Rohstoffabbau in Fürstenfeldbruck:Grabhügel stehen Baggern im Weg

Die Betreiber einer Kiesgrube haben sich bereit erklärt, nicht in den Rothschwaiger Forst, sondern Richtung Stadtgrenze zu expandieren. Dort aber liegt ein Friedhof aus der Hallstattzeit

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

2020 schien nach jahrelangen Diskussionen der Durchbruch gelungen zu sein und Teile des als Erholungswald eingestuften Rothschwaiger Forsts bei Fürstenfeldbruck auf einer Fläche von 17 Hektar damit gerettet. Die Betreiber des Kieswerks Puch, bekannt auch als Stockinger-Kiesgrube im Westen der Kreisstadt, hatten ihre Bereitschaft signalisiert, auf den ihnen rechtlich kaum zu verwehrenden Abbau in südliche Richtung und damit in den Wald hinein zu verzichten. Jedenfalls sofern ihnen Richtung Stadt eine Alternativfläche angeboten wird. Nun aber zeigt sich, dass dort unter den Äckern sowie vereinzelten Bäumen, denen der Borkenkäfer arg zugesetzt hat, ein zumindest ideell viel größerer Schatz schlummert als Kies: Teile eines bisher noch kaum untersuchten Grabhügelfeldes aus der Hallstattzeit. Kann man dort guten Gewissens Rohstoffe abbauen, selbst wenn der Regionalplan entsprechend geändert wird und der Grunderwerb möglich ist?

Schöngeising - Grabplünderung

Im Gegensatz zu Bruck waren im Wald bei Schöngeising bereits Grabräuber am Werk. Kreisheimatpfleger Markus Wild (rechts) vom Historischen Verein hat im November 2020 das Nachsehen.

(Foto: Manfred Amann/oh)

Dass zwischen Kieswerkstraße und Bundesstraße 471 sowie südlich des Umspannwerks Bodendenkmäler liegen, ist bei Behörden, Forschern, Kreisheimatpflegern und auch der Stadt bekannt. Öffentlich ins Bewusstsein ruft das aber nun Hermann Ludwig, pensionierter ehemaliger Kunstlehrer des Viscardi-Gymnasiums. Der 69-Jährige ist geschichtlich interessiert, hat sich beispielsweise für den Erhalt des Lichtspielhauses und anderer Bauwerke des Architekten Adolf Voll engagiert. In Markus Wild, dem Archäologen, der 2019 vom Landkreis als Kreisheimatpfleger für Bodendenkmalpflege und Regionalgeschichte berufen worden war, fand er einen Verbündeten.

Ludwig ruft in Erinnerung, was Wilds Vorgänger Toni Drexler als Co-Autor 2007 in einer Fachzeitschrift beschrieben hat. Ein Aufsatz im Band 48 des Führers zu archäologischen Denkmälern in Deutschland widmet sich dem hallstattzeitlichen Friedhof mit seinen 87 Hügeln, der nach Einschätzung von Markus Wild neben jenem bereits in Ansätzen erforschten Gräberfeld mit etwa 200 Hügeln zwischen Schöngeising und Grafrath die zweitgrößte Fundstätte dieser Art im Landkreis ist. Auf einem Plan des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege von 1956 sind die erstmals 1904 vermessenen einzelnen Hügel, die sich über einen Kilometer in Nord-Süd-Richtung erstrecken, verzeichnet - nicht weit entfernt von der Gedenktafel, die an der Absturzstelle des US-Piloten Richard Higgings von der nach ihm benannten Schule aufgestellt wurde. Sie weisen Durchmesser von fünf bis 30 Meter auf. "Im Gegensatz zu den meisten größeren Nekropolen im Landkreis ist der Friedhof weitestgehend intakt", heißt es in dem Artikel. Lediglich sechs der Gräber, die der um 800 vor Christi beginnenden vorrömischen Eisenzeit zugeschrieben werden, sind 1870 von einem passionierten damaligen Bürger der Stadt unter dubiosen Umständen geöffnet worden (Kasten).

Rohstoffabbau in Fürstenfeldbruck: Die aktuelle Debatte in Gang gesetzt hat Hermann Ludwig.

Die aktuelle Debatte in Gang gesetzt hat Hermann Ludwig.

