Simsonfreunde:Mit Vollgas Richtung Kolbenfresser

Kreuzt man Moto-GP mit Ochsenrennen, kommt das heraus, was auf einer Wiese in Graßlfing zu sehen ist. Die Simsonfreunde richten dort einmal im Jahr ihr Grasbahnrennen für die DDR-Kult-Mopeds aus

Von Stefan Salger

Schlimmer kann es einen Rennfahrer mit Benzin im Blut doch eigentlich nicht erwischen. Denkt man. Das Zweitaktgeknatter schraubt sich eine Oktav höher, die Akteure werden kurz in einer schwarzblauen Zweitaktfahne eingenebelt, die Startleine zuckt nach oben. Und Lokalmatador Fips Dauderer? Bleibt einfach stehen, während die Kontrahenten Stoff geben und ihm mit ihren grobstolligen Hinterradreifen ein paar Fetzen der Grasnarbe als Abschiedsgruß um die Ohren hauen. "Da Fips backt's ned", stellt ein Zuschauer nüchtern fest. Und aus dem Lautsprecher dröhnt es: "Dauderer, Fips aus Graßlfing - leider ausgefallen!"

Und der Dauderer? Verzieht keine Miene. Setzt den Helm ab und zeigt sein Pokerface. Hat ja schon reichlich Rennerfahrung, der alte Haudegen - und unter der Rennkombi 73 Jahre auf dem Buckel. Ob es mal wieder eine durchgebrannte Kupplung oder zur Abwechslung ein Kolbenfresser ist, wird man gleich im Fahrerlager erfahren. Aber der Fips ist ja nicht blöd. Hat nicht alles auf ein Pferd gesetzt. Er ist noch in einer anderen Wertungsklasse gemeldet. Muss er es halt dort ordentlich krachen lassen. Erst mal schiebt dieser Teufelskerl seinen erlahmten Feuerstuhl von dannen. Die Spezln von den Simsonfreunden Graßlfing empfangen ihren zurzeit eher immobilen Platzwart mit einem breiten Grinsen im Gesicht - und mit dem Schraubenzieher in der Hand. Man hilft sich natürlich gegenseitig. Ehrensache unter Moped-Racern.

Echte Enthusiasten sind sie allesamt. Wie sonst könnte man auf die Idee kommen, sich ganz diesen Vehikeln zu verschreiben - mit einem Hubraum, so klein wie ein Schnapsglas. Wie sonst ist es zu erklären, dass man Hunderte Kilometer weit fährt, nur um in Ostdeutschland für einen Scheunenfund ein paar Hundert Euro hinblättern zu dürfen? Wie sonst wird es plausibel, dass man schraubt und schraubt und schraubt, dann ein paar Kilometer durch die Gegend oder über die Rennstrecke knattert - und dann wieder schraubt und schraubt und schraubt? Wie soll man erklären, dass man Motoröl und Benzin mit dem Messbecher im Verhältnis eins zu 25 oder eins zu 50 per Hand zusammenrührt, weil die technische Revolution der Getrenntschmierung nicht in den realen Sozialismus vorgedrungen zu sein scheint? Und wie sonst ist es zu erklären, dass sich 34 simsonverrückte Erwachsene sowie 14 Jugendliche zwischen sechs und 15 Jahren zu einem Verein zusammenschließen? Rational erfassen lässt sich der Spleen kaum. Andere fahren Harley oder Ente, die Simsonfreunde eben Simson.

Fakt ist: Im Januar hat das Häuflein der Verschworenen die offizielle Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, davor waren die Simsonfreunde eine Abteilung der Olchinger Motorsportfreunde. Grund für die Sezession waren wohl ein paar Unstimmigkeiten aus menschlichen und finanziellen Gründen. Vorsitzender Paul Knott, 63, möchte lieber keine schmutzige Wäsche waschen. Die Wurzeln reichen jedenfalls zurück bis ins Jahr 2005 und bis ins Allgäu. Gründungsmitglied Elmar Griebel aus Neu-Esting sah dort ein Simson-Rennen und war Feuer und Flamme: "Mensch, so was machen wir auch", sagte er sich. 13 Mitstreiter fanden sich. Und dann machten sie es auch.

Jetzt hat der junge Verein in jedem Fall freie Hand. Vor allem in der Jugendarbeit wolle man sich stark engagieren, sagt Knott. Der steht beim "Simsonrennen 2018 mit Aufsitzrasemäherrennen" Mitte Juli auf dem Lastwagenanhänger, auf dem das hohe Schiedsgericht auf Bierbänken Platz genommen hat, und kündigt jeden Fahrer so an, als habe der gerade mit einer Runde Vorsprung den Moto-GP-Lauf auf dem Sachsenring gewonnen. Startberechtigt sind an diesem Tag wie üblich Simsons aus der Vorwendezeit, bis Baujahr 1990. Es gibt mehrere Wertungsklassen, alle gehen über vier Runden à 200 Meter: Nostalgie mit serienmäßigen 50-Kubik-Mopeds (drei bis vier PS), Super-Cup mit frisierten Varianten (sieben bis zehn PS), Beiwagen (elf bis 17 PS) sowie - als echte Premiere für die Simsonfreunde - die kraftstrotzenden Rasenmähertraktoren (um die 20 PS). Dazu gibt's ein Kindershowprogramm mit kleinen Motocross-Maschinen.

