Puchheim:Die Unkraut- und Brennnesselpartei feiert 40. Geburtstag

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Die Unabhängigen Bürger Puchheim (UBP) begannen 1983, sich zu formieren, ein Jahr später traten sie erstmals bei einer Kommunalwahl an. Das historische Foto von 1983 zeigt etliche Mandatsträger der Gruppe, darunter Georg Sturm (vorne, Zweiter von links), Reinhold Koch (Vierter von links), Max Keil (mittlere Reihe, Dritter von links) sowie Wolfgang Wuschig (oben, Zweiter von links), dazu Helmut Müller, den Gründer der ersten Bürgersolaranlage in Puchheim (Dritter von links). (Foto: UBP / oh)

Die Unabhängigen Bürger Puchheim sind seit vier Jahrzehnten in der Kommunalpolitik aktiv. Die UBP sind geprägt von der Boomer-Generation, doch was wird danach?

Von Peter Bierl, Puchheim

Die Unabhängigen Bürger Puchheim (UBP) feiern heuer ihr 40-jähriges Bestehen. Die Wählergruppe hat zwei Markenzeichen, das außerparlamentarische Engagement vieler Aktiver sowie die Fokussierung auf Kommunalpolitik mit Blick auf das große Ganze. Die UBP engagieren sich für Ortsplanung, Radwege, Kultur und Umweltschutz. Ihr Energieexperte Helmut Müller initiierte eine der ersten Bürgersolaranlagen im Landkreis und die Gruppe war an der Einrichtung eines Gebrauchtwarenkaufhauses beteiligt. Zum Umfeld gehört Campo Limpo, ein Verein der Solidaritätsarbeit mit Brasilien leistet und älter ist als die UBP. Der Vorläufer, ein Aktionskreis, existierte seit 1970, etliche Mitglieder und Unterstützer engagierten sich später bei den UBP.

Entstanden sind die UBP aus einer Abspaltung von den Freien Wählern (FW). 1978 wurde Max Keil, damals 23 Jahre alt, auf der Liste der FW in den Gemeinderat gewählt, zusammen mit Heinz Thümmler, Gründer der Nachbarschaftshilfe und des Puchheimer Podiums, und dritter Bürgermeister. Anfangs lief es „ganz harmonisch“, erzählt Keil. Zum ersten Clinch sei es über die Initiative Bürgerentscheid gekommen, der auf kommunaler Ebene in Bayern erst 1995 per Volksentscheid gegen den Widerstand der CSU eingeführt wurde.

Thümmler gab sein Ratsmandat auf und Georg Sturm rückte nach. Der Landwirt Keil und der Gärtner Sturm wälzten grüne Ideen „in einer Ecke im Glashaus“ der Gärtnerei, gewissermaßen der Urzelle der UBP. Zum Bruch mit den FW kam es, als die beiden sich der Friedensbewegung anschlossen, die gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen protestierte. Keil leitete die AG Friedenspädagogik der Puchheimer Friedensinitiative. „Die FW stellten uns ein Ultimatum: Friedensinitiative oder Mandat“, so erzählt Keil.

Max Keil, hier beim autofreien Sonntag vor zwei Jahren, kam von den Freien Wählern zu den Unabhängigen Bürgern Puchheims und ist immer noch Stadtrat. (Foto: Günther Reger)

Sturm und Keil erwogen, sich den Grünen anzuschließen, was bedeutet hätte, deren Linie auf allen Ebenen mitzutragen, die beiden wollten sich aber auf Kommunalpolitik konzentrieren. Unterstützung bekamen sie von Menschen, die in der Friedensinitiative, den Kirchengemeinden und im Naturschutz aktiv waren. Im Frühjahr 1984 trat die neue Gruppe mit einer eigenen Liste zur Gemeinderatswahl an.

Im Wahlkampf schmähten Konkurrenten die UBP als „Radfahrerpartei“ oder „Unkraut- und Brennnesselpartei“, aber das habe sie eher motiviert, sagt Keil. Die UBP punkteten mit einem 24-seitigen Programm sowie einem originellen Wahlkampf mit Bauwagen, Graffiti-Künstlern und selbstgemachten Plakaten. Die Neulinge errangen 10,5 Prozent und zwei Mandate, die an Keil und Sturm gingen. Der Spitzenkandidat Reinhold Koch fiel hingegen durch. Auch die Grünen zogen damals mit 6,2 Prozent erstmals in den Gemeinderat ein. Die FW büßten fast die Hälfte ihrer Stimmen ein.