(Foto: Privat)

Von illegalen Schatzsuchern ist das Gräberfeld bislang nicht heimgesucht worden - im Gegensatz zum Wald zwischen dem Weiler Zellhof bei Schöngeising und dem Allinger Ortsteil Holzhausen: Dort plünderten vor einem Jahr offenbar Profis mit schwerem Gerät ein Hügelgrab und hinterließen eine klaffende Grube. Auch die Fundstücke aus dem Brucker Westen sind weitgehend verschollen oder landeten in Privatsammlungen. Es soll sich um Metallgegenstände wie ein verziertes Gürtelblech und verschiedene Fibeln sowie Keramikgefäße gehandelt haben.

Hermann Ludwig räumt ein, dass das für Kieswerksbetreiber wie auch für Politik und Bevölkerung eine "Zwickmühle" ist. Der Rothschwaiger Forst, der sich in weiten Teilen zum erhaltenswerten Mischwald gewandelt hat, ist wichtig als Erholungsgebiet. Aber auch die Bodendenkmäler könne man gewiss "nicht einfach wegbaggern. Dafür gibt es zudem rechtliche Hürden. Das macht Jochen Haberstroh vom Landesamt für Denkmalpflege deutlich. Der stellvertretende Leiter der Abteilung für Bodendenkmalpflege ist mit der Angelegenheit vertraut, auch wenn seine Behörde bislang nicht im Zuge eines genehmigungsrechtlichen Verfahrens eingebunden worden sei und es auch noch keine Gespräche mit Kreisstadt oder Kieswerksbetreiber gegeben habe. Eines aber ist schon mal sicher: "Das ausgedehnte Grabhügelfeld fällt mit seiner Ausdehnung und obertägigen Erhaltung in die höchste Schutzkategorie." Haberstoh macht klar, dass "der substanzielle Erhalt von Bodendenkmälern" die vorrangige Aufgabe der Denkmalpflege ist. So einfach übergehen kann man das Landesamt da also nicht.

Jochen Haberstroh bei Ausgrabungen in Pasing, 2016

Mit dem Gräberfeld beschäftigt sich auch Denkmalpfleger Jochen Haberstroh.

(Foto: Robert Haas)

Haberstroh sieht derzeit auch keinen Anlass für eine Genehmigung, die Bodendenkmäler auszugraben, um damit dem Kiesabbau den Boden zu bereiten. Denn er kann nicht erkennen, dass dieser "in einem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit liegt". Die Strategie ist klar: Ausgegraben wird nur, wenn es gar nicht anders geht. Erste Wahl ist es, solche historisch interessanten Bereiche unangetastet zu lassen. Wie lange eine Ausgrabung dauern und was sie kosten würde, darüber will der Denkmalpfleger nicht spekulieren. Auch für Kreisheimatpfleger Markus Wild ist die Dimension schwer einzuschätzen, weil das Gräberfeld ja glücklicherweise noch nahezu unberührt sei. Er will nicht ausschließen, dass zwischen den Hügeln weitere Gräber liegen, die wissenschaftlich interessant sein könnten. "Da könnte noch viel drunter liegen", sagt er. Und mit Blick auf die Kosten mutmaßt er, dass der Kiesgrubenbetreiber möglicherweise da "nicht die Katze im Sack" kaufen wolle.

Für die Politik kommt die Kunde vom Gräberfeld zur Unzeit, hatten sich doch alle Stadtratsfraktionen vereint für den Erhalt des Rothschwaiger Forsts und für das Alternativgrundstück ausgesprochen. In einem Schreiben an Hermann Ludwig macht Ex-Kiesgrubenbesitzer und Freie-Wähler-Stadtrat Georg Stockinger freilich klar, dass es niemanden gar so unvorbereitet trifft: "Diesen Punkt sprach ich in einer nicht öffentlichen Stadtratssitzung an. Wurde aber als Bedenkenträger abgetan. Ich kenne die Problematik genau. Dies war auch ein Grund, warum die Kiesabbaufläche in den Süden verlagert wurde. Ich hatte bezüglich dieser Angelegenheit damals mehrere Gespräche mit den Denkmalamt".

