Puchheim:"Spätestens zum Tatort ist Schluss"

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Puchheims Bürgermeister Norbert Seidl zieht nach vier Jahren Halbzeitbilanz. Er kündigt an, dass er 2020 erneut kandidieren möchte und verrät, wann er am Sonntag sein Büro verlässt

Von Peter Bierl, Puchheim

Im Sommer 2012 wurde Norbert Seidl zum neuen Bürgermeister von Puchheim gewählt. Nach mehr als drei Jahrzehnten regiert erstmals kein Jurist im Rathaus, sondern ein Hauptschullehrer, obendrein ein kommunalpolitischer Neuling. Seidl war zwei Jahre vorher als Nachrücker in den Gemeinderat gelangt. Um die Wahlperioden von Bürgermeister und Kommunalparlament wieder zu synchronisieren, dauert seine Amtszeit ausnahmsweise acht statt sechs Jahre. 2020 werden Stadtrat und Bürgermeister in Puchheim wieder am gleichen Tag neu gewählt. Aufgrund dieser Ausnahmesituation hat Seidl in diesem Sommer Halbzeit. Die SZ fragte ihn nach seiner persönlichen Bilanz.

SZ: Bereuen Sie den Wechsel vom Lehrerpult zum Bürgermeister-Schreibtisch?

Norbert Seidl: Nein, ich habe eine hohe Berufszufriedenheit. Ich hatte Angst, mich verbiegen zu müssen, aber bisher bin ich an dem dran, was ich mir vorgenommen habe. Die Stimmung ist gut, die Zivilgesellschaft ist stark, es ist ein schönes Gefühl mit den Leuten zusammen zu arbeiten. Nach vier Jahren habe ich kapiert, wie das System funktioniert. Ich habe einiges auf den Weg gebracht, aber die großen Projekte werden bis 2020 nicht fertig. Deshalb würde ich mich noch mal um das Amt bewerben. Persönlich schätze ich den kurzen Weg zu Arbeit. Ich kann zwischendurch nach Hause und mich sortieren, denn der Arbeitstag ist lang.

Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?

Ich fange beim Frühstück um 7.30 Uhr mit der Lektüre von komplizierter Fachliteratur an. Das ist oft die wertvollste Zeit. Gegen 8.30 Uhr gehe ich ins Büro, am Abend sind allerlei Termine zu absolvieren, oft bis 23 Uhr. Ich arbeite gerne konzeptionell, das frisst viel Zeit und das erledige ich auch oft zu Hause. Ein freies Wochenende ist selten. Meist habe ich am Samstag Termine und am Sonntag gehe ich ins Büro. Spätestens um 20.15 Uhr, zum Tatort, ist aber Schluss.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Bei großen Projekten versuche ich, viele Leute einzubinden, zu verstehen, was die anderen wollen, niemanden abzubügeln oder hängen zu lassen. Die Abstimmung mit allen und der Verwaltungsprozess kosten Zeit, aber am Ende bleibt eine größere Zufriedenheit als beim Hopplahopp. Um die Bodenhaftung zu behalten, besuche ich zum Beispiel jeden Monat eine Einrichtung und arbeite einen halben Tag mit. Ich war zuletzt im Jugendzentrum und in einem Kindergarten, um zu sehen, wie es konkret läuft.

Im Stadtrat haben Sie es einfach, da gibt es keine großen Kontroversen.

Ein Gremium mit 30 Menschen hat seine eigene Dynamik. Manche versuchen es immer wieder mit alten Programmen, etwa beim Verkehr oder bei der Ortszentrumsplanung. Ich lasse die Themen in vielen Punkten lange offen, aber wenn die Entscheidung gefallen ist, bleibt es dabei.

Über Verkehr lässt sich immer trefflich streiten. Ihr Vorvorgänger im Amt will eine neue Autounterführung im Zentrum.

Eine solche Unterführung bedeutet einen großen Aufwand, und sie wäre nicht vor 2025 bis 2030 zu verwirklichen. Die Frage ist, bringt das was oder holen wir uns mehr Autoverkehr in die Mitte. Ich setze auf kleinere Maßnahmen, die wir selber und schnell verwirklichen können. Wir sollten das vorhandene Wegesystem verbessern, statt neue Straßen zu bauen, und ein Fahrradkonzept auflegen. Wir könnten ein Verleihsystem für Räder aufbauen wie in München und kleine Busse einsetzen für den innerörtlichen Verkehr.

