Sagen und Mythen:Wie ein Lockruf im Ampermoos Menschen ins Verderben riss

Kottgeisering: Wettersituation Ampermoos

Geheimnisvolles Land: Der Reiz des Ampermooses erschließt sich am besten bei Nebel oder in der Dämmerung.

(Foto: Johannes Simon)

Wanderer sollen einst in dunklen Nächten buchstäblich vom Erdboden verschluckt worden sein. Hat die legendäre Mooskuh dabei eine Rolle gespielt?

Von Stefan Salger, Grafrath

Nebel, einbrechende Dunkelheit, gerne Nieselregen - so stellt man sich die besten Bedingungen für einen Besuch des Ampermooses vor. Jedenfalls dann, wenn man der sagenumwobenen Mooskuh nachstellen will, die arglose Wanderer ins Moor lockt. Doch auch der frühlingshaft anmutende Tag hat seine Vorteile. So nämlich trifft man am Vogelbeobachtungsturm Klaus Mann. Der 63-Jährige kann einem zwar nicht dienen mit konkreten Hinweisen auf die Mooskuh. Als Ausgleich kann er berichten, was ihm sonst so alles vor den Feldstecher fliegt und läuft.

Wer solche Erfahrungsberichte sammeln will, muss auf der Strecke zwischen Grafrath und Kottgeisering nach links abzweigen und sich zu Fuß aufmachen zu dem weithin sichtbaren Bauwerk. Ein Trampelpfad führt an erläuternden Bildtafeln und zwischen hoch aufragendem Schilf hindurch. Über Stahlgittertreppen geht es hinauf zur Plattform des sehr massiv wirkenden, aus dicken Holzbohlen konstruierten und mit Holzschindeln gedeckten Bauwerks, das 2015 der Form eines Vogelkopfes nachempfunden wurde.

Oben steht Klaus Mann, wie zu einer Salzsäule erstarrt. Der Münchner ist mit dem Fahrrad von Fürstenfeldbruck auf dem Ammer-Amper-Radweg hergekommen, um ein weiteres Mal einzutauchen in diese "mystische, einzigartige Gegend", die nur auf den ersten Blick monoton, karg, fast langweilig anmutet. Der Turm liegt nicht weit von der viel befahrenen Straße. "Die Tiere stört das nicht, die gewöhnen sich an das unablässige Rauschen des Verkehrs", sagt Mann.

Von links, wo die Grafrather Kirchtürme zu sehen sind, schweift sein Blick über den Mutterbach und eine hellbraun-gelbliche Landschaft hinweg bis hin zu den Büschen, die Richtung Ammersee in der Ferne verschwimmen. Nur wer genügend Zeit mitbringt, wird sie zu sehen bekommen: Wildschweine, Biber Rehe, Füchse Fasane, Elstern, Gänse, Raubwürger und Silberreiher - auch ein Brachvogelpaar soll es hier noch geben. Und in den mäandernden Bächen mehr als 20 Fischarten.

Im Turm hängen auch Informationstafeln über sehr seltene Gäste. Da ist die vom Aussterben bedrohte Bekassine mit ihrem charakteristischen langen Schnabel und dem braun-weißen Federkleid. Das Ampermoos zählt mit 25 bis 30 Paaren zu den wichtigsten bayerischen Brutgebieten der Bekassine. Bei der Flugbalz gibt sie einen markanten Meckerlaut zum besten. Deshalb trägt sie den Spitznamen "Himmelsziege".

Filmemacher dokumentieren das Leben seltener Vögel

Besonders attraktiv für Jäger, die sich mit Fotoapparat oder Fernglas auf die Pirsch machen, sind auch die Kornweihen, die zwischen Oktober und April in dem Naturschutzgebiet anzutreffen sind - meist sind sie ein bis zwei Stunden vor Sonnenuntergang zu beobachten. Diese seltenen und sehr majestätischen Greifvögel, die sich von Kleingetier wie Mäusen ernähren, schlafen gemeinsam nicht etwa auf einem Baum, sondern auf dem Boden - im Schutz des Schilfs.