Oberbürgermeister Erich Raff hat eigenen Worten zufolge das Gräberfeld auch auf dem Schirm. Er hofft, dass sich eine Lösung finden lässt. Wie genau die aussehen könnte, kann er noch nicht sagen. Gegenwärtig werde mit den Grundeigentümern verhandelt, die ihre Flächen für die Zeit nach der späteren Verfüllung und Renaturierung oder auch endgültig abtreten würden. Vom Kreis der neun Grundeigentümer haben offenbar bislang zwei zugesagt, mit den anderen laufen Verhandlungen. Die Planungen für die Verlagerung des Kiesabbaus Richtung Stadtrand werden fortgeführt, so bedarf es eines Bebauungsplans und der Umwidmung von Vorrangflächen für den Kiesabbau durch den Regionalen Planungsverband. "Den ganz großen Druck", Entscheidungen zu fällen, sieht Raff aktuell nicht. Weil sich der Eigentümer zum Verkauf seines bewaldeten Geländestreifens, der die bereits vorhandene Kiesgrube durchschneidet, bereit erklärt hat, ist Druck aus dem Kessel genommen worden. Raff schätzt, dass man nun bis 2023 oder 2024 Zeit hat. Birgitta Klemenz (CSU), Dritte Bürgermeisterin und Historikerin, sei mit der Sache befasst, auch die Firma Kiesgrubenrekultivierung Oberbayern GmbH (KRO) wisse Bescheid. Der Oberbürgermeister hofft, dass unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes vielleicht lediglich bis zur Grenze des Gräberfelds abgebaut werden könnte oder die Kiesgrubenbetreiber auf ein paar Hektar verzichten würden. Eine diesbezügliche Anfrage der SZ ließen die beiden KRO-Geschäftsführer Thomas Vilgertshofer und Thomas Ottl unbeantwortet.

Grabungen mit unterschlagenem Geld

Die Umstände, unter denen sechs Gräber im Westen der Kreisstadt untersucht wurden, sind sehr ungewöhnlich. Das weiß Toni Drexler zu berichten, der fast vier Jahrzehnte Kreisheimatpfleger war. Im Blickpunkt steht dabei der 1824 in Eichstätt geborene Brucker Gerichtsschreiber Franz Seraphin Hartmann, der sich ein Studium nicht hatte leisten können, der sich aber ganz der Archäologie verschrieb und 20 Jahre als "Mandatar des historischen Vereins für Oberbayern" amtierte. Er trieb maßgeblich die Untersuchung der Gräber voran.

Auf die war er im Zuge des Bahnlinienbaus 1870 bis 1872 von Pasing nach Buchloe aufmerksam geworden. Hartmann stellte damit die Weichen für einen hochrangigen Besuch: Am 12. August 1875 machten die auf ihrem sechsten Kongress in München versammelten Mitglieder der deutschen Gesellschaft für Anthropologie einen Ausflug nach Bruck, um sich von Hartmann zu vorgeschichtlichen Denkmälern führen zu lassen. Unter den Professoren waren auch Rudolf Virchow, Präsident der deutschen anthropologischen Gesellschaft sowie sein Nachfolger Karl Alfred von Zittel.

Auszüge aus dem damaligen Protokoll: "Ein Mittagsessen vereinigte dann die berühmten Touristen beim Marthabräu, während dessen Professor Virchow den Gerichtsschreiber Hartmann leben ließ ... Der Abendzug brachte die Gäste nach München zurück, wo sich fast alle noch beim Mathäserbier ein Gutes taten." Mit Hartmann aber nahm es kein gutes Ende, wie Anton Löffelmeier in einem Aufsatz berichtet: 1882 erschütterte ein Skandal die bayerische Justizverwaltung. Es hatte sich herausgestellt, dass Hartmann, der angesehene Historiker und Verfasser von Fachartikeln, regelmäßig in die Gerichtskasse gegriffen hatte, um seine Forschung zu finanzieren.

Am 31. Juli verließ er fluchtartig die Dienststelle - mit dem Bargeldbestand. Zwei Tage später traf ein Abschiedsbrief aus Lindau ein, und in der Toilette des dortigen Bahnhofs erschoss sich der in Ungnade gefallene Archäologe mit einem Revolver. In Bregenz wurde er ohne kirchlichen Segen beerdigt. SLG

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