Norbert Seidl beißt sich an der Bahn fast die Zähne aus. (Foto: Günther Reger)

Ein Gegenargument lautet, ältere Bürger seien auf das Auto angewiesen, nicht auf das Fahrrad.

Es sind gerade junge Familien, die zwei Autos haben und ihren Nachwuchs damit zum Kindergarten und in die Schule bringen. Der Umstieg auf Rad und Bus hat viel mit Bewusstsein und Gewohnheit zu tun. Da ist Information notwendig.

Richtig schwierig wird es bei externen Beteiligten wie der Bahn AG.

Es ist zäh und unangenehm, aber Druck aufzubauen ist kaum möglich. Da setze ich auf Netzwerken, im Städtetag mal einen Kollegen ansprechen, der im Vorstand der Bahn sitzt. Ein weiterer Punkt ist, dass wir mit der Grundentscheidung auskommen müssen, dass der Ausbau der S 4 dreigleisig wird, auch wenn ich bezweifle, dass das reicht. Aber wir können keine kleineren Maßnahmen angehen, ohne eine stabile Grundlage. Wir wollen einen Radweg nach München entlang am Bahndamm und ich hoffe, dass wir bis Ende 2017 die Planfeststellung für den barrierefreien Umbau des Bahnhofs haben und zwischen 2018 und 2020 gebaut wird.

Beim Projekt Soziale Stadt in der Planie beißen Sie bei großen Immobiliengesellschaften auf Granit, wenn es um die Sanierung der alten Häuser geht.

Deswegen waren wir froh, als wir im Dezember von dem großen Wohnungsverkauf Wind bekamen und das Vorkaufsrecht ausspielen konnten. Wir hätten diese Option gerne verwirklicht, die Wohnungen gekauft und damit die volle Verantwortung gehabt. Jetzt haben wir einen städtebaulichen Vertrag mit dem Käufer unterschrieben, der sich verpflichtet, gestaffelt in einem Zeitraum von zwei Jahren die etwa 450 Wohnungen zu sanieren. Die kleinen privaten Eigentümer halten ihre Wohnungen in Schuss, und das Unternehmen Penelope richtet seine Immobilien auch her. Bleibt die Gagfah, die bewegen sich so gut wie gar nicht. Wir werden jetzt den Außenbereich aufwerten, mit neuen Wegen und Beleuchtung aus den Mitteln der Städtebauförderung.

Unzufriedenheit schlägt Ihnen nur wegen der Saatkrähen und der Obdachlosenunterkünfte im Altdorf entgegen.

Was die Vögel betrifft, sind uns die Hände gebunden, und den Hausbau im Puchheim-Ort können wir eben nicht zu 100 Prozent durchziehen. Wir haben immer wieder erklärt, dass dort keine 180 oder 200 Menschen untergebracht werden sollen, aber manche sind resistent gegen Fakten. Aber ich schlage die Türe nicht zu, so dass man weiter miteinander reden kann.

Der Bürgermeister möchte die Stadtentwicklung vorantreiben. (Foto: Johannes Simon)

Die Stadt wird nun sechs statt zwölf Wohnungen bauen. Wird das reichen? Die Obdachlosigkeit betrifft doch immer mehr Menschen, Einheimische, EU-Bürger und Flüchtlinge.

Ja, dabei macht mir die Türkei besondere Sorgen. Wenn sich dort eine Diktatur etabliert, werden sich viele Menschen auf die Reise machen. Auf jeden Fall brauchen wir Wohnungen, und wir müssen sie selber bauen, um die Preise zu kontrollieren.

In den vier Jahren wurden unter Ihrer Regie eine Wohnungsgesellschaft gegründet, die Pläne für das neue Ortszentrum vorangetrieben, Schulen und Kinderhäuser gebaut, viel für die Aufnahme von Flüchtlingen getan, das Projekt Geothermie könnte im Frühjahr mit der Bohrung beginnen. Wo geht gar nichts voran?

Bei der Windkraft hatte ich eine andere Vision, ich wollte, dass die Komm-Energie einsteigt. Aber wir sind uns in der Gesellschaft nicht einig, Gröbenzell geht nicht mit. Außerdem hätte ich gerne schon eine Bürgerstiftung gegründet.

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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