Kultur:"Wir müssen noch stärker überlegen, für wen wir Kultur machen"

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Amtsübergabe im Puc: Katrin Neoral übernimmt die Leitung des Puchheimer Kulturzentrums von Michael Kaller. (Foto: Florian J. Haamann)

Die 42-jährige Katrin Neoral ist künftig für das Puchheimer Kulturzentrum verantwortlich. Im Doppelinterview mit ihrem Vorgänger Michael Kaller erzählt sie, wie sie das Haus öffnen und in den Dialog mit den Bürger treten will.

Interview von Florian J. Haamann, Puchheim

Nach 22 Jahren gibt es nun einen Wechsel an der Spitze des Puchheimer Kulturzentrums. Der langjährige Leiter Michael Kaller geht in Ruhestand, die 42-jährige Musikerin und Kulturmanagerin Katrin Neoral übernimmt - mit erweitertem Aufgabenbereich. Sie ist künftig nicht nur für die Kultur und das Kulturzentrum in der Stadt verantwortlich sondern auch für den Sport. Die letzten Jahre war sie beim Landesverband für Kultur- und Kreativwirtschaft beschäftigt, kennt sich also sowohl in der Szene als auch in der Kulturpolitik aus. Davor war sie bei Jazzschool München, einer privaten Berufsfachschule, angestellt. Sie ist auch selbst Sängerin. Im Doppelinterview mit Michael Kaller macht sie deutlich, wohin sich die Kultur in Puchheim entwickeln könnte - und was sie von ihren Vorgänger gelernt hat.

SZ: Frau Neoral, was hat Sie an der Aufgabe in Puchheim gereizt?

Katrin Neoral: Dass ich in die kommunale Kulturarbeit wollte, hängt mit meinem kulturpolitischen Engagement zusammen. Ich hatte in der Zeit auch viel mit dem Kultusministerium auf Landesebene zu tun und musste immer wieder hören: "Wir sind da nicht zuständig, das machen die Kommunen." Da dachte ich mir, wow, wenn die Kommunen so viel Verantwortung haben, dann will ich da hin und mitgestalten.

Sie hatten nun mehrere Monate Zeit, sich einzuarbeiten. Haben Sie schon erste Ideen, was Sie verändern wollen?

Neoral: Was ich stärker in den Fokus rücken will, ist die Vernetzung. Die der Mitarbeiter, aber auch, und das hat Michael ja schon angefangen, die mit Partnern von außen. Wer passt zu uns, wer hat welches Netzwerk? Egal wie viel Werbung man macht, am stärksten wirkt doch, wenn jemand einem persönlich sagt: Geh da hin, das ist toll! Wenn wir Vereine oder Initiativen einbinden, dann erreichen wir über sie auch ihre Netzwerke. Das ist natürlich kein neuer Ansatz, aber ich will das intensivieren.

Wie kann in diesen schwierigen Zeiten gute Kulturarbeit überhaupt gelingen?

Neoral: Wir müssen noch stärker überlegen, für wen wir Kultur machen. Wen gibt es in Puchheim und darüber hinaus, was haben wir für Zielgruppen? Und was wollen diese Menschen aktuell? Es hat sich viel verschoben und ich glaube Corona hat nur Prozesse verstärkt, die schon da waren. Und wir sollten auch überlegen, an welchen Orten wir Kultur anbieten, es muss nicht alles im Puc stattfinden. Wir sollten an Orte gehen, an denen Kultur sonst nicht stattfindet. Vielleicht erreichen wir da andere Leute als bisher.

Haben Sie da schon bestimmte Orte im Kopf?

Neoral: Es geht darum, nicht in Institutionen zu denken, sondern an öffentliche Plätze zu gehen und sie stärker mit Kultur zu bespielen als bisher und damit diese Orte als Kulturorte erschließen. Aber da sind wir erst dabei zu schauen, was geht. Denn Raum ist ja immer und überall gefragt.

Wie viel haben Sie beide in den vergangenen Wochen über solche Themen gesprochen?

Michael Kaller: Sehr viel. Das hat mich überrascht, denn ich bin ja die Vergangenheit. Aber Katrin hat mich oft nach meiner Einschätzung gefragt und das fand ich sehr angenehm. Und die habe ich gerne abgegeben. Und natürlich diskutiere ich gerne über Zukunftsfragen in der Kultur, weil mich das auch bewegt. Wo geht es hin? Und was ist mit dem, was ich bisher gemacht habe, bricht alles oder viel weg unter den neuen Bedingungen, nicht nur der Pandemie, sondern auch der anderen Krisen. Deswegen wollen wir an diesem Samstag nicht nur unser neues Programm vorstellen, sondern auch eine Diskussion über genau diese Frage führen: Wo geht es mit der Kultur hin? Gerade weil es niemand weiß, ist es interessant, sich darüber Gedanken zu machen.

