Die Geschichte des Heiligen-Reliefs, das zehn Jahre lang an ihrer Wand hing, hat Gisela Masius schon immer interessiert. Inzwischen kennt die Puchheimerin diese Geschichte und deswegen ist das Relief jetzt an einem anderen Ort: In Rechlin, in Mecklenburg-Vorpommern. Vor gut zwei Wochen war die 71-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann Rüdiger dort und übergab es im Rahmen eines Gottesdienstes der Kirchengemeinde, der es nun gehört. "Es ist ein gutes Gefühl", findet die frühere Kinderärztin.
Das Relief ist ein Erbstück, Gisela Masius' Tante hatte es der Puchheimerin zugedacht. Gefunden hatte es einst der Mann dieser Tante. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er bei der Luftwaffenerprobungsstelle in Rechlin gearbeitet. Bevor der Mann im April 1945 vor der vorrückenden sowjetischen Armee nach Lagerlechfeld evakuiert wurde, suchte er nach einem Versteck für sein Auto und fand es in einer alten Scheune in dem Dorf Retzow im Havelland. Dort entdeckte er mehr als nur das gesuchte Versteck. In der Scheune befand sich auch Inventar einer Kirche: Zwei Heiligenfiguren und mehrere Teile eines Reliefs. Ein Teil dieses Reliefs nahm Masius' Onkel an sich. Dennoch verblieb das Kunstwerk zunächst in Mecklenburg-Vorpommern, wo es in einer Truhe verborgen war. Zwei Jahre später gab die sowjetische Armee die Habe von Masius' Onkel zurück an die Familie, die in Aachen lebte. Dazu gehörte auch die Truhe, in der das Relief gelagert war.
Dass das aus Lindenholz geschnitzte und etwa 40 Mal 40 Zentimeter große Kunstwerk aus dem Mittelalter stammen musste, hatte Gisela Masius bereits vermutet. Das Relief zeigt die Verkündigung, eine Szene aus dem Lukasevangelium, in der Maria von einem Engel von der Geburt Jesu erfährt. Die Figuren sind gut zu erkennen, von den Farben, mit denen es einst bemalt war, sind Reste und die Grundierung geblieben. Wie alt es tatsächlich ist, hat der Kunsthistoriker Matthias Weniger im Frühjahr herausgefunden. Die 71-Jährige hatte das Relief dem Fachmann vorgelegt, der für das Bayerische Nationalmuseum arbeitete. Weniger fand es in einem alten Almanach und stellte fest, dass "Die Verkündigung" um das Jahr 1500 entstanden sein muss und wahrscheinlich Teil des gotischen Altars einer Kirche in Roggentin war. Deren Inventar wurde später in die Kirche in Rechlin gebracht, aber zwischenzeitlich in Retzow aufbewahrt, wo Masius' Onkel sein Auto verstecken wollte und die historischen Kunstschätze entdeckte.
Sie habe erst einmal schlucken müssen, als sie erfuhr, dass das Kunstwerk eigentlich jemand anderem gehörte, berichtet Gisela Masius. Zwei Wochen lang grübelte sie, sprach mit ihrem Mann und mit ihren Kindern. Dann fiel die Entscheidung: Das Relief sollte dorthin zurückkehren, wo es hingehört. Bei der Rechliner Kirchengemeinde war die Freude über die Rückkehr des Reliefs groß. Masius und ihr Mann brachten das Kunstwerk selbst in den Nordosten Deutschlands. Das es sich bei dem Relief nicht um Raub- oder Beutekunst handelt, ist der Ärztin wichtig. Das Relief sei schließlich eher zufällig in den Besitz der Familie gelangt. Für die Rechliner Kirche ist dieser Zufall ein Glücksfall: Die anderen Teile des Reliefs sind verschwunden, genauso wie die Heiligenfiguren.
Der Kreis hat sich indes nicht nur für die Kirche geschlossen, sondern auch für die Geschichte selbst: Die Rechliner Kirche steht auf genau jenem Gelände, auf dem einst Luftfahrzeuge erprobt worden waren. Also an jenem Ort, von dem Gisela Masius' Onkel aufgebrochen war, um ein Versteck für sein Auto zu finden.
Das Puchheimer Ehepaar hat im Übrigen inzwischen Ersatz für das Relief gefunden. Die Wand ziert nun ein altes Gemälde, das die Urgroßmutter von Rüdiger Masius zeigt.