Rückblick auf das Pandemie-Jahr:Von Vulnerablen und Vakzinen

Von Beginn der Pandemie an heißt es, die ältere Generation müsse am besten geschützt werden. Doch selbst wochenlange Isolation in den Alten- und Pflegeheimen schützt weder Bewohner noch Personal vor Infektionen. Erst am Ende des Jahres gibt es mit den ersten Impfungen in Germering einen kleinen Lichtblick

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Es herrscht gelöste Stimmung im Erdgeschoss des Pflegezentrums Eichenau, als Dirk Spohd die Leitung an Susanne Brenner übergibt. Spohd wird einer der beiden Geschäftsführer der Hilfe im Alter gGmbH, Trägerin der Eichenauer Einrichtung, werden. Die neue Heimleitung ist nun ganz weiblich, neben Leiterin Susanne Brenner steigt Annemarie Daffner zur Pflegedienstleiterin auf und übernimmt damit Brenners bisherige Aufgabe. Es wird gefeiert an diesem Nachmittag, alles ist noch unbeschwert. Doch warum sind diese Personalien wichtig in einem Rückblick auf das Jahr 2020? Was hat es mit dem Altenheim in Eichenau auf sich? Und warum wird das Datum, 17. Januar, so betont?

Weil zwei Tage später ein paar Kilometer weiter, in der Firmenzentrale von Webasto in Stockdorf, eine Frau aus China das Coronavirus nach Deutschland bringt. Von da an wird sich alles ändern, auch für Susanne Brenner. Die Pandemie wird sie wie andere in der Altenarbeit vor nie gekannte Herausforderungen stellen. Ebenso wird es den Leiterinnen und Leitern weiterer Alten- und Pflegeheime gehen. Denn sie müssen sich um jene Menschen kümmern, die von der Politik von Anfang an als die schützenswerteste Gruppe angesehen wird. Und es wird ein Begriff Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch finden. Der von den "vulnerablen Gruppen", also jenen Menschen, die am verletzlichsten sind und dem Virus am wenigsten entgegensetzen können. Alte und behinderte Menschen.

GERMERING: Start der Corona Impfungen in Bayern

Frisch geimpft treten am Sonntag, 27. Dezember, Ärztin Katja Ruppert (von links), Curanum-Bewohner Helga Klingseisen, Matthias Skrzypczak, ärztlicher Leiter des Impfzentrum, Curanum-Leiterin Pia Freyberger, Kurt Klingseisen und Pflegedienstleiter Reiner Triebsch beim bayernweiten Impfauftakt vor die Presse.

(Foto: Leonhard Simon)

Um den 1. April herum ist niemand zu den sonst üblichen Scherzen aufgelegt, denn das Sars-Cov-2-Virus dringt nun nun auch in die Altenheime vor. Im Germeringer Curanum erhält eine 80 Jahre alte Bewohnerin nach ihrem Test einen positiven Bescheid. Auch im Theresianum in Fürstenfeldbruck sind eine 98 Jahre alte Bewohnerin und eine Mitarbeiterin positiv worden. Die weiteren Test zeigen einen Ausbruch im Theresianum: 20 Bewohner und 14 Mitarbeiter sind ebenfalls infiziert. Wenige Tage nach dem Test verstirbt die 98-Jährige. Ob Covid-19 die Todesursache war oder ihr Allgemeinzustand, lässt sich wie bei den vielen anderen Corona-Toten nicht sagen. Gesprochen wird nun von "mit dem Coronavirus gestorben". Bis zum Ende des Jahres werden es 86 Menschen gewesen sein, die mit einem positiven Befund gestorben sind.