Neoral: Mit mir kommt jetzt nicht jemand, der sagt, ich weiß wie es geht und so machen wir's. Sondern wir müssen miteinander überlegen, viel ausprobieren und schauen, funktioniert es oder funktioniert es nicht. Als ich erfahren habe, dass ich diese Aufgabe übertragen bekomme, wollte ich als erstes mit Michael sprechen. Wir haben uns schon im Sommer getroffen, weil mir seine Erfahrung sehr wichtig ist. Ich finde auch toll, dass uns die Zeit gelassen wurde, zweieinhalb Monate miteinander zu arbeiten. So konnten wir uns extrem viel austauschen.

Wohin könnte sich die Kultur denn entwickeln?

Neoral: Ich glaube, dass wir jetzt eine Durststrecke durchlaufen und das durchhalten müssen. Deswegen ist die kommunale Kulturarbeit auch so wichtig, weil wir nicht ganz so auf die Zahlen schauen müssen wie die privaten Veranstalter. Wir müssen den Menschen vor allem wieder Angebote machen und dabei bleiben. Viele sind aus den letzten Jahre gewohnt, dass Termine sowieso abgesagt werden. Außerdem müssen wir aushalten, dass wir in einer Phase sind, in der die Leute eher zur Unterhaltung tendieren, weil sie sagen, die Zeiten sind so schon schwer genug. Vor allem aber geht es darum, ein Bewusstsein für das zu schaffen, was wir gut können: einen Ort zu bieten, an dem ein Austausch stattfindet, den jemand, der vor seinem Bildschirm sitzt, nicht hat. Was die Kultur stark macht, ist, dass sich Menschen treffen in realen Begegnungen. Vielleicht müssen wir uns auch mehr dahin entwickeln, dass es mehr um soziokulturelle Themen geht, da gehört kulturelle Bildung dazu, Sozialarbeit und eben Kunst. Es wird unsere große Aufgabe sein, mehr darüber nachzudenken, wie wir andere und unterschiedliche Gruppen erreichen, die wir bisher nicht erreicht haben.

Herr Kaller, welche Gruppen konnten denn in den vergangenen Jahr noch nicht so richtig erreicht werden?

Kaller: Vor allem die Bewohner Puchheims mit Migrationshintergrund sind sehr schwer hierher zu holen. Ich habe mich oft mit dem Zap unterhalten, das Sozialarbeit für diese Menschen macht. Und auch die schaffen es oft nur schwer, sie zu erreichen. Ich denke, da sind viele Barrieren, die noch abgearbeitet werden müssen. Vielleicht gelingt es auch leichter, wenn sie länger hier sind und mehr Deutschkenntnisse haben. Vielleicht hilft auch eine Art aufsuchende Kulturarbeit.

Neoral: Das finde ich einen interessanten Begriff. Weil wir da gleich wieder beim Thema sind: Wie bringen wir die Kultur zu Leuten, statt zu warten, dass sie zu uns kommen. Das Puc ist ein tolles Haus, aber vielleicht ist es für manche auch eine Barriere. Vielleicht sollten wir mit Institutionen wie dem Zap überlegen, wo müssen wir Kultur stattfinden lassen, damit die Leute kommen und wie können wir sie in die Programmgestaltung einbinden. Mit ihnen in den Austausch treten und sie fragen, was müsste anders sein, damit ihr gerne kommt. Oder kann man sich "Influencer" aus diesen Gruppen suchen und ihnen sagen: Kommt zu uns und tragt es weiter.

Auch junge Menschen gehören bisher nicht unbedingt zum Stammpublikum in größeren Veranstaltungshäusern wie dem Puc. Wie können sie erreicht werden?

Neoral: Indem man zuhört, was sie wollen. Ich finde es immer "interessant", wenn ältere Menschen sagen, ich weiß, was junge Menschen wollen. Ich glaube, man muss erstmal mit ihnen reden, sich austauschen. Fragen, was Themen und Formate sind, zu denen sie gerne kommen. Diese Aufgabe sehe ich aber bei allen Menschen. Unsere Gesellschaft ist so ausdifferenziert, da kann ich nicht sagen: Die wollen das, die wollen das.

Herr Kaller, glauben Sie, dass sich mit dem Ruhestand auch ihr eigener Kulturkonsum ändern wird?

Kaller: Ich habe auf jeden Fall vor, wieder mehr ins Theater zu gehen. Wenn man in der Kultur arbeitet, geht man mit der Zeit an jede Veranstaltung so ran, dass man sich fragt, welche Ideen könnte ich da rausziehen. Diesen Fokus möchte ich wieder weiten. Einfach absichtslos ins Theater gehen, einfach dasitzen, einen netten Abend haben und das war's. Darauf freue ich mich.

Talk im Puc, mit Programmvorstellung und Diskussion, Samstag, 12. November, von 19 Uhr an. Die Veranstaltung findet im Puc statt, kann aber auch per Liveübertragung verfolgt werden. Den Link gibt es unter www.puc-puchheim.de

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