Puchheim:Integration auf wackligen Beinen

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Robin Zimmermann leidet an einer Spastik. Damit der zwölfjährige Puchheimer weiter das Gymnasium besuchen kann, ist er auf ständige Hilfe angewiesen. Seine Eltern sind aber seit Monaten vergeblich auf der Suche nach einem neuen Schulbegleiter

Von Julia Bergmann

Am liebsten spielt er Fußball oder Xbox, erzählt Robin Zimmermann, während er auf dem Korbsessel im Garten sitzt und immer wieder ungeduldig auf den Pool schaut, der ein paar Meter weit entfernt steht. Robin hat die klassischen Hobbys eines zwölfjährigen Jungen, er ist selbstbewusst, aufgeschlossen und redet gerne, nur im Moment würde er lieber ins kühle Nass springen, um den hochsommerlichen Temperaturen zu entkommen. Erst als Robin aus seinem Sessel aufsteht, um seinen Plan zu verwirklichen, fällt auf, dass er wackelig auf den Beinen steht.

Robin Zimmermann (rechts) braucht einen neuen Betreuer, denn sein Betreuer Maximilian Zauner hört auf. (Foto: Günther Reger)

Robin hat eine Cerebralparese, eine Spastik in den Beinen. Wenn er Fußball spielt, oder draußen mit seinen Freunden unterwegs ist, hat er immer seinen Gehwagen zur Hilfe dabei. "Und damit ist er teilweise flotter unterwegs als so mancher Gleichaltrige", erzählt Klaus Rubik, Robins Vater. In der Schule ist Robin auf Unterstützung angewiesen. Seit seiner Einschulung steht ihm jedes Jahr ein Schulbegleiter zur Seite, der ihm beim Klassenzimmerwechsel, beim Tragen des Schulranzens und bei Unterrichtsvorbereitungen wie zum Beispiel dem Büchertausch hilft. "Das hat eigentlich immer gut funktioniert, nur nach der Abschaffung des Zivildienstes wurde die Suche immer schwieriger", sagt seine Mutter Claudia Zimmermann. Nun sei man darauf angewiesen, dass sich jemand im Zuge eines freiwilligen sozialen Jahres finde, der diese Aufgabe übernimmt. Gerade junge Männer seien da nur schwer zu finden. In diesem Jahr ist die Situation extrem. Bereits seit Februar sind die Eltern auf der Suche, bisher ohne Aussicht auf Erfolg. "Wir haben über die Johanniter gesucht, Handzettel verteilt, die Leute direkt angesprochen und über Facebook Aufrufe gestartet."

Auch die Schule helfe bei der Suche mit, sagt Claudia Zimmermann. Unter anderem haben die Lehrer bei der Ausgabe der Q12- Zwischenzeugnisse jedem Schüler einen Flyer mit in die Hand gedrückt. Die Zettel wurden auch vom Kantinenpersonal bei der Essensausgabe an jeden Schüler verteilt, der "auch nur halbwegs in Frage gekommen ist". Und dennoch scheint die Lage so verfahren, dass Claudia Zimmermann seit Wochen nachts nicht mehr ruhig schlafen kann. Dann gehen ihr die Gedanken einer Mutter durch den Kopf, die nicht weiß, wie es für ihren Sohn weiter geht. Möglicherweise könne es sogar so sein, dass Robin die Regelschule verlassen und eine Sonderpädagogische Förderschule besuchen muss. Das wollten die Eltern auf jeden Fall vermeiden.

"Das ist schlichtweg eine Separierung der Menschen. Robin gehört zu uns allen und er soll in sein soziales Umfeld eingebunden bleiben", findet Klaus Rubik. Mit einem Zeugnis von einer Förderschule, gibt er zu bedenken, komme er für künftige Arbeitgeber kaum in Frage. Schließlich sei Robin auch ein aufgeschlossener, wortgewandter Junge, der lediglich körperlich eingeschränkt ist. Seine Frau fügt hinzu: "Wir hätten dann vielleicht ein Rundum-Sorglos-Paket, aber Robin würde unter einer Glasglocke aufwachsen. Und dann nach dem Schulabschluss soll er sich plötzlich auf einen normalen Alltag umstellen?" Froh sei sie vor allem, dass die Schulleitung des Gymnasium Puchheim sich für ihren Sohn einsetze. In einem Gespräch versicherten ihr der Direktor und sein Stellvertreter, dass sie Robin nie die Türen zur Schule verschließen würden. "Robin ist eine enorme Bereicherung für jeden an der Schule. Einerseits natürlich auf Grund seiner Person, andererseits, weil man sieht, wie er sein Handicap bewältigt", sagt der stellvertretende Schulleiter Peter Mareis. Und natürlich verlieren auch seine Mitschüler Berührungsängste im Umgang mit behinderten Mitmenschen. Sollte nun der Ernstfall eintreten, habe man sich schon Gedanken über ein alternatives Unterstützer-System gemacht. Man werde versuchen, die Situation zu stemmen, obwohl das natürlich nicht optimal wäre. Auch Mareis betont, wie wichtig ein Schulbegleiter für den Zwölfjährigen ist. "Der Schulbegleiter gibt ihm immense Sicherheit, so dass er sich voll auf den Unterricht konzentrieren kann. Er muss einfach da sein, damit Robin den Kopf frei hat um zu lernen." Dass Robin trotz seiner Behinderung eine Regelschule besuchen kann, dafür haben die Eltern lange gekämpft. Als Eltern eines behinderten Kindes müsse man etliche Hürden überwinden, aber wenn das Kind schulfähig ist, hat es einen rechtlichen Anspruch darauf, in eine Regelschule zu gehen. Dafür lohne es sich den Irrgang durch die Behörden auf sich zu nehmen. "Wenn man sich engagiert, bekommt man alles, das war nie ein Problem. Aber man muss hartnäckig bleiben und darf nicht beim ersten Hindernis aufgeben", sagt dieMutter.

