Straßenausbau:Kommunen bleiben auf Kosten sitzen

Groebenzell: Baustelle AMMERSEESTRASSE / Strassenbau

Ab 1. April 2021 ändert sich das Straßenausbaubeitragsrecht. Für einige Anwohner bringt das Entlastung.

(Foto: Johannes Simon)

Für die Ersterschließungen ihrer Straßen, die vor mehr als 25 Jahren begonnen wurden, dürfen die Bürger von 2021 an nicht mehr zur Kasse gebeten werden. In Neugermering ist fast die Hälfte betroffen.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Ärger steht ins Haus, wenn in einem Wohngebiet der Straßenausbau erstmalig abgerechnet werden soll. Denn im Regelfall müssen die Anwohner den Löwenanteil berappen. Am 1. April 2021 gibt es eine kleine Entlastung: Erstausbauten von Straßen, die vor mehr als einem Vierteljahrhundert begonnen aber noch nicht fertiggestellt wurden, dürfen nicht mehr abgerechnet werden. In vielen Kommunen betrifft das nur ein paar Straßen, in Germering allerdings jede zweite im Gebiet von Neugermering.

Wird eine neue Straße gebaut, muss sie nach dem Erschließungsbeitragsrecht abgerechnet werden. Wird eine Straße später saniert oder umgebaut, gilt eigentlich das Straßenausbaubeitragsrecht. Welches Recht anzuwenden ist, darüber wird aber immer wieder gestritten. Denn bisher konnte eine Kommune eine neue Straße anlegen lassen, musste die Kosten für die Ersterschließung aber nicht gleich umlegen und kassieren, sondern konnte einfach abwarten. Technisch und rechtlich galt die Straße als noch nicht fertiggestellt, erklärt Rudolf Maier, der Experte im Landratsamt.

Ergänzte die Kommune Jahrzehnte später noch eine Straßenlampe oder einen Gehsteig, konnten diese noch nach dem für den Bürger wesentlich teureren Ersterschließungsrecht abgerechnet werden. Damit soll nun Schluss sein. 2016 änderte der Landtag das bayerische Kommunalabgabengesetz: Straßen, die vor 1996 begonnen wurden, dürfen nach dem Stichtag 1. April 2021 nicht mehr abgerechnet werden. "Diese Altfälle sollen nicht mehr mitgeschleppt werden", erklärt Maier.

Klingt einfach, aber Maier schätzt das Konfliktpotenzial als hoch ein. Bereits jetzt hat er pro Jahr 25 bis 30 Streitfälle auf seinem Schreibtisch. Straßenausbaubeitragsrecht ist eine diffizile Sache, und es geht um viel Geld für Grundeigentümer und Kommunen. Erste Anfragen von Bürgern wegen der Neuregelung hat Maier schon vorliegen. Er schätzt, dass in manchen größeren Kommunen bis zu 40 Straßen im Ersterschließungsmodus noch nicht fertig sind. Selbst wenn diese Städte und Gemeinden jetzt aufs Tempo drücken, seien höchstens sieben bis acht pro Jahr zu schaffen, schätzt Maier. Wie viele es insgesamt im Landkreis sind, weiß auch er nicht.

Sobald diese Gesetzesänderung in Kraft tritt, bleiben die Kommunen auf den Kosten für diese angefangenen, aber nicht fertiggestellten Straßen sitzen. Deshalb könnten Verwaltungen versucht sein, noch möglichst viele dieser Straßen fertig zu stellen und abzurechnen. Maier rät davon ab. Im Vordergrund müsse die Dringlichkeit stehen, die Funktion einer Straße und ihr Reparaturbedarf.

Der Brucker Stadtrat hat sich an diese Empfehlung gehalten. "Wir folgen unserer Prioritätenliste", sagt Markus Maurer vom Bauamt. Zuerst werden Straßen wie der Sulzbogen erneuert. Zu den Altfällen gehören drei reine Anliegerstraßen im Westen und im Norden mit Gesamtkosten von geschätzt über 2,3 Millionen Euro. Bereits in Arbeit ist die Ganghoferstraße, wo der Radweg nur als Markierung aufgebracht war. In Maisach steht nach Angaben aus dem Rathaus nur der Hochstattweg in Überacker aus, der Ende der Achtzigerjahre begonnen wurde. "Den kriegen wir auf jeden Fall noch fertig", hieß es. Nächstes Jahr soll die Einfassung für die Straßenentwässerung gebaut und die Endschicht aufgetragen werden. Die Kosten liegen bei etwa 110 000 Euro.

In Germering geht es um sehr viel mehr Geld, wie Stadtbaumeister Jürgen Thun einräumt. Dort habe man in den Sechzigerjahren mit wenig Aufwand in dem damaligen Ortsteil Neugermering im Nordwesten neue Straßen angelegt. "Weniger als die Hälfte", so schätzt Thun, sei nicht fertiggestellt und abgerechnet worden. Die Stadt lässt sich derzeit von Juristen beraten, "Die Sache ist rechtlich nicht eindeutig geklärt", sagt der Stadtbaumeister.

Im Brucker Rathaus ist man entspannt, weil es andere Wege gibt, die Bürger zur Kasse zu bitten. Geändert wird ja nur die Regelung für Ersterschließungen. Die Beiträge für den normalen Straßenausbau bleiben. Sie sind gestaffelt nach der Bedeutung einer Straße, Anliegerstraßen sind teuer für die Bürger, Erschließungs- und Durchfahrtsstraßen für die Kommunen. "Statt 90 Prozent für die Ersterschließung, können wir 70 Prozent abrechnen. Es ist ein geringer Verlust", sagt Maurer.

Selbst nach der Gesetzesnovelle bleiben Altfälle aus der Zeit vor 1961 übrig, bevor das Erschließungsbeitragsrecht ins Baugesetzbuch übernommen wurde. Es muss geprüft werden, ob der Ausbau dem damaligen Stand der Technik entsprach und die Mehrheit der anliegenden Grundstücke bebaut oder bebaubar war. Wenn ja, gilt eine Straße als fertiggestellt.

Die älteste Straße, mit der sich Maier beschäftigen musste, ist mehr als 150 Jahre alt. Unklar war, ab wann sie der Erschließung der anliegenden Grundstücke diente. Recherchen ergaben, dass dies ab 1855 zutraf. Spätestens ab 1868 handelte es sich ohne Zweifel um eine Erschließungsstraße, denn der damalige Ausbauzustand ermöglichte es, dass "zwei Pferdefuhrwerke aneinander vorbeifahren konnten, wenn sie in die Hofeinfahrten auswichen", was dem damaligen Stand der Technik und der Verkehrsführung entsprach.

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