Puchheim:Annäherung an ein Überlebensthema

Puchheim: Runder Tisch und Notizen an der Tafel: In Puchheim begegnen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Bürgerwerkstatt persönlich.

Runder Tisch und Notizen an der Tafel: In Puchheim begegnen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Bürgerwerkstatt persönlich.

(Foto: Leonhard Simon)

Wie Integration im Landkreis gelingen kann, dafür erarbeiten nun die Bürgerinnen und Bürger ein Konzept. Den Auftrag dafür hat der Kreistag vor zwei Jahren gegeben.

Von Gerhard Eisenkolb, Puchheim

Wer verstehen will, warum der Kreistag im Jahr 2020 beschlossen hat, für den Landkreis ein Integrationskonzept zu erarbeiten, sollte sich den Anteil der Grundschüler mit einem ausländischen Pass in Fürstenfeldbruck, Puchheim oder Germering vergegenwärtigen. Dieser lag in den drei Städten in diesem Juni zwischen 40 und 44 Prozent. Im Landkreisdurchschnitt hat inzwischen in etwa jeder vierte Grundschüler einen Migrationshintergrund. Diese hohe Zahl relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Migranten aus europäischen Ländern kommen und beispielsweise auch die Kinder einer mit einem Deutschen verheirateten Finnin zu dieser Gruppe gehören.

Da Kinder die Zukunft sind, ist für Hans Sautmann Integration ein "Überlebensthema für unsere Gesellschaft". Zur Begründung führt er an, dass auch diese Kinder später einmal unsere Renten finanzieren sollen. Und er stellt die Frage, wo beispielsweise Handwerker, sonst noch die dringend benötigten Nachwuchskräfte oder Betriebe ihr qualifiziertes Fachpersonal finden sollen? Damit das klappt, brauchen sie eine gute Schul- und Ausbildung. Und je besser und früher jemand integriert ist, umso besser sind dessen Chancen.

Sautmann sitzt für die Grünen im Kreistag. Er ist dessen Referent für Integration und Migration, Mitinitiator des Integrationskonzepts, engagiert sich seit 2014 als Flüchtlingshelfer. Daher ist der Eichenauer am vergangenen Samstag in Puchheim bei der Beteiligungswerkstatt zu diesem Konzept eine maßgebliche Kraft. In der Realschule haben sich mehrere Dutzend Interessierte eingefunden, um sich darüber auszutauschen, wie Alteingesessene und neu Hinzugezogene im Landkreis respektvoll, offen und mit Verständnis füreinander zusammenleben können.

Im Unterschied zum früheren Assimilationsdruck gegenüber Migranten gibt es einen Paradigmenwechsel. Für diesen Wechsel stehen für alle Beteiligten, also auch für die Eingesessenen, Begriffe wie Vielfalt und Toleranz. Das Verbindende soll die gemeinsame Sprache sein. Sprachvielfalt wird als Kompetenz verstanden. Unterschiede sollen als Bereicherung und nicht mehr als etwas bedrohlich Fremdes wahrgenommen werden. So weit die Theorie.

Puchheim: Ausgangsfragen wie diese sollen die Diskussion voranbringen.

Ausgangsfragen wie diese sollen die Diskussion voranbringen.

(Foto: Leonhard Simon)

Sirjat Salih, 26, aus Eritrea ist ein Musterbeispiel dafür, was mit dem Konzept erreicht werden soll. Er kam 2015 als Flüchtling nach Eichenau. Nach einer Lehre als Einzelhandelskaufmann und eineinhalb Berufsjahren in einem Bioladen bereitet er sich zurzeit an der Fos/Bos in Fürstenfeldbruck auf das Fachabitur vor. Danach will er Sozialwirtschaft oder Sozialmanagement studieren, um danach mit jungen Flüchtlingen zu arbeiten. Erste Erfahrungen auf diesem Gebiet sammelte er bei einem freiwilligen sozialen Jahr. Sich zu integrieren, bezeichnet Salih trotz aller Herausforderungen "als nicht wirklich schwierig". Grundvoraussetzung sei die Beherrschung der deutschen Sprache und Hilfe, wie er sie von Eichenauer Asylhelfern bekam. Wäre er nicht darauf hingewiesen worden, dass er nach der Lehre das Abitur nachholen kann, hätte er nicht diesen zweiten Bildungsweg einschlagen können.

