Sozialarbeit:Vom Brennpunkt in den Alltag

Jugendsozialarbeiter sind wichtige Begleiter des schulischen Lebens. Ihre Aufgaben werden mit der Integration von Flüchtlingen weiter wachsen. Eine Tagung in Germering versucht eine Bestandsaufnahme

Von Heike A. Batzer, Germering

"Die Tür geht auf, und man weiß nie, wer da steht und welche Probleme er hat", sagt Jacqueline Kimpel. Es ist ihr Alltag. Kimpel arbeitet seit genau 20 Jahren als Jugendsozialarbeiterin an der Kerschensteiner Schule in Germering. Sie nimmt sich der Probleme der Schüler an, die nicht oder zumindest nicht unmittelbar mit dem Lernstoff zu tun haben: Konflikte im Elternhaus, Trennung der Eltern, mangelndes eigenes Selbstwertgefühl, Probleme nach der Integration an einer neuen Schule, ungeklärte Zukunftsperspektiven, Suchtverhalten. Die Sorgen der Schüler können unterschiedlicher Natur sein, nur eines ist ihnen gemein: Die Lehrkräfte sind dafür nicht die richtigen Ansprechpartner. Deshalb ist mittlerweile unumstritten, dass die Schulen eigene Fachleute benötigen, die von den Betroffenen als Vertrauenspersonen akzeptiert werden. Die Jas, wie die "Jugendsozialarbeit an Schulen" im Fachjargon abgekürzt wird, "ist dort, wo die Schüler sind und wo das Problem auftaucht", sagt Dietmar König, Leiter des Kreisjugendamts im Landratsamt. Das mache ihre Qualität aus.

Diese Erkenntnis musste sich freilich erst durchsetzen. Vor 25 Jahren, als der Schülertreff an der Wittelsbacher Hauptschule in Germering erstmals ein solches Angebot machte, sei man ihm noch mit Vorbehalten begegnet, erinnerte sich Florian Preißer, damals Jugendsozialarbeiter, heute Leiter des Seniorenzentrums der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Fürstenfeldbruck und Egenhofen. Die Lehrer damals seien noch der Ansicht gewesen, "wir machen ihnen das Leben leichter, und die Schüler sind dann immer anständig und nett", sagte Preißer bei der Fachtagung, die der Awo-Bezirksverband Oberbayern aus Anlass seiner 25 Jahre währenden Tätigkeit als Kooperationspartner in der Jugendsozialarbeit jetzt an der Kerschensteiner Schule in Germering veranstaltete.

AWO-Podium

Warum brauchen Schulen neben Lehrern auch Sozialarbeiter? Diese Frage diskutiert unter anderem Martin Rattenberger, neuer Sozialamtsleiter(links).

(Foto: Günther Reger)

Preißers Nachfolger in der Jugendsozialarbeit haben es insofern leichter, als sie mittlerweile als Fachkräfte etabliert sind. Auch weil Schulen "immer mehr zum zentralen Lebensort für Kinder und Jugendliche" werden, wie Nicole Pötter, Professorin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München, in ihrem Vortrag ausführte. Jugendsozialarbeit habe sich deshalb "von der Brennpunktarbeit zum Regelangebot" entwickelt. Kinder und Jugendliche blieben heutzutage immer länger im Bildungssystem, fuhr die Wissenschaftlerin fort. 19,5 Jahre seien junge Leute durchschnittlich alt, wenn sie eine duale Ausbildung beginnen. Trotz G8 sei es bei weitem nicht so, dass die sie schneller mit ihrer Ausbildung fertig würden: "Viele nehmen sich dann erst einmal eine Auszeit zum Durchschnaufen," so Pötter.

Die Rolle des Schülers biete den Heranwachsenden Schutz - allerdings mit der Kehrseite, dass sie sich immer weniger in anderen Rollen ausprobieren könnten. Außer in der virtuellen Welt ihres Smartphones. "Das ist heute Lebensbegleiter und Teil der Lebenswelt der Kinder", fasste Rainer Strick vom Jugendamt Weilheim zusammen. Der sinnvolle Umgang mit den Handys sei eine Kulturtechnik, die eigentlich wie Lesen, Schreiben, Rechnen gelehrt werden müsste. Man brauche sich über negative Auswirkungen nicht zu beschweren, "wenn man die Kinder dort allein lässt", sagte Strick. So aber haben die Jugendsozialarbeiter auch mit den negativen Folgen des Handykonsums zu tun wie etwa Cybermobbing oder das "Sexting" genannte Versenden erotischer Selbstaufnahmen.

