Erst das Jackett, dann die Weste, danach das Hemd und schließlich das schwarze Top - jetzt ist der Oberkörper frei. Die Tattoos auf Mike Beckers Oberarmen zeichnen sich auf der glattrasierten Haut ab. Der 33 Jahre alte gelernte Autolackierer aus München dreht sich zu seinem Publikum und schaut in etwa hundert Gesichter größtenteils junger Frauen in einem Kinosaal. Becker strippt zur Einstimmung auf die Preview des dritten Teils von "Fifty Shades of Grey" im Germeringer Cineplex .
Eine Freiwillige hat sich bereit erklärt, Öl auf seinem Oberkörper zu verteilen. Becker führt ihre Hand in Richtung seines Schritts, der lediglich von einem schwarzen Satin-Tuch bedeckt ist. Seine Hand legt er hinter die rechte Ohrmuschel, um den Zuschauerinnen zu signalisieren: Ich brauche Jubel. Und sie jubeln. Allerdings will die Stimmung nicht so richtig hochkochen. Nach ein paar Zurufen verstummen die Frauen im Saal. Stattdessen tuscheln und kichern sie oder kauen an den Strohhalmen ihrer Softdrink-Becher. Nach dem Auftritt sammelt Becker seine Sachen hastig zusammen, der Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Während er hastig die Stufen zum Ausgang hochläuft, ruft er den Frauen zu: "Was ist los? Lacht doch ein bisschen!"
Zwei Minuten später steht er schwer atmend vor vier Männern in wetterfesten Jacken und karierten Hemden. Jeder von ihnen hat ein schwarzes Klemmbrett mit ledernem Einband in der Hand. Hauptzollamt München, sagen sie, Finanzkontrolle Schwarzarbeit. "Arbeiten Sie gerade?", fragen sie alle Anwesenden im ersten Stock der Kinohalle. "Das ist nur Promotion für mich selber", hört man Becker immer wieder sagen. Werbung für ihn als selbständiger Entertainer und Stripper und seine Firma also - aber "keiner verdient hier Geld". Die Beamten bemühen sich um ein verbindliches Lächeln - und bitten Becker, seinen Gewerbeschein vorzulegen. Der hastet hin und her, kneift seine Augen zusammen, läuft kurz hinter die Bühne, kommt sichtlich nervös wieder zurück. Nein, er habe das geforderte Dokument "heute leider nicht dabei".
Nicht weit entfernt vom Eingang zum Kinosaal haben zwei Frauen von der Firma Pepper Parties, die Sexspielzeug für Frauen im Programm führt, einen Promotion-Stand aufgebaut. Sie wollen die Gelegenheit nutzen, um Werbematerial an die Frauen zu verteilen, die zur Filmvorschau gekommen sind. Seit sechs Uhr abends und damit bereits zwei Stunden vor Beginn der Strip-Show, "hängen die hier rum", sagt eine Frau und nickt vielsagend Richtung Zöllner. So eine Kontrolle habe sie noch nie erlebt. Die Männer vom Zollamt widersprechen: "Das ist eine ganz normale Routinekontrolle." Alltagsgeschäft: Solche Besuche statteten sie verschiedenen Unternehmen in regelmäßigen Abständen ab. Sie seien völlig "verdachtsunabhängig" gekommen. Sascha Hoffmann, Inhaber einer Security-Firma und Freund Beckers, erzählt, in seiner Branche gebe es solche Kontrollen alle drei bis vier Monate. Die Zöllner kämen auch mal zufällig vorbei, "wie die Schmeißfliegen". Zu den Promoterinnen der Pepper-Parties sagt er: "Ihr seid hier nur Gäste". Nach einer Weile taucht die Kinoleiterin Katharina Vidal auf. Der Kontakt zu Becker bestehe schon seit dem vergangenen Jahr, erzählt sie, das sei allerdings vor ihrer Zeit in Germering gewesen. Mit der Stripshow wollte sie den Besuchern "ein Highlight bieten". Dass es zu einer Kontrolle kommen würde, habe sie nicht geahnt.
Mike Becker muss nun aber schnell zum nächsten Auftritt, er ist schon spät dran. "Die Kontrolle macht mir nichts aus. Ich bin aus dem Schneider", erklärt er. Trotzdem wirkt er angespannt, seine Augen sind unruhig. Er bindet sich eine schwarze Maske um - die zweite Show geht los. Dieses Mal mit etwas mehr Männern im Saal: Die Zöllner filmen Becker bei seinem Auftritt. Kaum ist er wieder angezogen, stellen sie sich mit ihm in eine Ecke. Ihre Arbeit - Befragung und Kontrolle - beginnt jetzt.