Während seines sozialen Jahres bei der Arbeiterwohlfahrt hat Salih, etwas getan, was das Brucker Forum inzwischen institutionalisiert hat: die Schulung von ehrenamtlichen "Kulturdolmetschern". Salih war, ohne diesen Begriff zu kennen, ein Kulturdolmetscher für andere Migranten, da er diese bei Behördengängen oder Arztbesuchen begleitet und mit dem Leben in Deutschland vertraut machte. Das Brucker Forum hat in vier Kursen bisher etwa 50 Kulturdolmetscher ausgebildet. Für dessen Geschäftsführerin Kirstin Jäger bezeichnet diese als Brückenbauer zwischen den Kulturen. Menschen als verschiedenen Ländern bezeichnet sie als die idealen Brückenbauer. Diese wüssten am besten, was man brauche, um hier zurechtzukommen. Vermittelt werden die Einsätze der Kulturdolmetscher übrigens vom Integrationsbeauftragten des Landratsamtes.

Andrea Gummert ist Mitarbeiterin der Caritas-Fachstelle für Integration und Ehrenamtskoordinatorin für Flucht und Migration. Gedanklich ist sie schon einen Schritt weiter. Sie überlegt, wie es gelingen kann, Migranten dafür zu gewinnen, sich ehrenamtlich bei Organisationen wie dem Roten Kreuz oder bei der Feuerwehr zu engagieren. Damit wäre die Hilfe nicht mehr einseitig, sondern gegenseitig. Um das zu erreichen, müsste Zugewanderten das sehr deutsche ehrenamtliche System erst einmal begreifbar gemacht werden, damit sie verstehen, welchen Nutzen man aus einem solchen Engagement ziehen kann. Wie Gummert beteuert, geht es auch hier vor allem um Wissen und darum, sich für Neues zu öffnen. Beginnen könne das bereits niederschwellig im Kindergarten durch Einbeziehung von Migranten bei der Vorbereitung von Festen oder bei der Erledigung von kleineren Aufgaben durch Eltern.

Aus eigener leidvoller Erfahrung weiß Giovanni Maio, wie wichtig für Zugewanderte Hilfsangebote sind. Als seine Eltern in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hierherzogen, mussten sie selbst schauen, wie sie sich durchschlugen. Als Kind fühlte er sich nirgends richtig zu Hause. In Deutschland sei er der Italiener gewesen und in Italien der Deutsche. Diese längst überwundene Zerrissenheit bezeichnet er als Grund für seine Mitarbeit am Integrationskonzept. Andere sollen es besser haben als seine Eltern. Maio hat inzwischen einen deutschen Pass und arbeitet bei der Entwicklung einer Praktikumsjobbörse für Frauen mit. Das Projekt soll sowohl Einheimische als auch Zugewanderte Frauen im mittleren Alter stärken, beruflich weiterzukommen und sich weiterzubilden. Oft fehlten die entsprechenden Angebote. Das Praktikum soll für Arbeitgeber und Frauen wie ein Türöffner wirken.

Auch Sautmann will die erst noch gemeinsam zu entwickelnden Projekte nicht nur auf Flüchtlinge fokussieren. Als Grundthema bezeichnet er den stetig steigenden Bevölkerungsanteil von Migranten. Der Landkreis könne es sich nicht leisten, das Potenzial dieser jungen Leute nicht zu entwickeln. Das werde Geld kosten und nicht ohne neue Fachstellen gehen. Der Kreisrat ist zuversichtlich, dass es hierfür im Kreistag Mehrheiten geben könnte. Dabei baut er auch auf den Landrat und dessen Aufgeschlossenheit für das Integrationskonzept.

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