Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Kaum einer hält sich 15 Minuten über Wasser

Immer mehr Kinder können nicht schwimmen. Lehrkräfte der Grundschule Puchheim möchten das ändern und starten ein Pilotprojekt.

Von Clara Dünkler, Puchheim

Die Kinder der Puchheimer Grundschule am Gerner Platz stehen in ihren Badesachen vor den Becken des Hallenbades der Amperoase in Fürstenfeldbruck. Draußen sind Minustemperaturen, drinnen herrscht Hochstimmung. An diesem Vormittag soll bei allen 365 Schülern und Schülerinnen der zweiten bis dritten Klassenstufe die Schwimmfähigkeit getestet werden. "Es gibt immer mehr, die entweder gar nicht schwimmen können, oder zumindest nicht ausreichend", sagt Philipp Heilmann, selbst Lehrer in Puchheim und Fachkraft im Bereich Sport für die Grund- und Mittelschulen im Landkreis Fürstenfeldbruck.

Am Beckenrand entstehen zwei Gruppen. Die Kinder teilen sich auf und schätzten selbst ein, ob sie eher Schwimmer oder Nichtschwimmer sind. Während die Nichtschwimmer in entsprechend flachem Becken ein bisschen planschen, stellen die Schwimmer im tiefen Becken ihr Können unter Beweis. Nur wer 15 Minuten durchhält, gilt laut der Wasserwacht Bayern als ein ausreichend guter Schwimmer. Im Zuge des Pilotprojektes "FFB schwimmt" initiierte Heilmann gemeinsam mit Schulleiterin Ruth Frank-Amberger und dem Elternbeirat den Aktionstag. Angelehnt an das von der Wasserwacht Bayern vor drei Jahren ins Leben gerufene Projekt "Bayern schwimmt" wird damit nicht nur vermehrt auf die Gefahren für Nichtschwimmer aufmerksam gemacht, sondern auch online Unterstützungsmaterial zur Verfügung gestellt, das Eltern beim Schwimmtraining ihrer Kinder helfen soll.

Dass es mehr Unfälle mit Nichtschwimmern gibt, bestätigt Sonja Naumann, Kreisjugendleiterin der Wasserwacht Fürstenfeldbruck. Brennpunkt sei im vergangenen Sommer beispielweise die Insel im Pucher Meer gewesen. Vor allem Selbstüberschätzung und zu hohes Vertrauen in nicht geeignete Hilfsmittel wie Stand-up-Paddles (SUP) seien Grund für Einsätze.

Gefahren am Wasser

Betrachtet man jedoch die Anzahl an tödlichen Ertrinkungsunfällen im Kindesalter, ist im Landkreis keine signifikante Veränderung festzustellen, sagt Manfred Gürich, Pressesprecher des Bayerischen Roten Kreuzes. Trotzdem sei natürlich jeder Unfall einer zu viel. "Hier präventiv durch Steigerung der Schwimmkompetenz und Aufklärung über die Gefahren am Wasser zu agieren, ist eine unserer Kernaufgaben in der Wasserwacht des BRK." Naumann möchte die Kinder motivieren, schwimmen im Kurs zu lernen: "Es gibt nicht viel falsch zu machen. Man darf sich trauen."

Durch die Corona-Pandemie haben diese Kurse jedoch nicht stattfinden können. Laut BRK wurden 2019 noch rund 12 160 Schwimmabzeichen abgenommen. Im darauffolgenden, ersten Pandemiejahr 2020 hingegen nur noch rund 2400. Dieser Rückgang von rund 80 Prozent erzeuge einen drastischen Aufholbedarf. Und auch der an den Schulen selbst in der dritten Jahrgangsstufe angesetzte Schwimmunterricht sei nicht möglich gewesen, sagt Heilmann. Ein weiteres Problem ist, dass es nicht ausreichend Möglichkeiten gebe, in Schwimmbädern zu üben. So wird das Schwimmbad in Puchheim momentan saniert und es gibt an anderer Stelle durch mangelndes Personal verkürzte Öffnungszeiten. Hinzu kommt, dass auch viele Eltern sich unsicher fühlten, und ihren Kindern das Schwimmen nicht selbst beibringen wollten. Die Problematik spiegelt sich auch am Aktionstag wider. Von den 50 Kindern der Gruppe schaffen gerade einmal acht es, 15 Minuten durchzuschwimmen.

Individuelle Rückmeldung

Eines dieser Kinder ist die neunjährige Elisabeth. Ihre Mutter Christina Birkner ist von der Elternschaft als Unterstützerin mit dabei. Um den personellen Aufwand des Pilotprojekts stemmen zu können, sei die Schule auf die Eltern bei der Organisation von An- und Abreise angewiesen gewesen. Birkner ist von dem Angebot begeistert. Sie findet es toll, dass jedes Kind von den ausgebildeten Lehrern und Lehrerinnen eine individuelle Rückmeldung bekommt. "Sozusagen von den Profis, das gibt's sonst nicht", sagt Birkner.

Insgesamt sind es acht Betreuerinnen und Betreuer, die sich um den Beckenrand verteilt ein Bild von der Schwimmfähigkeit der Kinder machen. "Das ist etwas Besonderes, die meisten Schulen haben nicht so viele Lehrkräfte mit Schwimmausbildung", sagt Heilmann. Außerdem sei es schwierig gewesen, überhaupt ein Schwimmbad für die Aktion zu finden. Nur durch die bereitwillige Unterstützung der Amperoase und weil andere Schulen ihren Zeitslot im Schwimmbad an die Grundschule abgegeben haben, konnte die Aktion überhaupt verwirklicht werden.

An diesem Tag geht es auch darum, ob das Projekt in einen Leitfaden übersetzt werden und auch an anderen Schulen stattfinden kann. Schulamtsdirektor Thomas Frey unterstützt "FFB schwimmt" und wird die Ergebnisse im Anschluss mit seinem Team evaluieren. Die Schule könne die Schwimmfähigkeit zwar feststellen, die Erziehungsaufgabe liege aber zunächst bei den Eltern, sagt er. "Sie können ihre Kinder in Schwimmkursen anmelden, oder selbst häufiger mit ihnen ins Schwimmbad gehen."

Die Aktion soll Ende Mai noch einmal durchgeführt werden, um mögliche Verbesserungen festzustellen. "Für die Kinder, die dann noch nicht schwimmen können, ist ein Nichtschwimmer-Camp geplant", sagt Frey. Das sei zwar ein sehr ambitioniertes Ziel und ein großer Aufwand, der Mehrwert der Prävention von Unfällen sei aber um einiges bedeutender.

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