Sowohl die evangelisch-lutherische Kirche als auch das katholische Schulkommissariat in Bayern beharren auf einem separaten und klassenübergreifenden Religionsunterricht in Zeiten von Corona. Einen gemeinsamen Werteunterricht von katholischen, evangelischen und Ethik-Schülern im Klassenverband zum Schutz vor Corona, den Lehrer der Grundschule am Gerner Platz in Puchheim entwickelt haben, lehnen beide Kirchen ab. Ein Dutzend Grundschüler und eine Lehrerin der Grundschule Olching, die den katholischen Religionsunterricht besuchen, sind seit Montag zuhause in Quarantäne, weil eine Covid-19-Infektion unter ihnen aufgetreten ist.
Betroffen sind Kinder aus zwei Klassen der zweiten Jahrgangsstufe. Genau solche klassenübergreifenden Ausschlüsse, die ganze Jahrgänge treffen können, sollten durch das Konzept eines gemeinsamen Werteunterrichts verhindert werden. Aber das bayerische Kultusministerium lehnt einen solchen Unterricht ab, mit Verweis auf die Verfassung, die den konfessionellen Religionsunterricht als Grundrecht festschreibt, sowie die Haltung der beiden christlichen Kirchen. Auch Gabriele Triebel, Landtagsabgeordnete für Fürstenfeldbruck-West und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, verweist auf die Rechtslage. "Ich würde einen solchen gemeinsamen Unterricht in den Ausnahmezeiten zu Corona zwar prinzipiell befürworten, sehe aber das verfassungsrechtliche Problem." Eltern könnten den separaten Unterricht notfalls einklagen. Der gemeinsame Werteunterricht könnte nur im Konsens von Lehrern, Eltern und Schülern eingeführt werden und selbst in einem solchen Fall stünde der Klageweg immer noch offen, sagte Triebel der SZ.
Der Puchheimer Bürgermeister hält die Trennung der Kinder nach Konfessionen für einen Anachronismus. "Die Zeit der Glaubenskriege ist vorbei und seit dem zweiten vatikanischen Konzil bemüht man sich um Ökumene", sagte Norbert Seidl (SPD), der Theologie studiert hat. Seiner Ansicht nach hätte das Kultusministerium in dieser Ausnahmesituation das Gespräch mit den Kirchen suchen sollen. Die wiederum beharren auf dem Status Quo. Der Pressesprecher des erzbischöflichen Ordinariats teilte im Namen des katholischen Schulkommissariates mit, dass dem konfessionellen Religionsunterricht eine wichtige Orientierungsfunktion als "spirituelle und weltanschauliche Quelle" zukomme, weshalb er verfassungsmäßig geschützt ist. Er leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Heranwachsende eigene Sichtweisen, Überzeugungen, Werthaltungen und eine religiöse Identität entwickeln können. Deshalb sei es wichtig, dass unter Einhaltung der geltenden Infektionsschutzgesetze und des Rahmenhygieneplans diese Möglichkeit auch während der Coronapandemie gewahrt bleibe.
Katholische und evangelische Religionslehre sowie Ethik seien darüber hinaus ordentliche Unterrichtsfächer und würden nach offiziellen, mit dem Kultusministerium abgestimmten Lehrplänen unterrichtet. "Für ein neues Fach Werteunterricht' gibt es derzeit keinen Lehrplan, auf den sich etwa die Leistungsmessung beziehen könnte", erklärte der Pressesprecher.
Der Pressesprecher des Landeskirchenamts der evangelisch-lutherischen Kirche betonte, jeder Unterricht sei "Werteunterricht", der Religionsunterricht gehe aber darüber hinaus. "Er bietet einen spirituellen Bildungsraum im Lebensraum Schule, in dem besonders Lebensfragen, Krisen, Ängste aufgenommen werden können. Diese werden mit biblischen Erfahrungen in Verbindung gebracht, wodurch Hoffnung und Zuversicht gestiftet werden kann", sagte Kirchenrat Johannes Minkus.
Ein rechtlich gefasstes Modell für einen gemeinsamen Werteunterricht von evangelischen, katholischen und Ethikschülern im Klassenverband gebe es nicht, daher sei die Position des Ministeriums zu unterstützen. Um auf die Corona-Pandemie zu reagieren, würden die Schulleitungen durch den "Einsatz von Teamlehrkräften" unterstützt. Zudem hätte die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern "vielfältige Anregungen und Materialien" für den Religionsunterricht in Zeiten von Corona durch das Religionspädagogische Zentrum Heilsbronn bereitgestellt.
Gerade in den gegenwärtigen Zeiten existenzieller Verunsicherung und eines gesteigerten Orientierungsbedürfnisses seien Kinder und Jugendliche in ihren religiösen Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Willen Gottes oder der Unverfügbarkeit des Lebens ernst zu nehmen, erklärte Minkus. Im Religionsunterricht würden die Kinder und Jugendlichen theologisch kompetente und seelsorgerliche Begleitung durch die Lehrkräfte erfahren. "Diese haben ein waches Auge dafür, wo weiterreichende, auch therapeutische Hilfe für den Einzelnen notwendig ist."
Von der Quarantäne betroffene Eltern in Olching haben eine andere Perspektive. "Hier wird leichtfertig mit Existenzen von Familien gespielt, da nicht jeder die finanziellen Ressourcen hat, die Kinder ein zweites Mal über Wochen zuhause zu beschulen", erklärte eine SZ-Leserin. Zwar würden viele Eltern einen getrennten Religionsunterricht bevorzugen, aber nicht "um den Preis eine steigenden Infektionsgeschehens und einer erhöhten Gefährdung der Großelterngeneration". Die Rektorin der Grundschule, Lisa Krause, berichtete, sie habe beim Schulamt wegen eines gemeinsamen Werteunterricht nachgefragt, aber die Behörde habe mitgeteilt, das sei nicht möglich.