In der Alten Schule in Puchheim„Frieden als Meisterwerk der Vernunft“

Lesezeit: 3 Min.

Die Referenten des Stadtgesprächs (vorne von links):  Willi Dräxler, Werner Boltz, Marlies Eller, Wolfgang Wuschig. Hinten von links: Andreas Metz , Kathrin Geiger, Sonja Orthofer und Marianne Schuon.
Die Referenten des Stadtgesprächs (vorne von links):  Willi Dräxler, Werner Boltz, Marlies Eller, Wolfgang Wuschig. Hinten von links: Andreas Metz , Kathrin Geiger, Sonja Orthofer und Marianne Schuon. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Beim vielseitigen Stadtgespräch der Unabhängigen Bürger Puchheims wird zu einem ernsten Thema sogar ein prominenter Komiker zitiert.

Von Karl-Wilhelm Götte, Puchheim

Der Puchheimer Stadt- und Kreisrat Max Keil hielt sich mit dem Gedenken an den 8. Mai 1945, dem Ende der Naziherrschaft und der Befreiung Deutschlands vom Faschismus durch die Rote Armee und den westlichen Alliierten nicht lange auf. Er blickte auf 80 Jahre Frieden zurück und zitierte noch Dieter Hallervorden, der kürzlich „Frieden als Meisterwerk der Vernunft“ bezeichnete. Dann leitete er zum „Stadtgespräch“ der Unabhängigen Bürger Puchheims (ubp) über, das sich in der Alten Schule in Puchheim-Ort mit der „Friedensarbeit lokal und global“ beschäftigte. Musikalisch gestaltet wurden die Gespräche durch Mia Willig und Aljoscha Fink, dem Duo für Flöte und Klarinette, mit einem Stück von Kaspar Kummer.

Im Wahlkampf seien „Feindbilder befeuert worden“, sagt Referent Willi Dräxler mit Blick auf Migranten

Ehe Willi Dräxler, Stadtrat in Fürstenfeldbruck und bester Kenner der Flüchtlings- und Migrationsgeschichte im Landkreis, zu seinem Spezialthema kam, erinnerte er die 40 Besucher an historische Parallelen und an die Auswanderung von Millionen deutschen Bürgern im 19. und 20. Jahrhundert, zum Beispiel nach Nordamerika. „Die gingen hier aus Perspektivlosigkeit weg“, so Dräxler. „40 Millionen US-Bürger bezeichnen sich noch als ehemalige Germans.“ Zwischen drei und vier Millionen Deutsche würden heute zudem im Ausland wohnen. Im vergangenen Wahlkampf seien „Feindbilder befeuert worden“, die dem Flüchtlingsthema nicht gerecht wurden. „Warum driften Menschen so ab?“, fragte Dräxler und meinte die Attentate von Magdeburg, Mannheim oder Aschaffenburg. Er beschrieb die enormen „Verluste“, die ein Flüchtling auf den Weg nach Europa erleben muss. Zudem führten häufig „Vereinsamung und Isolation“ in Deutschland zu „Verirrungen“.

Dräxler weiß auch, dass zunehmende Ablehnung von Flüchtlingen hierzulande mit der weitgehenden Überforderung von Kommunen zu tun hat. Auch in der Konkurrenz Einheimischer mit Flüchtlingen um preiswerten Wohnraum. Dräxler ist sich aber sicher: „Der knappe Wohnraum in unseren Ballungszentren ist nicht die Schuld der Flüchtlinge.“ Mit der Aufnahme von einer Million ukrainischer Kriegsflüchtlingen habe sich der Blickwinkel nochmals verändert. Es gebe jetzt den „guten und den bösen Flüchtling, den Moslem. Wo lassen wir uns da reinziehen?“, fragte der langjährige Integrationsreferent der Caritas, der kürzlich in den Ruhestand gegangen ist.

Aus hundert aktiven Asylhelfern sind nur noch fünf  geworden, so die ernüchternde Bilanz von Marlies Eller

Dass sich nachhaltig etwas in der Flüchtlingsarbeit verändert hat, erklärte Marlies Eller im Gespräch mit Wolfgang Wuschig. Eller blickt auf zehn Jahre Asylhelferkreis zurück. 2015 habe es bei den Helferinnen und Helfern eine Aufbruchsstimmung gegeben. „Aus hundert sind jedoch nur noch fünf aktive Helfer geworden“, so die ernüchternde Bilanz von Eller. „Die Euphorie ist komplett weg.“ Die Gründe dafür sieht sie auch bei den politischen Entscheidern, die sich mit ihrer Haltung „zurückgebeamt haben“ und der veröffentlichten Meinung mit ähnlicher Tendenz. Eller kritisierte, dass in der großen Asylunterkunft mit etwa 300 Plätzen in der Puchheimer Siemensstraße allein 20 000 Euro im Monat für die dortige Security ausgegeben wird. Geld, das an anderer Stelle fehle. Eller spürbar verärgert: „Bei so viel Geld für Nichts fühlen sich Ehrenamtliche ausgenutzt.“

„Ein total schöner Mehrwert für die Schule“ sei das Streitschlichterprojekt, findet Kathrin Geiger

Natürlich überlagert die Flüchtlingsproblematik andere Aktivitäten der lokalen Friedensarbeit. Eindrucksvoll beschrieben die Grundschullehrerin Sonja Orthofer und die Schulsozialpädagogin Kathrin Geiger das Streitschlichterprojekt an der Schule am Gerner Platz. Viertklässler sorgten jeden Montag und Donnerstag in der großen Pause für Frieden unter den Schülern, zum Beispiel bei Streitigkeiten. „Das ist eine Entlastung für Lehrer“, so Ortmann und „ein total schöner Mehrwert für die Schule“, meinte Geiger. Dass sich in Puchheim viele Menschen für Frieden und Menschenrechte engagieren, ist kein Geheimnis. Marianne Schoun und Werner Boltz berichteten über ihre Arbeit bei Amnesty International. Andreas Metz und Walter Ulbrich beendeten den Gesprächsabend mit der Aufforderung „global und lokal gerecht zu denken und zu handeln“. Ulbrich, 81, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, er setzt sich seit 50 Jahren für Menschenrechte und als Gründer des Vereins „Campo Limpo, Solidarität mit Brasilien“ nach wie vor intensiv für fairen Weltkandel ein. Das hölzerne Mahnmal von 1992, das „Nord-Süd-Tor“ am Puchheimer S-Bahnhof, Symbol für das Nord-Süd-Armutsgefälle, geht auf seine Initiative zurück.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mitten in Germering
:Einfach überlebensgroß

Germering fordert München heraus: Die aktuelle Werbekampagne der Großen Kreisstadt kommt recht großspurig daher.

SZ PlusKolumne von Andreas Ostermeier

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: