Rokoko-Kunst:Die Erdinger Trias

Ländliche Kunstschätze: St. Bartholomäus in Hörgersdorf, die Pfarrkirche Mariä Geburt in Eschlbach und St. Johann Baptist in Oppolding verstecken sich im oberbayerischen Hinterland. Selbst vielen Einheimischen sind sie unbekannt. Dabei gelten die drei Gotteshäuser als Perlen des Rokoko

Von Gianna Niewel

Die Bäuerin heißt Huber, hat den Stall voller Kühe, zwei Katzen auf dem Hof und den Schlüssel zur Kirche. Und sie ist erstaunt. Nicht allzu oft klingelten Fremde bei ihr, um ihn zu leihen und Sankt Johann Baptist in Oppolding zu besichtigen. Das, sagt sie, sei schade, "denn die Kanzel sollte man gesehen haben". Doch von vorne. Beginnt man in Sankt Bartholomäus in Hörgersdorf, ist die Kirche immerhin in Dorfzentrum. Es gibt eine Bushaltestelle, die Gastwirtschaft hat zwar geschlossen, aber es gibt sie. Etwas abgeschiedener liegt die Pfarrkirche Mariä Geburt in Eschlbach. Sankt Johann Baptist liegt schließlich in der Oppoldinger Einöde. Der Hof von Familie Huber, die Kirche, das war's. Was man nicht erwartet: Alle drei Kirchen im Landkreis Erding sind kunsthistorische Perlen des Rokoko. Sie sind Beispiel dafür, dass eine Stilrichtung, die für Prunk steht, auch mit bescheidenen Mitteln umgesetzt werden kann.

Glaubt man der Inschrift in Sankt Bartholomäus in Hörgersdorf, stammt der Neubau aus dem frühen 18. Jahrhundert. Der Vorgängerbau war gotisch. Es ist das wohl pompöseste der drei Gotteshäuser, die Zierde erschlägt, das Gold der drei Altäre lässt den Betrachter schwindeln. Doch der Schmuck und der wuchernde Pomp des Rokoko dürften nie als Selbstzweck verstanden werden. Die Kunst um der Kunst willen zu verstehen, vernachlässige ihre theologische Lehrfunktion. "Der Schmuck ist für Leute, die Vorkenntnisse mitbringen", sagt Hartwig Sattelmair. Er ist seit einigen Jahren Kreisheimatpfleger und kennt die Kirchen der Region und deren Geschichte.

Gesamtkunstwerk

Der Begriff wurde erst in der Epoche der Romantik erfunden, lange nach dem Rokoko. "Seine Rückprojektion auf Barock und Rokoko liegt jedoch auf der Hand," heißt es im Katalognuch zur Ausstellung "Mit Leib und Seele" in der Hypo-Kunsthalle in München. "Denn hier verbinden sich vielerlei Kunstformen: Architektur, Stuck, Deckenmalerei, Altarbaukunst, Malerei, Skulptur und Goldschmiedearbeiten." Bei den meisten Rokoko-Kirchen jedoch ist das vermeintliche Gesamtkunstwerk das Ergebnis eines längeren Entstehungsprozesses, an dem mehrere Künstler beteiligt waren. Das neue Raumerlebnis sollte den Standort des Betrachters berücksichtigen und ihm die Illusion eines auf die Erde geholten himmlischen Geschehens vermitteln. bm

Die beiden Nebenaltäre in Hörgersdorf stammen von Johann Anton Pader, einem Stuckateur aus Dorfen. Der rechte zeigt Maria, die Reine, zu ihren Füßen liegt eine Mondsichel. An der rechten Seite des Altars, zum Hauptaltar hin, blüht eine Lilie. Spiegelbildlich auf dem rechten Nebenaltar entspricht der gehorsamen Maria das Bild der Büßerin Magdalena, die den Verführer Amor von sich weist. Links von ihr, also ebenfalls zum Hauptaltar hin, eine Agave. Auch sie ist nicht bloß Ornament. Als Symbol für Buße und Umkehr stiftet sie Sinn. Insgesamt sorgen die beiden Blumen dafür, dass die drei Altäre nicht hermeneutisch voneinander abgeriegelt scheinen, sondern vielmehr ein Gesamtkunstwerk mit fließenden Grenzen sind.

Wer das Tor zur Pfarrkirche in Eschlbach aufgesperrt und das eiserne Gitter hinter sich zufallen lässt, kommt in eine andere Welt. Draußen eine Kalbszucht und einige Einfamilienhäuser im Morgennebel, drinnen wirkt es, als wolle der Prunk der Enge des Ortes trotzen. Die Pfarrkirche Mariä Geburt ist ursprünglich gotisch. In den Jahren 1679 und 1680 baute sie der Erdinger Hans Kogler um, heute ist sie dreischiffig mit einer Kanzel an der rechten Langhauswand. Insgesamt ist die Kirche einfach gestaltet, die schräg in den Raum reichenden Nebenaltäre sind verhältnismäßig einfach. Lediglich ihre Abschlüsse nach oben fallen ins Auge. Es sind geschwungen leichte, freischwebende Ranken in Gold. Die Zierde im Innenraum ist leicht und filigran, die Eleganz der Kirche drängt sich nicht auf.

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Die Zeit, die an der Armut der Menschen krankte, ist hinter den Toren und Gittern der Kirche in ihr Gegenteil gewandt. Gold und Weiß, bunte Blumenmotive und Putten sollen einen Vorausblick in den Himmel gewähren, auf die Leichtigkeit, die dort wartet. "Die Hoffnung auf ein solches Jenseits tröstet hinweg über den Dreck im Diesseits", sagt Sattelmair. Der Kirchenbesuch sei immer auch eine Flucht gewesen, die zumindest für die Dauer der Messe Leid und Not erträglich machen sollte.

Selbiges gilt auch nur einige wenige Autominuten entfernt. Sankt Johann Baptist in Oppolding ist die letzte Kirche der Trias. Außer ihr und dem Hof von Familie Huber gibt es nichts, was den Ort zu mehr machen würde als Einöde.

Der Architekt der Kirche ist der Erdinger Stadtmaurermeister Johann Baptist Lethner. Sie ist das späteste der drei Gotteshäuser, eine Inschrift am Chorbogen weist ihr das Jahr 1764 zu. Im Gegensatz etwa zur Kirche in Hörgersdorf bilden hier der Haupt- sowie die beiden Nebenaltäre abgeschlossene Einheiten. Sie alle sind in sich symmetrisch aufgebaut und von Säulen begrenzt. Die dahinterliegenden Ecken sind abgerundet.

Prunkstück der Kirche ist die Kanzel an der rechten Wand des Hauptraumes. Sie ist erbaut von Johann Anton Pader, der bereits in Hörgersdorf tätig war. Er gilt wegen der Raffinesse in dieser Kanzel auch als "Meister von Oppolding". Hat er den Kanzelkorb dezent, fast spärlich geschmückt, ist der Schalldeckel darüber nicht weniger als Stuck gewordenes Spätrokoko. "Eine Perle", sagt Sattelmair. Verspielt schraubt sich eine freischwebende Rocaille in sich selbst. Ihr Weiß erinnert an schäumendes Meer. In ihrer Mitte schwebt eine Taube, die den Heiligen Geist verkörpert, darunter sind die Köpfe zweier Engel. An der linken Seite rankt wie zufällig eine Girlande bunter Blüten.

"Prunk und Protz des Rokoko könnten in dieser Art nicht mehr gesteigert werden", sagt Sattelmair mit Blick auf den Schalldeckel. Die Rocaille, die der Stilrichtung den Namen leiht, löst sich hierin auf und das theologische Programm tritt hinter einer Kunst zurück, die sich an sich selbst berauscht. Ein Blick in die Geschichtsbücher gibt ihm Recht. Auf den Rokoko folgen die klaren Linien und die Ordnung des Klassizismus.

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