SZ-Kulturpreis Tassilo:Die Autorin der Zukunft

SZ-Kulturpreis Tassilo: Dass sie einmal von ihren Romanen leben wird, kann sich Theresa Hannig lange Zeit nicht vorstellen. Doch dann gewinnt sie einen Literaturpreis und entscheidet, sich voll aufs Schreiben zu konzentrieren.

Dass sie einmal von ihren Romanen leben wird, kann sich Theresa Hannig lange Zeit nicht vorstellen. Doch dann gewinnt sie einen Literaturpreis und entscheidet, sich voll aufs Schreiben zu konzentrieren.

(Foto: Theresa Hannig)

In ihren Romanen fragt die Brucker Schriftstellerin Theresa Hannig, wohin sich eine weiter technisierte Welt entwickeln könnte. Ihre Ideen bringt sie auch in gesellschaftliche Debatten ein. Für ihr Engagement ist sie nun für den Tassilo-Preis der SZ nominiert.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

"Mama, mir ist langweilig." Dieser klassische Kindersatz war es, der das Leben von Theresa Hannig nachhaltig verändern sollte. Genauer gesagt war es die Antwort, die ihre Mutter dem damals achtjährigen Mädchen Anfang der Neunzigerjahre gegeben hat: "Dann schreib' doch eine Geschichte". Hannig folgt dem Vorschlag und schreibt. Nicht einfach nur eine Geschichte, sondern gleich ihr erstes Buch. Dass sie 30 Jahre später an ihrem fünften Roman sitzen und hauptberuflich Schriftstellerin sein wird, die mit zwei Preisen ausgezeichnet und nun für den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung nominiert wird, ahnt sie damals freilich noch nicht. "Das war damals ganz schlimmes Zeug, eine Mischung aus Star Wars, He-Man und Saber Rider. Ich habe alle Geschichten noch", erinnert sich die Fürstenfeldbruckerin an ihre ersten Texte. Immer sei es darin um große Helden gegangen, die die Welt retten wollen.

"Als Kind hat man viel Pathos, das man ausleben will. Und gleichzeitig ist man maximal machtlos. Da war es toll für mich, über Helden zu schreiben, die sich für das Gute aufopfern. Als Teenager hast du dann immer das Gefühl des großen Lebensdramas. Wenn man darüber Tagebuch schreibt, suhlt man sich oft in seinem eigenen Unglück. Aber wenn man Geschichten schreibt, kann man alles viel größer machen und ihm einen Sinn geben. Das war für mich sehr heilsam", sagt die 38-Jährige. Dieser gewisse Eskapismus sei etwas, das sie bis heute begeistert. Und sie zitiert den britischen Science-Fiction- und Fantasy-Autor Neil Gaiman, der einmal gesagt habe, dass die einzigen, die etwas gegen Eskapismus haben, die Gefängniswärter sind.

Lange zweifelt die 38-Jährige, ob sie als Schriftstellerin erfolgreich sein kann

Trotz ihrer frühen Leidenschaft für das Schreiben, begibt sich Hannig erst einmal auf einen anderen Weg. Als gegen Ende der Schulzeit Bekannte überraschend ein Handyspiel an einen großen Mobilfunkanbieter verkaufen, suchen sie verzweifelt nach Leuten, die es programmieren können. Hannig sagt zu, hat bis dahin aber noch nie programmiert. Also bringt sie sich selbst das nötige Wissen bei. Sie macht ihren Job gut und wird von einem Unternehmen abgeworben, arbeitet fortan als Beraterin in der IT-Sicherheit. In ihrer Freizeit aber schreibt sie immer weiter. "Ich hatte viel in der Schublade, aber ich habe mir immer gesagt, das wird nichts. Niemand wird damit erfolgreich, das ist wie Lotto." Trotzdem schickt sie Texte an Verlage, bekommt meist nicht einmal eine Reaktion.

