Dem Sozialdienst Nachbarschaftshilfe Puchheim (NBH) droht die Pleite. "Die Kosten in der Alten- und Krankenpflege sind um zehn bis 15 Prozent gestiegen, der Pflegekassen zahlen aber nur 1,5 Prozent mehr", erklärte der Vorsitzende Hans Renner. Deswegen müsse die Sparte Ende Juni geschlossen werden. Nach der Abwicklung der Pflegesparte würden das Personal und die Kunden von anderen Einrichtungen übernommen. "Es wird keinen Stillstand geben", versicherte Renner. Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) zweifelt, ob das reicht, um langfristig die Existenz zu sichern.
Monatliches Defizit von 10 000 Euro
Monatlich fährt der Verein laut dem Vorsitzenden ein Defizit von etwa 10 000 Euro ein, weil Energiekosten und Löhne gestiegen sind. Die NBH muss insgesamt 4,5 Prozent mehr Lohn und einen Inflationsausgleich an die Beschäftigten bezahlen, sagte Stadträtin Gisella Gigliotti (Grüne), die dem Vorstand angehört. Das resultiere auch daher, dass der Verein sich an den Tarifvertrag halte, was andere, etwa kirchliche Sozialdienste, nicht täten, wie die Stadträtin anmerkte.
Gleichzeitig seien die Einnahmen gesunken, weil die Zahl der betreuten Senioren von 80 auf 50 gesunken ist, wie Renner erzählt. Ursache dafür seien längere Krankheiten von Mitarbeitern, insgesamt seien 17 Angestellte als Pfleger im Einsatz. Auch Gigliotti berichtet von hohen Krankenständen. Ein kleiner Träger mit wenig Personal könne solche Ausfälle nicht intern ausgleichen. Allerdings konnten manche Kunden nicht betreut werden, weil der Aufwand zu groß gewesen wäre und Überstunden hätten geleistet werden müssen.
Obendrein hat die Leiterin des Pflegedienstes zum 1. Mai gekündigt und es findet sich niemand, um die Stelle zu besetzen, berichtet Renner. Darum darf die NBH auch keine neuen Klienten mehr aufnehmen.
"Wenn wir die Pflege weiter mit Verluste betreiben, ist die Nachbarschaftshilfe gefährdet", betonte Renner. In diesem Fall bliebe nur die Insolvenz, sagte Gigliotti. Laut Renner hat der Verein versucht, die Pflege zu retten, in dem man einen Partner hinzuzieht. "Wir hatten einen Interessenten, aber der hat wieder abgesagt, weil der Betrieb nicht lukrativ ist", sagte der NBH-Vorsitzende.
Die Stadt kann dem Verein nicht unter die Arme greifen, weil Zuschüsse für den Pflegebereich nicht gestattet sind. Die Sparte hat die Nachbarschaftshilfe schon zweimal in Nöten gebracht: 2005 berichtete der damalige Schatzmeister von einem jährlichen Defizit von 30 000 Euro. Man verliere Klienten an private Anbieter, hieß es zur Erklärung. Der Finanzausschuss gewährte daraufhin damals einen Zuschuss, um das Defizit abzudecken. Die Mitarbeiter verzichteten auf Lohn und arbeiteten weniger.
Die vormaligen Krisen
Die nächste Krise kam, als 2016 und 2017 wieder Defizite entstanden und der Bayerische Kommunale Prüfungsverband den allgemeinen Zuschuss der Kommune in Höhe von 103 000 Euro monierte, unter anderem wegen des Anteils zur Pflege. Stattdessen beschloss der Sozialausschuss des Stadtrates 2018 die defizitäre Mittagsbetreuung an Schulen mit 50 000 Euro zu subventionieren. Zwei Jahre später meldete der damalige Vorstand, man habe den Verein erfolgreich umstrukturiert, die Personalkosten seien reduziert worden. Der Haushalt schreibe wieder schwarze Zahlen.
Die Nachbarschaftshilfe Puchheim wurde 1971 gegründet, um auf ehrenamtlicher Basis Kindern und Senioren zu helfen. Drei Jahre später übernahm die NBH den Fröbelkindergarten. Seit damals wurde das Angebot kontinuierlich ausgeweitet und damit das Personal.
Vier Millionen Euro Jahresumsatz
Renner bezifferte den aktuellen Jahresumsatz auf rund vier Millionen Euro. Insgesamt arbeiten in dem Verein seinen Angaben zufolge 80 Festangestellte, darunter etliche in Teilzeit. Sie werden unterstützt von 160 ehrenamtlichen Helfern. Die Mitgliedschaft im Verein sinkt allerdings: Aktuell sind es etwa 700 Mitglieder, um 2018 waren es noch etwa 900.
Die NBH betreibt in Puchheim zwei Kinderhäuser, das Mehrgenerationenhaus ZAP sowie eine Nachmittagsbetreuung an den Schulen, dazu Essen auf Rädern sowie das Programm "Leben im Alter", um Senioren zu helfen, etwa bei Einkäufen, im Haushalt oder Arztbesuchen. Alle diese Projekte könnten fortgesetzt werden, versicherten Renner und Gigliotti.
Der Bürgermeister sieht zur Abwicklung des Pflegebereichs keine Alternative. Allerdings zweifelt Seidl, ob dieser Schnitt genügt. Seiner Ansicht sind "Professionalisierung und Kommerzialisierung bei der Nachbarschaftshilfe nicht richtig angekommen".
Die Ursprungsidee des ehrenamtlichen Vereins sei "aller Ehren wert, aber heute so nicht mehr umsetzbar", sagte Seidl, der selbst schon NBH-Vorsitzender war. Es fehle die "Grundbasis" großer Wohlfahrtsverbände, das Geld aber auch die Größe, um einzelne Einrichtungen mit Defiziten oder bei Personalausfällen mitzuziehen. Er fürchtet, dass es etwa bei den Kindertagesstätten irgendwann ähnliche Schwierigkeiten geben könnte. Deshalb sollte sich der Verein auf Projekte wie das ZAP beschränken, die ehrenamtlich geführt werden können.