilich nicht ungewöhnlich. Denn wie stark die Futterstellen in den Siedlungsräumen frequentiert werden, hängt von der Witterung, vom Nahrungsangebot in den umliegenden Wäldern und sogar von der zur Verfügung stehenden Nahrung in den nördlichen Ländern Europas ab. Weil die Winter in hiesigen Breiten immer milder werden und weniger Schnee fällt, bleiben Vogelarten wie Erlenzeisige oder Bergfinken gerne in ihren skandinavischen Brutgebieten und machen sich gar nicht erst auf die Reise nach Mitteleuropa. Und so wurden im Fürstenfeldbrucker Land auch lediglich 71 Erlenzeisige und 21 Bergfinken gesichtet.

Die Zählung Anfang Januar fiel in diesem Jahr in eine Phase, in der der Winter mit tagsüber zehn Grad plus besonders mild war. Viele Vögel fanden ausreichend Nahrung in der Natur, weil Samen und Früchte noch nicht vom Schnee bedeckt waren, und hatten es nicht nötig, sich an die vom Menschen befüllten Futterstellen zu begeben. Stattdessen starteten sie ihr für den Frühling typisches Revierverhalten. "Einige Vögel haben bereits angefangen zu singen, um ihr Revier für die diesjährige Brut gegenüber anderen abzugrenzen und so Rivalen von der Futterstelle und aus dem Garten zu verjagen", erklärt Angelika Nelson.

Zudem hatten Baumarten wie Eichen, Buchen und Fichten im vergangenen Jahr ein Überangebot an Früchten und Samen produziert, so dass Fachleute von einem Mastjahr sprachen, das Vögeln ungewöhnlich viel Futter in ihren natürlichen Habitaten bereit stellte. Vor allem Waldvogelarten wurden deshalb seltener an den Futterhäusern beobachtet: zum Beispiel Buchfinken, die im Vorjahr im Landkreis noch mit 650, in diesem Jahr aber nur mit 260 Exemplaren gezählt wurden. Oder der Buntspecht, den die Fürstenfeldbrucker Naturfreunde im vergangenen Winter 309 Mal, an den drei Zähltagen in diesem Winter aber nur 141 Mal zu Gesicht bekamen. Auch Kleiber und Dompfaff wurden nur halb so oft gesichtet wie im Vorjahr.

Dieses Zahlenverhältnis spiegelt sich auch bei den Kohlmeisen wider. 921 Exemplare listet die Zählung auf, die auf der LBV-Website nach Landkreisen aufgeschlüsselt abgerufen werden kann, und damit nur halb so viele wie 2022. Dennoch waren sie in neun von zehn Gärten zu sehen und wie schon 2022 am häufigsten von allen Vogelarten, gefolgt von Feld- und Haussperlingen. Auf Platz vier und fünf folgen Amsel und Blaumeise.

Weil sie in milden Wintern weniger Energie und Fettreserven aufbrauchen müssen, profitierten davon bayernweit auch die beiden kleinsten Vogelarten, Zaunkönig und Wintergoldhähnchen. Im Landkreis waren dennoch nur 25 Zaunkönige und drei Wintergoldhähnchen zu sehen. Auch die Stieglitze, die überraschend häufig in Bayern gesichtet wurden, ließen sich im Landkreis deutlich seltener blicken. Mit 122 Exemplaren waren es fast 40 Prozent weniger als im Vorjahr.

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