Hartnäckig wollen auch die Johanniter bleiben, die die Famile bei ihrer Suche nach einem Schulbegleiter unterstützen. Man habe bisher auf allen erdenklichen Wegen gesucht, sagt Andrea Meier von der Sachgebietsleitung für Kinder- und Jugendhilfe im Regionalverband Oberbayern. Dass bisher niemand gefunden wurde, erklärt sie sich auch mit der wachsenden Abenteuer- und Reiselust der Jugendlichen. Diese würden nach ihrem Abschluss eher ins Ausland gehen und ein Jahr Work & Travel machen, als zu Hause ein Freiwilliges Soziales Jahr abzuleisten. Aber egal, wie hoffnungslos die Situation im Moment wirke, die Familie von Robin werde von den Johannitern nicht hängen gelassen, verspricht Maier. Derzeit suche man mit Hilfe einer Stellenausschreibung auch nach Teilzeitkräften, die auch älter sein können und Robin über mehrere Jahre hinweg begleiten könnten.

Claudia Zimmermann erinnert sich noch gut an den Tag, als sie vor etwas mehr als zehn Jahren die Diagnose erhalten hat. "Ich bin erst mal in die Knie gegangen. Wir waren natürlich schon traurig. Aber trotzdem - ein Weltuntergang war es nicht." Dass etwas nicht stimmte, diese Vermutung hatte sie schon zuvor. Für Robin und seine Eltern folgten in den nächsten Jahren etliche Therapien und Untersuchungen. Aber irgendwann waren Robin die Arztbesuche zu viel. Der einzige Termin, den er noch wahrnimmt, ist die Physiotherapie, denn seine Mutter findet, das wichtigste sei, dass ihr Kind Spaß am Leben hat und nicht tottherapiert werde. "Robin hat immer selbst entschieden, wann für ihn der richtige Zeitpunkt war, irgendwelche neuen Schritte zu tun."

Der Alltag soll für den Zwölfjährigen so normal wie möglich ablaufen, auch darauf legen seine Eltern Wert. Und das habe bisher immer geklappt. In der Schule wird Robin wie jeder andere behandelt, da wird sich gezankt und gekabbelt und die Schüler drängeln in der Pause - ganz normaler Schulalltag eben. In die Klassengemeinschaft ist Robin ausgesprochen gut integriert, dieses Jahr wurde er zum Klassensprecher gewählt. Dass ihn jemand anders behandelt, weil er körperlich eingeschränkt ist, will der Zwölfjährige auch nicht. "Wenn beim Fußball jemand absichtlich schlechter spielt, macht mich das wütend", sagt er. Und obwohl er von der Sportnote freigestellt ist, nimmt er am Unterricht so weit es geht teil. Falls mal wieder Bodenturnen auf dem Plan stehen sollte, darf Robin stattdessen mit seinem derzeitigen Schulbegleiter Fußball spielen. Bedauerlich findet Robin das weniger. "Da würde ich sowieso nicht so gerne mitmachen wollen", erzählt er und grinst.

"Der Robin ist halt generell ein unternehmungslustiger Typ", sagt auch Maximilian Zauner, der momentan im Rahmen seines Freiwilligen Sozialen Jahres Robins Schulbegleiter ist. "Er ist für alles zu haben." Das Jahr mit Robin war für ihn eine persönliche Bereicherung. Einerseits wisse er nun definitiv, dass er ein Studium im Sozialbereich beginnen wolle, andererseits schätze er nicht nur Robin, sondern auch die Familienbindung, auf die Claudia Zimmermann und Klaus Rubik viel Wert legen. Gerade von anderen Kollegen wisse er, dass das Verhältnis zu den Eltern nicht immer so familiär aussehe. Er wird oft zum Kaffee oder zu Ausflügen eingeladen und kommt auch gerne mit.

Der Respekt für die Arbeit der Schulbegleiter stehe für sie im Vordergrund, sagt Klaus Rubik. "Schließlich sind die jungen Männer für uns keine Hilfskräfte. Sie gehen mit dem um, was wir am liebsten haben, dem eigenen Kind." Die Suche nach einem neuen Schulbegleiter werden die Eltern bis zum Schluss nicht aufgeben. "Wir wollen uns nicht nachsagen lassen, nicht jeden erdenklichen Weg gegangen zu sein", sagt Claudia Zimmermann mit entschlossener Stimme. Wichtig sei der Familie, dass der Neue "einfach ein cooler junger Mann ist, der richtig Lust drauf hat, Robin zu unterstützen". Für Interessenten hat die Familie eine E-Mail-Adresse eingerichtet: fsj@rubik-online.de.

© SZ vom 26.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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