Streit um Amazon Prime:Abnahmestopp bei Unser Land

Der in Esting ansässige Regionalvermarkter nimmt Landwirten ein Jahr lang kein Getreide ab. Offenbar fallen im Landkreis viele Bäcker wegen ihrer Kritik an neuen Vertriebswegen als Kunden aus

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Streit um Amazon Prime: Erst von Sommer 2020 an lohnt es sich für Bauern wieder, die Vorgaben einzuhalten.

Erst von Sommer 2020 an lohnt es sich für Bauern wieder, die Vorgaben einzuhalten.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Der in Esting ansässige Regionalvermarkter Unser Land nimmt in diesem Jahr kein Getreide von Landwirten entgegen. Er reagiert damit wohl auch auf die gesunkenen Mengen, die Bäckereien abnehmen. So ist im Landkreis Fürstenfeldbruck offenbar ein Großteil der Bäcker abgesprungen und bezieht Mehl nun von anderen Lieferanten. Nach SZ-Informationen reagieren einige Betriebe damit unter anderem auf die Vertriebsstrategie von Unser Land, das nach einjährigem Probebetrieb ausgewählte Produkte weiterhin über den Lieferservice Prime Now, einer Amazon-Tochter, in der Münchner Umgebung anbietet. Zudem heißt es, dass die Chemie zwischen dem einen oder anderen Bäcker und dem Vertriebsleiter von Unser Land nicht mehr stimme.

Steffen Wilhelm leitet die Vermarktungsgesellschaft, die für den Verein Unser Land die Palette der mehr als hundert Lebensmittel - vom Mehl über Nudeln bis hin zu Essiggurken oder Erdbeer-Brotaufstrich im Glas - auf möglichst kurzem Weg von den etwa 300 Lieferanten und Verarbeitern in der ganzen Region an die Verbraucher bringen soll. Unter dem Dach des Vereins Unser Land befindet sich neben weiteren neun Solidargemeinschaften auch Brucker Land.

Streit um Amazon Prime: Bis 2020 gibt es genügend Mehl für Brote, wie sie 2018 in Geiselbullach im Rewe vorgestellt wurden.

Bis 2020 gibt es genügend Mehl für Brote, wie sie 2018 in Geiselbullach im Rewe vorgestellt wurden.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Hinter den Kulissen weisen sich die beiden Lager gegenseitig die Schuld zu. Es kursieren Gerüchte und anonyme Briefe. Da ist von einem regelrechten Skandal die Rede. Die Bauern blieben auf teuer erzeugten Waren sitzen, das Getreide verrecke im Silo. Und das, weil es im Landkreis angeblich keinen einzigen Bäcker mehr gibt, der noch Mehl von Unser Land abnimmt. In Kreisen der Bäcker ist immerhin noch von "um die zwei" Betrieben die Rede, die Mehl des Regionalvermarkters kaufen. Wilhelm nennt auf Anfrage der SZ schriftlich eine andere Zahl: "Derzeit nehmen zehn Brucker-Land-Bäcker am Bäckerprogramm teil." Die "begeisterte Teilnahme vieler Betriebe am Jahreszeitenbrot" wertet er als Beleg, dass die Betriebe hinter dem Regionalkonzept stehen.

Dass es kriselt, ist gleichwohl nicht zu übersehen - auch wenn Wilhelm betont, dass "der Getreideanbau nur ein kleiner Teil der Tätigkeit unserer Getreidelandwirte ist". Fakt ist, dass Unser Land den Bauern ein Jahr lang weder Roggen noch Weizen oder Dinkel abnimmt. Die Landwirte zeigten dafür volles Verständnis, schreibt Wilhelm. Fragen nach den Mengen, die an Bäckereien oder Supermärkte geliefert werden, will der Vertriebsleiter ganz grundsätzlich nicht beantworten. Generell aber sei festzustellen, dass der kontrollierte Unser-Land-Getreideanbau auch in Zukunft bestehen bleibe. Den Abnahmestopp begründet Wilhelm mit "Übermengen" aus der guten Ernte 2018 sowie "Minderabnahmemengen". Zur Ernte 2020 werde das Programm aber fortgeführt - angepasst an die Abnahmeverträge mit den Bäckern.

Hatzlhof Esting

Zwischen einigen Bäckern und Vertriebsleiter Steffen Wilhelm soll es kriseln.

(Foto: Günther Reger)

Dass die auf absehbare Zeit wieder großen Bedarf anmelden, wird in der Branche indes bezweifelt. Im vergangenen Sommer hatte der Hauptabnehmer, die Bäckerei Wimmer, wegen der neuen Vertriebsstrategie und wohl auch wegen persönlicher Differenzen den Vertrag auslaufen lassen. Kooperationen mit Internethändlern ließen sich mit dem Gedanken der Regionalität schwerlich vereinbaren, hörte man damals vom Brucker Bäckermeister Max Wimmer. Unser Land musste also 180 Tonnen streichen - mehr als die Hälfte der damaligen Jahresmenge. Immerhin sprang die Garchinger Bäckerei von Ludwig Riedmair mit ihren 16 Filialen ein, die Mitglied bei Münchner Land ist und aktuell noch drei verschiedene Unser-Land-Brote im Angebot hat. Auf dem Gebiet der Brucker Bäcker aber blieben der Innung zufolge im Frühjahr 2018 von den 15 noch selbst backenden Betrieben neun übrig, die Brucker-Land-Mehl verarbeiteten.