„Anfangs sind wir oft gegen die Wand gefahren, aber allmählich wurden wir wahrgenommen und unsere Vorschläge, etwas abgeschwächt, von den anderen aufgegriffen“, sagt Keil. Außerdem sei die Stimmung im Gemeinderat polarisiert gewesen. Ein zentrales Thema sei damals schon die Umgestaltung des Ortszentrums gewesen, wobei die UBP für den Erhalt des alten Schulhauses am Bahnhof eintraten. Die Pläne des damaligen Bürgermeister Erich Pürkner (CSU) rügt Keil noch im Rückblick als „zu großspurig“.

Dessen Abwahl 1988 wertet Keil denn auch als Erfolg, zu dem die UBP beigetragen hätten. Im Anschluss habe der Gemeinderat den Ausbau der Infrastruktur, etwa der Kindertagesstätten und Radwege, verstärkt. 1990 wurden die UBP bei der Kommunalwahl mit einem dritten Mandat belohnt. Koch, der 1986 für Sturm nachgerückt war, wurde dritter Bürgermeister.

2003 ging die Bürgersolaranlage in Betrieb, womit die UBP zu den Pionieren der Energiewende gerechnet werden dürfen, drei Jahre später das Gebrauchtwarenzentrum im Altdorf. Eine Konstante in der Politik der UBP ist der Einsatz für den Radverkehr, allerdings habe der Stadtrat 2015 nicht das Konzept der UBP übernommen, aber doch einige Vorschläge. „Kleine Schritte sind besser als keine“, lautet der Kommentar von Koch.

Als großen Erfolg wertet Koch die Fußgänger- und Radfahrerbrücke über die B 2 zwischen Eichenau und Alling, für die UBP und die CSU-Bundestagsabgeordnete Gerda Hasselfeldt sich eingesetzt hatten. Weil das Bauwerk auf fremder Flur steht, handelt es sich um einen Auswärtssieg der Wählergruppe. Zu dem Zeitpunkt gehörten die Puchheimer längst zu einem Verbund von parteifreien Gruppen im Landkreis, die als Unabhängige im Kreistag sitzen.

Die UBP legten bei den Wahlen zu und stellten mit Koch und Wolfgang Wuschig jahrelang den zweiten Bürgermeister. „Unser Vorteil war immer, dass wir nahe dran waren an den Bürgern“, sagt Keil. Die Stände von Sturm und ihm auf dem Grünen Markt, wo man mit den Leuten ins Gespräch kommt, seien dabei ein wichtiger Faktor gewesen. 2014 errangen die UBP mehr als 19 Prozent der Stimmen und sechs Mandate – ihr Maximum.

Aktueller Fraktionsvorsitzender der UBP im Stadtrat ist Jürgen Honold, der bei den Kommunalwahlen 2020 als Bürgermeisterkandidat antrat. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Sechs Jahre später folgte eine schwere Niederlage, als die UBP bei der Stadtratswahl zwei Mandate verloren. Seitdem ist die Gruppe nur noch durch vier Männer aus dem Altdorf im Gremium vertreten, dort errangen die UBP mit 24 Prozent ihr Spitzenergebnis. Die Verluste führen Keil und Koch auf den Höhenflug der Grünen zurück, die von 13,8 auf 22,5 Prozent zulegten. Das Geothermieprojekt dürfe die UBP ebenfalls Stimmen gekostet haben, die vor allem an die FW gingen, die das Projekt ablehnten. Beim Bürgerentscheid 2018 votierte eine Mehrheit dagegen, während UBP, CSU, SPD und Grüne dafür eintraten.

Bis heute sind die UBP geprägt von der Boomer-Generation, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der Friedens- und Umweltbewegung politisiert wurde. Zwar seien einige jüngere Leute dabei, „aber es fehlt in der Breite“, sagt Keil über ein Nachwuchsproblem, das alle Parteien und Vereine in Puchheim betrifft. Trotzdem gelte es beharrlich weiterzumachen, „Unkraut und Brennnessel zu bearbeiten“, wie der UBP-Gründer sagt.

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