Süddeutsche Zeitung

Stadtentwicklung:Wenn eine Kleinstadt aus dem Boden gestampft werden muss

  • Vor 40 Jahren hat die SZ eigene Lokalausgaben in den Landkreisen rund um München gestartet.
  • Aus diesem Anlass haben wir unsere Leser nach dem Lebensgefühl im Großraum gefragt. Die Ergebnisse sowie viele weitere Geschichten finden Sie im digitalen Dossier "Stadt, Land, Plus".

Von Peter Bierl

Eine Kampagne gegen den Flächenverbrauch haben Umweltschützer und Kleinbauern im Landkreis vor fünf Jahren gestartet. Etwa 2600 Quadratmeter Land würden 2012 statistisch in Fürstenfeldbruck jeden Tag zugebaut, rechneten damals der Bund Naturschutz und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft aus. Die Unterschriftenaktion erwies sich als Flop. Die Initiatoren stellten die Sammlung nach einigen Monaten ein.

Die Aktion war sinnvoll, überfällig und utopisch zugleich. Denn der Großraum München ist ein Magnet, der Wirtschaftsmotor nicht nur Bayerns, sondern der Republik. Die Stadt und ihr Umland sind durch Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrien, Informations- und Kommunikationstechnologie, Rüstungsbetriebe, sowie Wissenschaft und Forschung der Ruhrpott des 21. Jahrhunderts geworden. Und dafür wird Platz gebraucht.

Nachverdichtung als das Gebot der Stunde

Die Bevölkerung des Landkreises soll in den kommenden beiden Jahrzehnten um bis zu 40 000 Personen wachsen. Das entspricht einem Zuwachs, der etwa der aktuellen Einwohnerzahl von Germering entspricht. Nur gibt es keinen Platz, wo sich eine ganze Kleinstadt aus dem Boden stampfen ließe. Auf dem ehemaligen Brucker Fliegerhorst will die Stadt maximal 5000 Menschen ansiedeln, das wäre gerade einmal ein Achtel der Zuzügler. Momentan setzen Kommunen auf Nachverdichtung, das heißt, Baulücken im Ort werden geschlossen, große Grundstücke von den Erben aufgeteilt und verwertet.

Das wird jedoch nicht reichen. Einige Kommunen sind in den vergangenen Jahren schon stark gewachsen und haben neues Bauland ausgewiesen. Eichenau spekuliert auf Boden jenseits der Bahnlinie, der der Gemeinde nicht gehört und politisch sowie planungsrechtlich der Nachbargemeinde Emmering untersteht.

Der Landkreis Fürstenfeldbruck, abgesehen von seinen nördlichen und westlichen Rändern, wird mit Siedlungen, Gewerbegebieten, Straßen und Umgehungsstraßen zugebaut. Was an Wiesen, Äckern, Wäldern und sonstigem Trenngrün, wie es die Planer nennen, frühere Boomphasen überlebte, wird verschwinden.

Nur gelbe Ortstafeln, wie heute schon zwischen Gröbenzell und Puchheim, werden die Kommunen noch voneinander abgrenzen. Der Auflockerung werden ein paar Landschaftsparks dienen, dazu die großen Waldgebiete, die seit der Säkularisation im Besitz des Staates sind oder alten Familien von Grundherren gehören. Die Verwandlung in eine städtische Zone ist unvermeidlich, weil so etwas wie "Grenzen des Wachstums" von kaum jemandem akzeptiert werden. So lautete der Titel einer Studie, die vor 45 Jahren Furore machte und weltweit die Umweltdebatte beflügelte. Niemand kann also später einmal sagen, das habe man nicht wissen können. Aber das Wirtschaftssystem basiert auf Konkurrenz und damit auf dem Prinzip von Wachsen oder Weichen mit allen negativen Folgen für die Erscheinung von Städten und Landschaften und für die Umwelt.

Bloß hinsichtlich der konkreten Erscheinungsform besteht noch Spielraum. Studenten der Technischen Universität München-Freising haben dazu einige Szenarien entwickelt und im Sommer 2016 im Landratsamt vorgestellt. Demnach könnte man im Brucker Westen etwa 10 000 Menschen unterbringen, in mehrgeschossigen Häusern mit Dachgärten und begrünten Fassaden. Das Freizeitgelände am Pucher Meer sollte erweitert und Gemeinschaftsgärten sollten dort angelegt werden. Die große Fläche zwischen Olching, Puchheim, Eichenau und Gröbenzell sollte freigehalten werden. Der östliche Streifen könnte wieder in ein Moor zurückverwandelt werden, am westlichen Rand bei Olching und Eichenau könnten ebenfalls Gärten entstehen.

Allerlei rhetorische Seifenblasen

Möglich wären eine energetische Verwertung von Niedermoor-Biomasse, von Röhrichten für neue Baustoffe oder von Torfmoosen, um Substrate für den Gartenbau zu gewinnen. In der Mitte hatten die Studenten Feuchtwiesen vorgesehen, und es dürfte extensive Landwirtschaft betrieben werden. Etwa 12 000 Neubürger würden innerhalb des bestehenden Siedlungsraums der vier Kommunen eine neue Heimat finden.

Der Einladung zur Präsentation war nur ein einziger Kommunalpolitiker gefolgt. Für die Studenten war das schade, hatten sie doch wertvolle Anregungen weiterzugeben. Die jungen Landschaftsarchitekten schlugen unter anderem vor, die Neubürger in mehrgeschossigen Häusern unterzubringen statt weitere Flächen für Einfamilien- und Doppelhaussiedlungen zu verschwenden wie in Emmering und im Olchinger Schwaigfeld.

Im Schlussbericht für die räumliche Entwicklungsstrategie des Landkreises finden sich immerhin schon die Zielvorstellungen, dass urbane Quartiere entwickelt und ein höherer Anteil von Mehrfamilienhäusern gebaut werden sollten, neben allerlei rhetorischen Seifenblasen wie Nachhaltigkeit, Achtsamkeit oder Respekt vor der Umwelt.

Gerade die Städte Fürstenfeldbruck, Germering, Puchheim und Olching sind aufgefordert, ihren Titeln gerecht zu werden, solchen Ratschlägen zu folgen und nach urbanen Maßstäben zu planen. Drei- bis sechsgeschossige Wohnhäuser sollten der Standard sein, gerne auch mal ein höheres Gebäude dazwischen. Vielleicht kann so verhindert werden, dass die Amperregion sich komplett in ein gesichtsloses Suburbia verwandelt. Und wenn sich die Umweltschützer richtig ins Zeug legen, bleiben sogar noch ein paar Reservate für Tiere und Pflanzen übrig.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2017/bica
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