Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Mehr als ein Kochbuch

Für "Komm in meine Küche" haben Puchheimer aus 21 Nationen Gerichte aus ihrer Heimat zubereitet. Der Verlag Gräfe und Unzer hat das multikulturelle Kochbuch herausgebracht

Von Ingrid Hügenell, Puchheim

In diesem Kochbuch spielen nicht die Gerichte die wichtigste Rolle, sondern die Menschen, die sie zubereiten. 23 Männer und Frauen aus 21 Nationen haben für das Projekt nicht nur gekocht, sondern Aveen Khorschied und Mehmet Birinci vom Quartiersmanagement der Planie auch in ihre Wohnungen und Küchen gelassen. Eigentlich hatte der Sozialwissenschaftler Birinci "Lebensweltreportagen" im Sinn, die im Rahmen des Projekts des Quartiersmanagent entstehen sollten.

Herausgekommen ist aber "Komm in meine Küche", ein Kochbuch aus Puchheim, das bei Gräfe und Unzer erschienen ist, dem renommiertesten deutschen Kochbuchverlag, im großen Format, mit Hardcover und fast 200 Seiten. Der Verlag bewirbt es als "das faszinierendste Multi-Kulti-Kochbuch aller Zeiten". Männer und Frauen aus Argentinien und Tunesien, Russland, Spanien und Syrien, England und Indien haben gekocht. Aus Irak und Deutschland sind jeweils zwei Köche dabei. Sie alle sind in ihren Küchen zu sehen, ihre Speiseteller präsentieren sie oft auf Tischwäsche aus ihrer Heimat.

Was Verlagsleiterin Hanne Schröder überzeugte: Die Authentizität und der Alltag der Menschen, die sichtbar im Buch werden. "Das sind keine professionellen Köche, das ist Alltagsküche", sagt sie bei der Vorstellung des Buchs am Freitag. "Und das ist etwas ganz Besonderes, weil es echt und machbar ist." Jeder könne die Rezepte leicht nachkochen.

Die offizielle Präsentation ist so sehr ein Volksfest, wie es in Coronazeiten eben möglich ist. Auf der Wiese neben dem Puchheimer Kulturzentrum Puc sitzen im nötigen Abstand an die hundert Männer, Frauen und Kinder. Fast alle Köchinnen und Köche sind gekommen und haben Partner, Kinder und Freunde mitgebracht. Es spielt und singt die Unterbiberger Hofmusik, unter anderem das Lied vom "Rehragout", auch mit arabischem Text ("eh leyla Rehragout diyya"), den bitte alle mitsingen sollen. Er ist in lateinischer Transkription auf Papptafeln geschrieben, die einer der Musiker hochhält.

Auf der Bühne befragen Buchhändlerin Nicola Bräunling und Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) die Quartiersmanager Birinci und Khorschied sowie einige der Menschen, die mitgekocht haben. Ciro Carraturo aus Neapel lebt seit zehn Jahren in Puchheim und hat Pizza Margherita und Ragù Napoletana beigetragen. "Ich bin stolz, dass ich in diesem Buch sein darf", sagt er. Die Ungarin Anna "Panni" Nagel hat Gulyás mit Pogatschen gekocht und erklärt, dass das eine klare Gulaschsuppe ist. Was die Deutschen Gulasch nennen, heiße in Ungarn Pörkölt. Birinci erklärt, das beste an dem Projekt sei gewesen, dass er jeden Mittag so toll bekocht worden sei. Manchmal habe er ganz spontan kommen müssen, weil eine Familie nur an diesem Tag Zeit hatte.

Sozialarbeiterin Khorschied berichtet, die Familien hätten sie immer sehr warmherzig empfangen. Eine Familie habe acht Gerichte vorbereitet, bis 23 Uhr habe es immer wieder etwas zu essen gegeben.

Im Buch erzählen die Köche und Köchinnen auch von sich und davon, wie sie ihre neue Heimat Deutschland erleben. Zourahatou Assoumanou-Mamanh aus Togo sagt: "Immer wenn ich Gerichte aus meiner Heimat zubereite, fühle ich mich meinen Lieben besonders verbunden." Denn die sind in Togo geblieben. "Eines Tages werden wir und wiedersehen", hofft die 50-Jährige. Gekocht hat sie Jolof, ein Reisgericht mit Gemüse und Lamm, und Poff Poff, frittierte Teigbällchen. Die meisten haben mehr als ein Gericht beigesteuert, alle sind mit vernünftigem Aufwand nachzukochen. Das sei vor der Veröffentlichung mehrfach geprüft worden, versichert Hanne Schröder.

Zum Konzept gehört auch, dass es nicht nur ums Kochen geht. Die Quartiersmanager haben zum Beispiel auch nach der Lieblingsmusik gefragt. Von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" über "Bohemian Rhapsody" von Queen bis zu indischer Volksmusik ist alles dabei. Auskunft geben die Köche auch darüber, was ihnen an Deutschland gefällt. Azma al Zoubi aus Jordanien erklärt ihr deutsches Lieblingswort: "Glückwunsch. Es ist voller guter Gedanken für den anderen." Die Bulgarin Elenora Stefanova hat ebenfalls ein Lieblingswort: "Dankeschön". Maia Budakova aus Georgien ist stolz, dass sie "Reißverschluss" aussprechen kann und Sumaya Younus Matti sagt, das schwerste deutsche Wort sei "Fürstenfeldbruck".

"Komm in meine Küche lässt uns so hautnah und ungestellt wie noch nie unsere Mitbürger*innen kennenlernen. Da merken wir wieder, gemeinsames Kochen und Essen verbindet", heißt es im Text des Verlags zum Buch. Vor allem aber kommen einem Menschen durch die kurzen Texte sehr nahe. Ihre Würde wird sichtbar.

Dass das Buch erschienen ist, ist Buchhändlerin Nicola Bräunling zu verdanken. Khorschied und Birinci seien im April 2019 zu ihr gekommen mit der ersten Version des Buchs, berichtet sie. Es sei "Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ich bin schier auf den Rücken gefallen vor Begeisterung." So gut gefiel ihr das Buch, dass sie ihre Kontakte bei Verlagen deswegen ansprach. Hätte sich kein Verlag gefunden, der das Buch herausbringen wollte, hätte sie es selbst gemacht, sagt sie bei der Vorstellung. Doch GU-Verkaufsleiter Josef Resele und Verlagsleiterin Schröder gefielen das Konzept und auch Birincis Aufnahmen im sehr privaten Rahmen. Dass der Verlag die Fotos übernommen habe, sei die absolute Ausnahme, sagt Schröder. "Normalerweise fotografieren wir alles noch mal selbst." Die Fotos offenbaren auch einen Blick für Besonderheiten.

Menschen aus 117 Nationen leben in Puchheim - eigentlich genug Stoff für weitere Bücher. "Wir könnten locker drei weitere Versionen machen", sagt Birinci. "So viele Anfragen haben wir, seit es sich rumgesprochen hat." Ob es die tatsächlich geben wird, ist auch eine Zeitfrage. Birinci arbeitet halbtags als Quartiersmanager in Puchheim und unterrichtet außerdem an der Hochschule München.

Aveen Khorschied, Mehmet Ismail Birinci: Komm in meine Küche! Eine deutsche Kleinstadt, 21 Nationen, ein gemeinsames Kochbuch, Gräfe und Unzer, 192 Seiten, etwa 200 Fotos, 24 Euro

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SZ vom 15.09.2020
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