Die Kornweihen werden zurzeit auch von einem bekannten Fürstenfeldbrucker Filmemacher in den Fokus genommen: Seit mehreren Monaten schaut Florian Guthknecht, 47, mit seinem Team immer mal wieder im Ampermoos vorbei, um unter fachlicher Betreuung durch den Biologen und Vogelschützer Christian Niederbichler das Leben der braunen Weibchen und der graublauen Männchen sowie anderer Wildtiere zu dokumentieren.

Eines der größten Niedermoore Süddeutschlands

Sie streifen durch das Refugium, das eines der größten zusammenhängenden Niedermoore Süddeutschlands darstellt. Es erstreckt sich entlang der Amper über fünf Kilometer, vom Ammersee bis nach Grafrath. Seit es 1982 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, erholt es sich langsam von den Folgen der intensiven Nutzung, der Überdüngung oder auch dem exzessiven Torfabbau. Vor gut drei Jahren wurde eine Sohlschwelle eingebaut, um den Wasserspiegel wieder anzuheben und das ganze Areal wieder zu vernässen. So bleibt ein Naturjuwel erhalten.

Weder Guthknecht noch der sehr geduldige Klaus Mann werden freilich zwei Wesen zu sehen bekommen, die kaum voneinander zu trennen sind: Weder die sagenhafte Mooskuh noch die Rohrdommel, die dem vierbeinigen Fabelwesen die Stimme geliehen hat. Denn die Rohrdommel gibt es im Ampermoos nicht mehr. Zu sehen war ein ausgestopftes Vogelpaar jüngst in einer Ausstellung auf dem Jexhof.

Ihr nächtlicher Ruf jedenfalls glich dem angstvollen Brüllen einer Kuh, wie sich bereits 1938 einem Text von Alfred Laubmann (1886-1965), dem früheren Leiter der Zoologischen Staatssammlung München, entnehmen ließ. In dem Werk ist auch zu lesen: "Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, dass die Rohrdommel noch bis in den Anfang unseres Jahrhunderts hinein auf dem Ampermoos gebrütet hat." Bei einer Exkursion im April 1937 habe der Wissenschaftler in einem Schilffeld nahe der Grafrather Klosterkirche mit eigenen Ohren die markanten Rufe vernommen.

Und die Mooskuh? Auch die ist längst abgetaucht, ist alten Überlieferungen zufolge aber durchaus real - mag sie auch von ungewöhnlicher Gestalt gewesen sein. Den Spitznamen "Mooskuh" trug die Maria Therese, das erste Dampfschiff, das am 10. Mai 1880 die neue Amper-Schifffahrtslinie zwischen Inning und Grafrath eröffnete. Und das nicht ohne Grund. Denn die gesamte Strecke zwischen Grafrath und dem Ammersee führte durch das verwunschene Ampermoos, und die Schiffssirene ähnelte auf schauerliche Weise dem Ruf der legendären Mooskuh.

Näher kommt man dem Phänomen der Mooskuh heute nicht mehr. Alle Versuche, selbst das Ampermoos zu erkunden, enden schnell in den Sackgassen kurzer Feldwege und mit nassen Füßen. Einen Steinwurf vom Kottgeiseringer Friedhof entfernt steht man unter einem mächtigen Baum, der seine dürren Zweige mahnend gen Himmel reckt, und kann sich beim Blick über die endlose Weite schon vorstellen, dass dieses Moor das eine oder andere Geheimnis birgt.

Eine ortskundige Spaziergängerin dämpft allzu große Hoffnungen, diese aufzudecken. Ja, es gebe wohl ein paar schmale Pfade. Aber nein, Genaues wisse auch sie nicht, weil sie sich noch nie weiter hinein gewagt habe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: