Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Alternativen zur Plastikverpackungsflut

Eine Ausstellung des Bundes Naturschutz klärt über die Folgen auf. Gefragt sind politische Lösungen

Von Peter Bierl, Puchheim

In Bayern gilt beim Bier das Reinheitsgebot. Allerdings verwenden Brauereien bei der Herstellung das Kunststoffgranulat Polyvinylpolypyrrolidon. Es soll bewirken, dass das Bier monatelang schön klar bleibt und bis zu anderthalb Jahre lang verkauft werden kann. Der Stoff gilt als unbedenklich, und der Deutsche Brauerverband beteuert, dass das Zeug wieder entfernt werde. "Es ist zweifelhaft, ob wirklich alles draußen ist", sagt Ariane Zuber, Vorsitzende der Ortsgruppe Gröbenzell des Bundes Naturschutz.

Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema und tourt mit der Ausstellung "Plastik - Fluch oder Segen?" durch Oberbayern. Seit Samstag ist sie in Puchheim in leer stehenden Räumen im Innenhof des Alois-Harbeck-Platzes zu sehen, noch bis Sonntag, 16. Mai. Es ist ein gemeinsames Projekt mit dem Bund Naturschutz, der Volkshochschule und der Stadt Puchheim. Die Ausstellung ist empfehlenswert, übersichtlich und bietet leider viele unliebsame Überraschungen

Die Volkshochschule hat als Semesterschwerpunkt Nachhaltigkeit, es gehe um die Energiewende, ökologische Landwirtschaft und die Vermeidung von Plastik, sagt Achim Puhl, der Geschäftsführer, bei der Vernissage am Samstag. Jeder einzelne könne durch seinen Konsum beitragen, das sich etwas ändert. Würden keine Plastikflaschen mehr gekauft, würden mehr Getränke in Mehrwegflaschen angeboten. Außerdem sei die Politik gefragt, sagt Puhl und verweist auf die Klatsche, die das Bundesverfassungsgericht dem Klimagesetz der großen Koalition verpasst hat.

Zuber ärgert sich über das neue Lieferschutzgesetz, das die Regierung so verwässert hat, dass es Unternehmen nicht wehtue. Da hilft eben kein Lobbyregister. Deutschland präsentiere sich gern als Recyclingmeister, sei aber Müll-Europameister in Verbrauch und Export. Eine Statistik zeigt, dass die Bundesrepublik mit einem Viertel des Plastikverbrauchs Spitze ist in Europa. Italien erreicht 14,3 Prozent und Großbritannien nur 7,6 Prozent.

Ein rosafarbenes Leitsystem auf dem Platz, das die Künstlergruppe "Buntheim" gestaltet hat, führt zu den Schaufenstern. Dort hängen Tafeln, gespickt mit Informationen, Fotos und Statistiken über die "Hexenküche der Kunststoffindustrie". Demnach steigt die weltweite Plastikproduktion ununterbrochen, von 204 Millionen Tonnen (2002) auf 348 Millionen Tonnen (2017). Man erfährt, dass Bioplastik zwar nicht aus Erdöl hergestellt wird, aber auch nicht einfach verschwindet. Welcher Komposthaufen bringt es schon auf eine Kerntemperatur von 60 Grad? Dazu gibt es ein Müll-Quiz für verschiedene Altersstufen.

In den Räumen stehen Bänke, beladen mit Alternativen zur Plastikverpackung: Beeindruckend ist die Einkaufstasche aus Indien, fabriziert aus einer alten Zeitung, ebenso der Hundebeutel samt Schaufel aus Karton oder die Küchenrolle aus Bambus. Von einer Puchheimer Firma stammt die Isoliertasche aus Stroh, das mit einem Fleece in Form gebracht wird.

Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) betont, dass Plastik auch ein Fortschritt sei, unverzichtbar etwa für Spritzen. Fest steht für ihn aber, dass die Politik mehr machen muss, um die Flut einzudämmen. "Das Müllsystem muss erneuert werden", sagt er mit Bezug auf den Landkreis. "Wir verteufeln Kunststoff nicht", entgegnet Zuber. Plastik sei sinnvoll für nützliche Produkte, aber nicht für Verpackung. Deren Anteil beziffert sie mit sechs Milliarden bei einer globalen Gesamtproduktion von bislang rund 8,3 Milliarden Tonnen.

Es braucht etwa 450 Jahre, bis es verrottet. Ein großer Teil wird fein zermahlen zu Mikroplastik und landet überall. Selbst wenn das Granulat komplett aus dem Bier herausgefiltert wird, bleiben genügend Rückstände in anderen Speisen. Zuber schätzt, dass wir etwa fünf Gramm pro Woche essen, etwas das Gewicht einer Scheckkarte. Prost Mahlzeit.

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SZ vom 03.05.2021
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