SZ-Kulturpreis Tassilo: Bei einer Veranstaltung des "Climate-Cultures Network Berlin" ist Theresa Hannig (Zweite von rechts) als Sprecherin eingeladen.

Bei einer Veranstaltung des "Climate-Cultures Network Berlin" ist Theresa Hannig (Zweite von rechts) als Sprecherin eingeladen.

(Foto: Jan Michalko/oh)

Mit Hilfe einer Literaturagentin überarbeitet sie eines ihrer Manuskripte und reicht es 2016 beim damals erstmals ausgeschriebenen Stefan-Lübbe-Preis des Bastei-Verlags ein. Und gewinnt. Der Preis: Das Buch wird verlegt. Ein Jahr später hält sie dann ihren ersten Roman "Die Optimierer" in der Hand, eine Dystopie der Bundesrepublik 2052, in der Roboter für Wohlstand sorgen und eine "Agentur für Lebensberatung" alle Menschen überwacht, um ihnen ihren Platz in der Gesellschaft zuweisen zu können. Das Buch wird direkt mit dem renommierten Seraph-Literaturpreis für Phantastik auf der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Der Erfolg ihres Debüts kommt in einer Phase, in der die zweifache Mutter gerade aus der Elternzeit kommt. "Ich habe mich gefragt, wie es mit meinem Leben weitergehen soll und entschieden, dass das ein Wink des Schicksals war und ich jetzt hauptberuflich schreiben will. Seitdem bin ich Autorin", sagt Hannig. "Es hat zwar 20 Jahre gedauert, aber das war gut, so habe ich wenigstens etwas zu erzählen". Mittlerweile gehört die Fürstenfeldbruckerin zu den wenigen Frauen, die in Deutschland im Science-Fiction- und Fantasy-Bereich vom Schreiben leben können.

Für ihren fünften Roman hat sie mehrere Aktionen von Klimaaktivisten besucht

Aktuell arbeitet sie an ihrem fünften Roman, es geht um die Zukunft des Klimaaktivismus. Dafür hat sie in den vergangenen Monaten mehrere Aktionen in der ganzen Bundesrepublik besucht, um einen authentischen Eindruck zu bekommen. Eine Besonderheit von Hannigs Büchern ist dabei, dass sie immer in der Region München und in der Zukunft spielen. Während ihre ersten beiden Roman eher von einer düsteren Welt erzählen, beschreibt das zuletzt erschienene "Pantopia" eine Gesellschaft in der eine sich selbständig machende künstliche Intelligenz das Leben der Menschen zum Guten, Schönen und Gerechten verändern möchte.

Zeit, um zu schreiben, hat die 38-Jährige - so paradox es klingen mag - nur selten. Nicht nur, weil sie zwei Kinder hat, sondern vor allem, weil zu ihrem Leben als Schriftstellerin wesentlich mehr gehört. Sie gibt Lesungen, hält Vorträge, veranstaltet Workshops an Universitäten und in Schulen und wird als Speakerin gebucht. Gerade die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern ist ihr wichtig, deshalb entwickelt sie zu jedem ihrer Bücher passendes Unterrichtsmaterial. Zudem wird sie regelmäßig für Auftragsarbeiten angefragt. Einmal beispielsweise habe sie für ein Unternehmen einen Roman geschrieben, das seinen Mitarbeitern seine Zielgruppen in fünf Jahren anhand der Geschichte näherbringen wollte. "Obwohl Schreiben für mich das Schönste ist, dauert es oft lange, bis ich wieder anfangen kann. Aber wenn es soweit ist, kann ich auch drei Tage durchgehend dran sitzen. Manchmal nehme ich mir ein Zimmer und schreibe dann mehrere Dutzend Seiten am Stück."