In Eichenau erlebt Susanne Brenner die erste Welle und die langen Wochen der Isolation der Bewohner vom 13. März an. "Es hatte niemand Erfahrung", sagt sie rückblickend. Halt hat ihr bei ihren Entscheidungen nicht nur ihre Familie gegeben, die "hohe Bereitschaft der Mitarbeiter und die gute Zusammenarbeit" hätten ihr vieles erleichtert. So auch der Umgang mit den immer geringer werden Personalreserven. Denn jeder Corona-Verdacht bedeutete auch Quarantänezeiten. Richtig guten Schutz gab es für die Mitarbeiter der Altenheime ohnehin nicht, überall fehlten Masken und Schutzkleidung. Zu Beginn der zweiten Welle im November, als es auch das Eichenauer Pflegezentrum mit einem Corona-Ausbruch hart traf, sei man wenigstens mit Schutzausrüstung ausgestattet und vorbereitet gewesen, sagt Brenner. Jeder im Haus hatte viel gelernt seit März.

Rückblick auf das Pandemie-Jahr: Seit Anfang des Jahres leitet Susanne Brenner das Alten- und Pflegezentrum in Eichenau.

Seit Anfang des Jahres leitet Susanne Brenner das Alten- und Pflegezentrum in Eichenau.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Schlimm wird es im Frühjahr für die alten Menschen, weil sie keinen Besuch empfangen dürfen. Selbst wenn ein Angehöriger im Sterben liegt, darf er nicht begleitet werden. Erst um Muttertag herum kommt es zu Lockerungen, die Isolation scheint vorerst beendet zu sein.

Doch die Erfahrung der ersten Pandemie-Monate kann nicht verhindern, dass die sogenannte zweite Welle der Corona-Infektionen vor allem in die Altenheime dringt. Die Einrichtung der Caritas in Gröbenzell ist schwer betroffen, Heimbewohner wie Mitarbeiter sind infiziert, leiden an Covid-19. Das Infektionsgeschehen ist aber, anders als im Frühjahr, nun nicht mehr nachzuvollziehen. Das Gesundheitsamt spricht davon, es sei "diffus". So müssen erneut Bereiche isoliert werden, alten Menschen die Kontakte mit ihren Angehörigen oder Freunden genommen werden.

Im Hintergrund läuft der "normale" Heimbetrieb aber weiter. So erzählt Susanne Brenner, wie sie mit einer Informationsflut zu kämpfen hat. Immer neue Vorschriften und Empfehlungen kommen herein, sie muss die Informationen aufbereiten und an ihre Mitarbeiter weitergeben. Dazu kommt eine intensivere Kontaktpflege mit den Angehörigen. Und dann müssen die Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Wie in der Gaststätte müssen sich Besucher in Anwesenheitslisten eintragen, es muss auf die Hygiene geachtet werden. Dazu werden die Mitarbeiter mit Schnelltests auf eine Infektion hin untersucht. Das bindet Kräfte. "Die Mitarbeiter sollen pflegen!", sagt Susanne Brenner, und diesen Ausruf werden ihr ihre Kolleginnen und Kollegen in Leitungsfunktion gleich getan haben.

Wie in Eichenau haben Leitung und Personal auch in anderen Alten- und Pflegeheimen in diesem ersten Corona-Jahr erlebt, wie ihre Häuser in einer Krise funktionieren. Viel ist über die Altenpflege geredet worden, jeder Politiker, der sich damit beschäftigt hat, hat die Beschäftigten gelobt. Mehr als ein Lob aber haben die Pflegekräfte nicht bekommen, ihr Job hat noch keine Aufwertung erfahren. Auch nicht dadurch, dass das Personal in Altenheimen und Pflegestationen nun zu den ersten gehört, die eine Schutzimpfung bekommen. Im Germeringer Curanum schließt sich am Jahresende der Kreis, als das Heim für den bayernweiten Auftakt der Impfaktion mit dem Vakzin der Firma Biontech ausgesucht wird. Helga Klingseisen, 83 Jahre alt, und ihr 91 Jahre alter Mann Kurt sind die ersten, die die Impfung im Beisein von Gesundheitsministerin Melanie Huml bekommen. Auch Curanum-Leiterin Pia Freyberger und Pflegedienstleiter Reiner Triebsch werden geimpft, sowie noch 86 Bewohner. Alle anderen, Alte wie Pfleger, müssen noch etwas warten. Aber sie dürfen hoffen.

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