Innungsobermeister Werner Nau, selbst ein Mann der ersten Stunde bei Brucker Land, wird wortkarg beim Thema. Er selbst verarbeite "so regional wie möglich", mit eigener Mühle. Die Vollkornmehle bezieht er aus dem Berchtesgadener Land. Die Produkte von Unser Land benötige er schlichtweg nicht. Bäckerkollegen lassen durchblicken, dass auch Nau nicht einverstanden gewesen sei mit der zunehmenden Vermarktung über Supermärkte und Großbäckereien, dass Mehl oder vor allem fertig gebackene Brote zunehmend "durch die Gegend gekarrt" würden - und dass seine Warnungen in den Wind geschlagen worden seien. Hintergrund könnte sein, dass Unser Land Rewe und Edeka mit Biobrot beliefert, dessen Mehl aus dem gesamten Netzwerk stammt und das zentral von der Fritz Mühlen Bäckerei aus Aying hergestellt wird.

Kritiker freilich wollen die Bäcker nicht so ungeschoren davonkommen lassen. "Die großen Landkreisbäcker wie der Wimmer und der Rackl sind die großen Nutznießer: erst fahren sie die Preise für die Waren hoch und machen Marketing damit, und dann kündigen sie die Verträge, ohne das Preisniveau zu senken", schreibt ein Insider, der dem Obermeister Untätigkeit vorwirft und glaubt, dass dies alles vor allem auf Kosten der Bauern geschieht.

Dem Landwirt Johann Stürzer aus Geiselbullach ist das etwas zu kurz gesprungen. Er glaubt, dass die Einflussmöglichkeiten der Bäcker letztlich begrenzt sind und es die Verbraucher in der Hand haben. Auf der Hälfte seiner Flächen, etwa 35 Hektar, hat er in den vergangenen Jahren für Unser Land angebaut, erst kürzlich blätterte er 15 000 Euro für ein dafür benötigtes Bodenbearbeitungsgerät hin. Der Abnahmestopp bringt Einbußen, wenn auch keinen kompletten Ausfall: Jetzt baut Stürzer auf der Fläche eben wieder konventionell an. Weil die strengen Auflagen nicht mehr erfüllt werden müssen, bedeutet das höhere Erträge zu geringeren Kosten, aber eben auch niedrigere Abnahmepreise. "Ich hätte es gerne weitergemacht", sagt er, "schon aus Idealismus".

Anbauregeln

Landwirte, die für Unser Land produzieren, müssen sich zur Einhaltung fester Regeln verpflichten (die noch strengeren Bio-Standards müssen sie allerdings nicht erfüllen). Auf den Flächen, die nicht im Überschwemmungsgebiet liegen dürfen, dafür aber im Netzwerkgebiet von Unser Land liegen müssen, ist Klärschlamm tabu - auch in den zurückliegenden fünf Jahren. Es ist eine bodenschonende Anbautechnik zu verwenden. Innerhalb von fünf Jahren sind vorgegebene Fruchtfolgen einzuhalten. Der Maisanteil darf 33 Prozent in der Fruchtfolge nicht überschreiten, der Getreideanteil der Anbaufläche des Betriebes maximal 75 Prozent betragen. Verwendet werden darf nur zertifiziertes Saatgut der vertraglich vereinbarten Sorten, gentechnisch verändertes Saatgut ist verboten. Die Stickstoffversorgung erfolgt in organischer oder mineralischer Form. Es darf nur mit Biogasgärresten aus mit nachwachsenden Rohstoffen betriebenen Anlagen gedüngt werden. Die Bekämpfung von Unkraut, Krankheiten und Schädlingen erfolgt ohne Chemie durch biologische oder mechanische Maßnahmen. Eine Verwendung von Wachstumsreglern ist verboten. Zu Feldern mit konventionellem Anbau muss ein 30 bis 40 Zentimeter breite Streifen freigehalten werden. Acker- und pflanzenbauliche Maßnahmen sind zu dokumentieren. Der Bestand, der unter Vertrag mit Unser Land steht, ist mit Feldtafeln zu kennzeichnen. Alle Vorgaben werden kontrolliert.slg

Bei hundert Kilo Getreide mache die Differenz sechs Euro aus, rechnet der Kreisrat vor. Auf den Laib Brot umgerechnet seien es nur um die fünf Cent. Wenn der Verbraucher die Produkte nachfrage, dann würden die Bäckereien diesen Aufschlag akzeptieren, glaubt Stürzer.

Die Hoffnung hat auch Unser-Land-Vertriebschef Steffen Wilhelm: Die meisten Verbraucher wüssten beim Einkaufen den Wert regionaler Kreisläufe seit nunmehr 25 Jahren sehr wohl zu schätzen. Er spricht unbeirrt von einer erfolgreichen Entwicklung von Brucker Land und der übergeordneten Ebene Unser Land.

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