Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Missverständnisse sind unvermeidlich

Viele Asylhelfer leiden unter einem großen Druck. Eine Psychologin und eine Sozialpädagogin erläutern, woran das liegt

Von Svenja König, Puchheim

"Sein Ehrenamt kann man in drei Sekunden ablegen", erklärt Sonja Schlünder, Leiterin der Sozialen Dienste der Diakonie. Unter den anwesenden Asylhelfern ist der Großteil erst seit einem Jahr in Helferkreisen tätig. Für viele Ehrenamtliche sei der Druck zu groß, bestätigt Hendrickje Gronenborn-Beier, Geschäftsführerin des Evangelischen Bildungswerks. Deren Fluktuationsrate sei entsprechend hoch. Aus diesem Grund biete man speziellen Interventionen an.

In ihrem Vortrag stellen Diplompsychologin Birgit Berthold und Sozialpädagogin Anna Pfaffenstaller einen grundsätzlichen Bestandteil der Flüchtlingsarbeit fest: "Missverständnisse sind vorprogrammiert." Das fange schon bei kleinen Begriffen wie "Zeit" an. Wenn ein Sprachkurs auf 15 Uhr gelegt ist, dann beginnt dieser auch um 15 Uhr. In anderen afrikanischen Kulturen sei Zeit eher ein dehnbarer Faktor, erklärt Pfaffenhofer. Er entstehe erst durch Handeln. Ein Bus würde demnach nicht einfach nach Fahrplan losfahren, sondern wenn alle eingestiegen wären. Das mag für viele aus unserem Kulturkreis unverständlich sein. Doch für die aus ihrer alltäglichen Sicherheit gerissenen Flüchtlinge sei das Leben in Deutschland ein regelrechter Kulturschock, führt Pfaffenhofer weiter aus. "Der Kulturschock ist allerdings beidseitig", wirft eine Teilnehmerin der rund 22 anwesenden Asylhelfer ein.

Nach ihrer Flucht ins Exil fühlen sie sich entwurzelt und mit Sprachbarrieren und gesetzlichen Einschränkungen konfrontiert. Im Verhältnis zu der Angst vor einer Abschiebung oder den Verpflichtungen gegenüber der zurückgebliebenen Familie, sei Pünktlichkeit nebensächlich, erzählt Pfaffenhofer. Hier sei es wichtig, die eigene Haltung als Asylhelfer zu überprüfen, um nicht mit Enttäuschung zu reagieren oder seine ganze Arbeit im Helferkreis in Frage zu stellen. "Wer noch nicht viel Erfahrung besitzt, hat eine viel größere Erwartungshaltung", stimmt eine Teilnehmerin zu. Man sei schnell dazu verleitet, Asylbewerbern vorzuschreiben, was für sie am besten ist. "Man sollte nicht die Verantwortung für den Lebensweg des Asylbewerbers übernehmen." Denn es sei ebenso wichtig, auf die eigene Psychohygiene zu achten und seine eigenen Grenzen zu erkennen. "Wir wissen nicht, was in den Personen vor sich geht", sagt Berthold. Wenn die Frustration aufgrund der langen Wartezeit des Asylantrags steigt und der Betroffene seine Stabilität im Leben verliert, dann könne man als Helfer nur da sein, zuhören und Unterstützung anbieten. Neben der Rolle als Helfer käme hier die eines Freundes hinzu, führt Pfaffenhofer aus. "Auch bei einem Freund in Not ergreift man keinen Maßnahmenplan, sondern man spricht mit ihm."

Für viele Asylhelfer ist es oft ein Rätsel, warum manche Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte plötzlich nicht mehr zu Sprachkursen kommen und sich komplett abschotten, während sie anfangs offen und kooperativ waren. Berthold erklärt, dass in den ersten Wochen nach der Ankunft in Deutschland das Stresslevel bei vielen sehr niedrig sei, da eine erste Entspannung nach der körperlich anstrengenden Flucht möglich wäre. Doch der viel größere psychische Stress käme erst nach dieser Anfangsphase, wenn die Verweildauer in den Unterkünften länger anhält, kein geregelter Alltag existiert und man auf engsten Raum mit vielen anderen Menschen lebt. Zwischen drei Monaten bis zu einem Jahr könne diese Phase der "Dekompensation" andauern.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2016
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