Hannig setzt sich auch für politische Themen ein

Dass es mit der Zeit manchmal schwierig wird, liegt auch daran, dass sich Hannig für zahlreiche Anliegen einsetzt - man darf sie wohl guten Gewissens auch eine Aktivistin nennen. 2019 hat sie für Aufsehen gesorgt, als sie eine Grundsatzdebatte auf Wikipedia ausgelöst hat. Unter dem Hashtag #wikifueralle hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen und nicht-binäre Menschen auf der Plattform deutlich unterrepräsentiert und benachteiligt sind. Schnell hat sie für ihre Aktion Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden.

Seitdem ist der Kampf für die Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit eines ihrer Anliegen. So will sie mit der Aktion #fantastischeFRAUEN dafür sorgen, dass die immer noch männliche dominierte Science-Fiction- und Fantasy-Literatur in Deutschland auch die Autorinnen wahrnimmt. Dafür hat die 38-Jährige verschiedene Datenbanken ausgewertet und herausgefunden, dass zwar etwa 25 Prozent der Titel in dem Genre von Frauen geschrieben werden, aber nur zwei bis zehn Prozent der Preise an sie verliehen werden.

Auch wenn Hannig gezeigt hat, dass es Frauen in der Science-Fiction-Literatur grundsätzlicher schwerer haben, habe sie selbst nur wenig von dieser Ungleichheit gespürt, erzählt sie. "Aber ich bin auch mit zwei Preisen in den Job gestartet. Ich persönlich habe keine nennenswerte Diskriminierung erfahren, aber ich kenne Kolleginnen, die es schwer hatten, ihre Bücher im Verlag unterzubringen oder von Rezensenten beachtet zu werden." Ein drittes Projekt hat sie während der Pandemie unter #wellenbrecher gestartet, bei dem sie gemeinsam mit 70 Unterstützerinnen und Unterstützern für die Einhaltung der AHA-Regeln geworben hat. Als Expertin für Zukunftsthemen schreibt sie seit Anfang Dezember zudem eine monatliche Kolumne in der TAZ.

SZ-Kulturpreis Tassilo: Theresa Hannig (links) bei einer Diskussion bei der Langen Nacht des wissenschaftlichen Schreibens in der Universitätsbibliothek der Bauhaus Universität Weimar.

Theresa Hannig (links) bei einer Diskussion bei der Langen Nacht des wissenschaftlichen Schreibens in der Universitätsbibliothek der Bauhaus Universität Weimar.

(Foto: Thomas Müller/Bauhaus Universität Weimar)

So sehr sich Hannig für die großen Themen der Welt interessiert, so wichtig ist es ihr, sich auch vor Ort zu engagieren. Im Oktober 2021 ist sie für die Grünen in den Fürstenfeldbrucker Stadtrat nachgerückt. Dort setzt sie sich für eine Mobilitätswende und natürlich den Klimaschutz ein. So hat sie sich deutlich gegen den Bau einer Eishalle ausgesprochen, der aktuell in der Kreisstadt geplant wird. Und auch in der lokalen Kultur engagiert sich die 38-Jährige. So hat sie beispielsweise im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Schauspielerin und Regisseurin Christina Schmiedel ihren dritten Roman "König und Meister" komplett neu als Theaterstück für die Neue Bühne Bruck geschrieben.

Dass die Leserinnen und Leser schnell von Hannigs Texten gefesselt werden, liegt auch an den starken und authentischen Figuren, die sie durch ihre unbekannten, zukünftigen Welten stolpern lässt und die sich dort genauso an Vieles gewöhnen müssen. "In Pantopia liebe ich alle Figuren! Ich habe sehr gerne Zeit mit ihnen verbracht und es ist mir schwergefallen, sie abzugeben. Solange ich schreibe, teilen wir eine gemeinsame Welt und ich fühle mit den Figuren mit; ich kämpfe mit ihnen und weine auch schon mal mit ihnen. Sobald sie zwischen zwei Buchdeckel gepackt sind, gehören sie mir nicht mehr alleine. Es ist also höchste Zeit, dass ich mir neue Freunde mit dem nächsten Buch herbeischreibe."

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