Stadtgeschichte:Reden über die Toten

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Geschichten über Verstorbene: Elisabeth Summer (mit roter Mütze) und Teilnehmerinnen bei der Führung über den Alten Friedhof in Fürstenfeldbruck. (Foto: Leonhard Simon)

Elisabeth Summer führt eine Gruppe von Einwohnern Fürstenfeldbrucks über den Alten Friedhof. Die Namen auf den Grabsteinen geben Anlass zu vielen Geschichten und Erinnerungen

Von Kim Romagnoli, Fürstenfeldbruck

Zwischen Grabstätten und Epitaphen, inmitten der Geschichten und Geheimnisse der Toten - dort ist Elisabeth Summer in ihrem Element. Ihre Passion ist der Alte Friedhof an der Kirchstraße. "Hier finde ich eine besondere Ruhe und Gelassenheit", sagt sie. An diesem Nachmittag hat Summer anlässlich ihrer Friedhofsführung eine Gruppe von 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmern um sich versammelt. Viele der Anwesenden geben sich rasch als gebürtige, langjährige Bürger Fürstenfeldbrucks zu erkennen. Darunter auch Lothar Ruess, der seit mehr als 70 Jahren in der Stadt lebt. Ruess sammelt alte Bilder von Brucker Malern und ist daher, wie die meisten Teilnehmer, mit der Stadtgeschichte vertraut. Aus eben diesem Grund ist schnell klar, dass das keine gewöhnliche Friedhofsführung wird. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammentreffen von Menschen, die sich über gemeinsame Bekannte austauschen, ihre Erinnerungen an die Verstorbenen teilen und sich dabei gegenseitig ergänzen.

Mit zahlreichen Zwischenstopps führt Summer die Gruppe über den Alten Friedhof und erzählt dabei von Persönlichkeiten, Handwerksfamilien, Künstlern und Geschäftsleuten, die Fürstenfeldbruck geprägt haben. Die Einflüsse namhafter Familien - etwa der Familie Aumiller oder der Familie Weiß - sind den meisten Teilnehmern bereits bekannt. Daher freut sich die Gruppe insbesondere über Summers Anekdoten zu einzelnen Randthemen, Persönlichkeiten und Gebäuden. In einer kurzen Exkursion erzählt die Gästeführerin etwa von der Fahrradführerschein-Ausweispflicht in Fürstenfeldbruck ab dem Jahr 1915 oder von Mythen über vergiftete Eichhörnchen, die auf der Ludwigshöhe gelebt haben sollen.

Die Basis für Summers Führung bilden die Aufzeichnungen von Robert Weinzierl, der sich jahrzehntelang im Historischen Verein Fürstenfeldbruck betätigte. Diese Informationen ergänzte Summer durch eigene Recherchearbeit - etwa in den alten Adressbüchern und Tagebucheinträgen ihres verstorbenen Vaters. Es sei ihr dadurch möglich gewesen, Verbindungen zwischen den verstorbenen Bürgern zu knüpfen und Verständnislücken zu füllen, sagt sie. Ihr sorgfältig erworbenes Wissen teilt sie einmal jährlich auf öffentlichen Führungen - bei individuellen Anfragen auch öfter. So wolle sie dazu beitragen, dass die Einwohner ihre Stadt aus einer neuen Perspektive betrachten können, erklärt Summer zu Beginn der Veranstaltung. Auch die Teilnehmer steuern eifrig Hintergrundinformationen oder Anekdoten über Verstorbene bei. "Das war mein alter Religionslehrer," erzählt etwa eine Teilnehmerin an der Grabstätte von Augustin Tremmel. "Er war ein toller, lustiger Pfarrer!"

Die Dauer der Führung sollte ursprünglich 60 Minuten betragen - beinahe drei Stunden nach Beginn hängt der harte Kern der Zuhörerinnen und Zuhörer noch immer an den Lippen von Elisabeth Summer. Man möge doch noch diese Grabstätte besichtigen und über jene Familie sprechen, lauten die Bitten. Die roten Nasen, die kalten Füße und die tauben Finger - an diesem Novembertag kann all das die Teilnehmer der Friedhofsführung in ihrem Enthusiasmus nicht bremsen. Und tatsächlich scheint es, als ob durch die Gespräche, das Gelächter und die Geschichten, die Toten an diesem Nachmittag ein wenig lebendiger werden.

© SZ vom 22.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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