Insgesamt sind knapp 60 Teilnehmer dabei. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass zwar jeder gerne als Erster die schwarz-weiß gewürfelte Zielflagge sehen und am Ende einen Pokal mitnehmen würde, letztlich aber der Weg das Ziel ist - Hauptsache dabei. Mehr olympischer Gedanke geht nicht. Das alles wirkt wie eine Mischung aus Rennzirkus und Ochsenrennen. Mehrere Wertungsläufe lang wird ernsthaft und mit harten Bandagen in teils atemberaubenden Drifts gefightet - und doch ist es eine Riesengaudi. Da wundert man sich auch nicht über Rennsportaccessoires wie die Fahrradklingel an Fips Dauderers Simson.

Simson

Der frühere Waffen- und Fahrzeughersteller Simson wurde 1856 von den Brüdern Löb und Moses Simson in Suhl/Thüringen gegründet. Seine heutige Bekanntheit erlangte Simson durch die in der DDR in großen Stückzahlen hergestellten Zweiräder. Mit insgesamt knapp sechs Millionen hergestellten Krafträdern ist Simson bis heute der größte Zweiradhersteller Deutschlands. Bekannt sind vor allem die Mopeds "Schwalbe" sowie "S 51 Enduro". In Suhl werden heute noch Ersatzteile hergestellt. slg​

Von Dauderer erfährt man auch, woran es lag: "Kupplung durchgegangen. Mal wieder." Das alte Lied. Die Kupplung badet in Öl, mit der Haftung aber sieht's beschränkt aus. Die Mopeds haben halt alle ähnliche Macken. Dauderer hat drei Simsons aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Zwei davon sind wegen der Kupplung nun out of order. Er geht zum Wertungswagen und ruft dem Vorsitzenden seines Vereins die Hiobsbotschaft zu: "Für'n Supercup kannst mi streich'n". Keine Überraschung für Paul Knott, der später erklären wird: "Die aufgebohrten S51-Supercup-Modelle gehen schon gut, aber sie halten nicht lang, irgendwann scheppert's". 2002 hat sich der Dauderer, der in Haimhausen im Landkreis Dachau wohnt, seine erste Simson angeschafft, nachdem er sich 1972 mal im Sandbahn-Speedway versucht und schnell gemerkt hat, dass das eine Nummer zu halsbrecherisch ist. Mit den Simsons fahre er aber immer "volles Rohr" - bei den deutschen Simson-Meisterschaften schaffte er vor zwei Jahren einen formidablen sechsten Platz.

Trotz aller Unkenrufe beweisen Simsons, sofern man sie nicht zu sehr treibt, auch jenseits der populären Schwalbe-Variante ihre Alltagstauglichkeit. Am Rande der mit Heuballen gesicherten Strecke steht Alexander Müller. Seine Simson, Baujahr 1982, hat zwar ein gültiges Versicherungskennzeichen, den Weg von Peißenberg hierher aber ganz relaxt auf dem Autoanhänger zurückgelegt. Und das, obwohl die Simson als einziges Moped weit und breit ganz legal 60 statt 50 Sachen fahren darf, sofern sie vor 1992 erstmals zugelassen worden ist. 970 Euro hat der 17-Jährige hingeblättert für eine Simson in gutem Zustand. Für den Schulweg sei das viel cooler als irgend ein Motorroller aus Fernost.

Mit Schulweg hat das, was gerade auf der Rennstrecke passiert, wenig zu tun. Zwei Fahrer beharken sich mit Beinkontakt. "Drauf bleib'n, nur ned runterfallen", hallt Knotts gut gemeinter Tipp aus den Lautsprechern. Und dann, anerkennend: "Der lasst's Gas stehen". "Der" - das ist Fips Dauderer, dieser Tausendsassa, der nach dem Ausscheiden im Supercup in der Nostalgieklasse das Feld von hinten aufgerollt hat. Hinterm Gutshof Graßlfing erringt er um kurz nach zwei an diesem Nachmittag einen respektablen zweiten Platz. In der Endabrechnung wird es Rang fünf.

Das Beste: kein Kolbenfresser. Und die Kupplung hält. Dauderer ist gerüstet und hat den 14. Juli 2019 fest im Blick. Dann steigt das nächste Rennen der Simsonfreunde Graßlfing.

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