Engelsberg:Das Salve Regina vom Engelsberg

Hoch oben über Fürstenfeld säumen knorrige Bäume einen ehemaligen Burgstall nebst geheimnisvoller Mariensäule.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Plötzlich steht sie da, wie aus dem Boden gewachsen. Es passt zu diesem Ort, der nur einen Steinwurf entfernt ist von der pulsierenden Kreisstadt. Und doch irgendwie ganz weit weg, entrückt von dieser Welt. Der Engelsberg hoch über den Dächern von Fürstenfeldbruck ist ein mystischer Ort. Gekieste Wege und mit Holzpflöcken befestigte, steile Treppen führen hinauf auf den Sporn eines eiszeitlichen Moränenzuges, zu der Stelle, an der im Mittelalter ein Burgstall gelegen haben soll. Steile Hänge begrenzen das Plateau an drei Seiten und boten früher guten Schutz vor marodierenden Horden oder lichtscheuem Gesindel.

Lediglich über eine Erdbrücke gelangt man aus Richtung des benachbarten landwirtschaftlichen Anwesens nebst Engelsberger Hofladen auf das Areal, das von knorrigen Lärchen, Buchen, Roteichen, Fichten und Spitzahornen gesäumt ist. Deren betagte Stämme scheinen mit Furunkeln, Narben und Warzen übersät zu sein, die kahlen Äste sich wie verdorrte Finger zum Himmel zu strecken.

Auf den Resten eines Burgwalls, dessen Hang von einem schier unentwirrbaren Wurzelgeflecht durchzogen ist, steht die Mariensäule, die der Klosterschreiner Bruder Desiderius Mentelschön im 18. Jahrhundert erschaffen hat. Bevor sie von der Platzmitte an den Rand versetzt wurde, war sie flankiert von holzgeschnitzten Engeln, die von den ereignisreichen Jahrhunderten verzehrt worden sind.

Vor der Mariensäule steht an diesem kalten Dezembernachmittag auf der dicken Schicht hellbraunen Herbstlaubs plötzlich die Frau mit dem roten Kurzhaarschnitt. Über der Jeansjacke trägt sie einen Rucksack. Kein Rascheln hat sie angekündigt. In einem Moment absoluter Ruhe blickt sie hinauf zur Mutter Maria, die das Jesuskind im Arm hält - im Gehäuse aus vergilbtem Holz, über einem verwelkten, blassgrünen Kranz, der am rauen Zementsockel hängt. Zu ihren Füßen wacht in einer Nische ein blasser, blauäugiger Engel neben einem erloschenen Grablicht über diesen Ort - hinter schmiedeeisernen Gitterstäben in Herzform.

Mehr als den Vornamen Bernadette will die Wanderin nicht von sich preisgeben. Aber das passt zu diesem geheimnisvollen Ort. Die Geschichte des Engelsbergs kenne sie im Detail nicht, räumt Bernadette alsdann ein. Und obwohl sie bereits mehr als 30 Jahre in Fürstenfeldbruck lebt, sei sie erst vor drei Jahren eher zufällig auf die Mariensäule hoch oben über der Stadt gestoßen. Es ist das dritte Mal, dass sie auf dem Weg von Gelbenholzen diesen Umweg nimmt für einen Moment der inneren Einkehr. Warum? "Es kann nichts schaden", erwidert Bernadette schelmisch, "und vielleicht bringt's ja sogar was."

Vertrauter als die Sagen, die sich um den Engelsberg ranken, ist der Wanderin die Geschichte des Klosters, die eng verbunden ist mit Herzog Ludwig dem Strengen. Anno 1256 ließ er seine Gemahlin Maria von Brabant wegen vermeintlicher Untreue enthaupten. Im Jahr 1263 gründeten dann die Zisterzienser auf dem Feld des Fürsten das Kloster, dessen Errichtung dem Herzog von Papst Alexander IV. als Zeichen der Sühne auferlegt worden war. Blutige Geschichte. Für ihren Geschmack ist das Kloster unten in den sumpfigen Niederungen, das seine Entstehung einem blaublütigen Tyrannen zu verdanken hat, zu protzig geraten. Daraus macht Bernadette keinen Hehl, schüttelt missbilligend den Kopf.

Sie steht nun dort, wo die Engel gesungen haben sollen. Heute stehen auf der Bergkuppe ein paar Ruhebänke, hinter denen die Siebenbürger Sachsen vor sechs Jahren eine Linde gepflanzt haben. Ansonsten lässt die vielleicht 40 Meter messende Lichtung Raum für Fantasie. Es ist dies der stimmungsvolle Rahmen für die alljährliche Waldweihnacht, bei der viele Brucker der Einladung der örtlichen Erlöserkirche folgen - der passende Ort, um bei Fackelschein über die wichtigen Dinge im Leben nachzudenken und dem Adventstrubel für einen Augenblick zu entfliehen.

Engelsberg: SZ-Grafik

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Heimatkundler Robert Weinzierl hat sich mit dem Engelsberg eingehend beschäftigt und ist auch über die Sache mit den Engelsstimmen gestoßen, die in ruhigen Nächten angeblich zu hören waren. Man kann es sich gut vorstellen, wie die feinen Stimmen dereinst die Stille durchbrachen: "Gegrüßet seist du, Königin, o Maria, erhabne Frau und Herrscherin, o Maria, o Mutter der Barmherzigkeit, die du der Sünder Zuflucht bist, wir Kinder Evas schrein zu dir, aus Tod und Elend rufen wir ..., grüßet eure Königin: Salve, salve, salve Regina!" Die Engelsfiguren sollen jeweils eine Tafel mit einer Strophe des Liedes gehalten haben.

Den Burgstall, also die kleine Variante einer Festung, gab es mindestens seit dem 12. Jahrhundert. Er lag damals an einer Nebenstraße der Fernverbindung von Salzburg nach Augsburg. Die Strecke zweigte in Gilching von der alten Römerstraße ab und führte über Germannsberg und Pfaffing an der Burg vorbei zur alten Amperbrücke und von dort über Puch nach Augsburg. In Puch, ebenso wie in den Nachbarorten Roggenstein und Gegenpoint, lagen weitere dieser sogenannten Erdwerke. Nahten Feinde, dann konnten die Bewohner der Burgen sich durch Feuer- oder Rauchzeichen warnen. Den Ort Bruck, aus dem später Fürstenfeldbruck wurde, gab es damals noch nicht.

Die Burg diente wohl zur Sicherung von Reisenden und dem Eintreiben des Brückenzolls. 1285 wird letztmals eine Munitio, also Schanze oder Befestigung, erwähnt. Auf der Landkarte Philipp Apians aus dem 16. Jahrhundert findet sie sich nicht mehr.

Wer spätabends auf den Engelsberg heraufkommt und wartet, bis der sonore Glockenschlag der Barockkirche verklungen und das Sirren der vorbeifahrenden S-Bahn abgeebbt ist, der kann die lieblichen Stimmen freilich bis heute vernehmen. Den Engeln konnten die dunklen Kapitel des Mittelalters nichts anhaben. Vielleicht schenkt die geflügelte Putte in der Nische der Mariensäule dem Besucher auch deshalb ein so unbeschwertes Lächeln.

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