Süddeutsche Zeitung

Reden wir über:Seeleute in Seelennot

Markus Schildhauer spricht über Matrosen und Flüchtlingsrettung im Mittelmeer

Interview von Karl-Wilhelm Götte

Markus Schildhauer kennt die aktuelle Zwangslage von Seeleuten, die Flüchtlingen retten müssen, gut. Er leitet seit September 2014 die evangelische Seemannsmission in Alexandria/Ägypten, eine von 16 weltweit. Der 56-Jährige aus Fürstenfeldbruck ist kurze Zeit in die Heimat zurückgekehrt, um am Donnerstag um 19 Uhr im Eine-Welt-Café im Bürgerpavillon in der Heimstättenstraße einen Vortrag zum Thema Seeleute und Flüchtlingsrettung an der ägyptischen Mittelmeerküste zu halten.

SZ: Sind Seeleute auf Handelsschiffen immer mehr dazu gezwungen, Flüchtlinge zu retten?

Markus Schildhauer: Nachdem das Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum von der EU aufgegeben wurde, sind Seeleute immer häufiger in die Lage gekommen, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu bergen. Die Mitgliederversammlung der Deutsche Seemannsmission (DSM) in Bremen, für die ich arbeite, hat gefordert, die Flüchtlingsproblematik nicht auf dem Rücken der Seeleute auszutragen.

Seeleute sind verpflichtet, Schiffbrüchige zu retten...

Ja. Das ist eine humanitäre Verpflichtung, die sie auch wahrnehmen. Handelsschiffe haben schon etwa 5000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. Dabei sind die Containerschiffe oft gar nicht darauf vorbereitet, eine große Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen.

Warum nicht?

Sie haben eine Riesenbordwand, die das Raufklettern schwierig macht. Dann haben sie nicht genügend Lebensmittel an Bord und auch die Wasservorräte reichen oft nicht aus. Seeleute und die DSM stellen die Frage, warum bis zum heutigen Tag keine adäquate Antwort der Politik zur Todesfalle Mittelmeer gefunden wurde.

Kommen Seeleute zu ihnen, weil sie das Grauen nicht aushalten?

Das passiert immer häufiger. Stellen Sie sich vor, Sie sind der Seemann, der die Leiter am Schiff herunterlässt und sieht die Menschen, die es nicht auf die Leiter schaffen, ertrinken. Einer DSM-Mitarbeiterin hat ein Seemann erzählt, er möchte nie mehr über Kinderrucksäcke fahren, die im Meer treiben. Besatzungsmitglieder berichten immer wieder von persönlichen Habseligkeiten und Leichen, die im Mittelmeer treiben.

Kommen Seeleute bei der Rettung auch in Konflikt mit ihrer Reederei?

Ja. Den Reedereien verursacht die Flüchtlingsrettung zusätzliche Kosten, weil Umwege gefahren werden müssen und dies Zeit kostet. Eine deutsche Reederei hat ihre Kapitäne verklausuliert aufgefordert, sich möglichst von Flüchtlingsrouten fernzuhalten oder bei der Sichtung von Flüchtlingsbooten nicht genau hinzuschauen.

Wo befindet sich das Deutsche Seemannsheim in Alexandria?

Es ist mitten in der Stadt und eines von 16 weltweit. Seeleute wollen mal keinen schwankenden Boden unter ihren Füßen haben, wenn sie an Land gehen und mal keine Schiffe und kein Wasser sehen. Ich leite die Seemannsmission, die einzige in einem muslimischen Land, zusammen mit meiner Ehefrau Karin Streicher, die ebenfalls aus Fürstenfeldbruck kommt. Ich betreibe dort diakonische Arbeit und gehe auf die Handelsschiffe, weil die Matrosen oft das Schiff nicht verlassen dürfen. In Alexandria landen im Jahr 4000 Schiffe an. Wir wollen die nächsten sechs, sieben Jahre dort bleiben.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2015
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