Benachteiligte Jugendliche im Blick

Die Notwendigkeit von Jugendsozialarbeit an Schulen anzuerkennen, fällt mitunter nicht leicht, und so hatte Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU) heuer im Januar, als der Jugendhilfeausschuss des Kreistags auch den Landkreisgymnasien eigene Jugendsozialarbeiter versprach, murmelnd angemerkt, er werde "erst richtig glücklich sein, wenn wir auch sozialpädagogische Unterstützung für Doktoranden eingeführt haben". Dabei ist der Wert von Jugendsozialarbeit an Schulen, in Bayern kurz Jas genannt, unter Fachleuten längst unstrittig. Was in den Siebzigerjahren als Hilfeleistung an sogenannten "Brennpunktschulen" begann, ist inzwischen an allen Schulformen etabliert.

Im Landkreis haben mittlerweile 27 Schulen einen Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin - zum Teil in Teilzeit - zur Verfügung: sieben Grundschulen, neun Mittelschulen, die beiden sonderpädagogischen Förderzentren, die Berufsschule, alle vier Realschulen sowie die beiden Fürstenfeldbrucker Gymnasien, das Carl-Spitzweg-Gymnasium Germering und das Gymnasium Gröbenzell. Das Max-Born-Gymnasium Germering und das Gymnasium Olching werden sich im nächsten Jahr anschließen.

Laut Definition ist Jas "die intensivste Form der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Sie soll sozial benachteiligte junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und fördern - als Beitrag zur Chancen- und Bildungsgerechtigkeit", heißt es dazu aus dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales. Der Freistaat fördert diese Form der Jugendsozialarbeit, über deren Einrichtung und Ausgestaltung die Kreisgremium entscheiden, über Zuschüsse. An Grundschulen allerdings ist dafür Voraussetzung, dass 20 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund besitzen. Für die weiterführenden Schulen gibt es keine staatliche Förderung. Hier übernimmt der Landkreis Fürstenfeldbruck die Kosten für die Sozialarbeiter allein. baz

Um welche Aufgaben sich die Sozialarbeiter an den Schulen im einzelnen kümmern, zeigte bei der Fachtagung auch eine kleine Ausstellung sowie eine Band, die der Sozialarbeiter der Mittelschule Töging unter anderem mit Flüchtlingskindern zusammengestellt hat und die bei der Tagung für musikalische Unterhaltung sorgte. Der Umgang mit Flüchtlingen und das Zusammenleben der Kulturen im Schulalltag zu organisieren, werde zu einer zentralen Aufgabe der Jugendsozialarbeit werden, vermutete der Brucker Jugendamtsleiter Dietmar König. Eine Aufgabe, deren "Dimension noch gar nicht absehbar ist", hatte die Wissenschaftlerin Nicole Pötter zuvor gesagt. Fortbildungen zur interkulturellen Kompetenz seien deshalb notwendig, denn auch Lehrkräfte und Fachkräfte der sozialen Arbeit seien angesichts einer zunehmenden Heterogenität verunsichert und überfordert, warnte Pötter. Auch müssten die Ängste und Sorgen der Eltern aufgefangen werden. Die Schulen würden mit immer mehr Themen konfrontiert, "die nur begrenzt schulisch bearbeitet werden können", sagte die Wissenschaftlerin. Schulsozialarbeit habe deshalb auch hier eine Mittlerfunktion und brauche ausreichend "zeitliche, personelle und fachliche Ressourcen. Daran hapert es am meisten." Genügend Sozialarbeiter zu finden, ist freilich auch deshalb schwierig, weil "der Markt leer ist", so Axel Geißendörfer, Leiter der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe der Awo Oberbayern.

Ruth Hellmann, Rektorin der Wittelsbacher Schule, erinnerte schließlich daran, ob des dominierenden Flüchtlingsthemas nicht die Notwendigkeit von Inklusion an den Schulen zu vernachlässigen. Auch Germerings neuer Sozialamtsleiter Martin Rattenberger warnte davor, die Perspektive allzu sehr auf die Flüchtlinge zu verengen: "Es bleiben auch deutsche Jugendliche, die Probleme haben. Die dürfen wir nicht vergessen."

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