Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Absurdität des Weltuntergangs

39 Karikaturisten zeichnen in 99 Bildern eine Welt des zerstörerischen Lebensstils

Von Johanna Haas, Puchheim

Weltuntergangsszenario Nummer 85: Überall radioaktiver Müll, und auslaufende Ölkanister. Im Hintergrund die Industrie der Stadt, deren dunkle Rauchschwaden den Himmel schwarz-gelb einfärben. Über der Mülldeponie kann man einen Skateboardfahrer erkennen - mit breitem Grinsen hört er die Musik, die aus seinen Kopfhörern dröhnt. Vielleicht den Titel "Hurra, die Welt geht unter" von K.I.Z oder "Who wants to live forever" von Queen? Jedenfalls scheint er ihn zu genießen, während unter ihm die Welt im Chaos versinkt.

Karikaturist Peter Zimmer alias "Sobe" arbeitet wie 39 weitere renommierte Künstler mit dieser erschreckenden, verblüffenden und manchmal auch überraschenden Ironie. In 99 Bildern machen sie ihren Standpunkt zu Lebensstil, Konsum, Klimawandel und Gerechtigkeit klar. "Glänzende Aussichten" heißt die Ausstellung der Hilfsgruppe Misereor und des Bamberger Erzbistums. Anlässlich der demokratischen Aktionswochen, wird sie in der Puchheimer Sankt Josef Kirche, der evangelischen Auferstehungskirche und im Puchheimer Rathaus präsentiert.

Der Titel der Ausstellung ist ebenso provokant wie die Bilder selbst - ein Einblick in die Abgründe des menschlichen Verhaltens. Eines der Bilder von Freimut Woessner beschäftigt sich mit dem Konsum- und Einkaufsverhalten der Gesellschaft. Ein Mann im grünen Pulli verkauft an einem Marktstand geflochtene Körbe - vor ihm eine Frau in rotem Blazer. Sie hat einen der Körbe gekauft und wird nun von dem Verkäufer gefragt: "Brauchen Sie 'ne Tüte für den Korb?" Eine Darstellung, die unerwartet einfach ist und die Absurdität des Alltags auf den Punkt bringt. Bei den komplexen, weltweiten Katastrophen macht sie Mut. Mut, simple, ja fast banale Verhaltensweisen zu überdenken - das eigene Handeln anzupassen.

Eine Karikatur zum Klimawandel bietet Heiko Sakurai. Zu sehen ist ein großer Tanker mit der Flagge der Europäischen Union und der Aufschrift EU. Aus seinen Schornsteinen raucht schwarzer Qualm - wodurch sich der Begriff CO2 im Himmel abzeichnet. Auf dem Schiff erkennt man einen Anzugträger, der einem Eisbären - der neben dem Schiff auf einer kleinen Scholle im Meer treibt - zuruft: "It's the Economy, stupid!" Diesen berühmten Satz ließ Präsident Bill Clinton 1992 landesweit auf Plakate drucken. Damit wollte er vor allem seinen Rivalen George Bush kritisieren, der scheinbar tatenlos dabei zusah, wie im eigenen Land Armut und Arbeitslosigkeit stiegen. Vier Worte, die die Wahrheit so eingängig und simpel auf den Punkt bringen, dass sie sich als Wahlkampfschlager entpuppten. Vier Worte, die immer noch so aktuell sind, dass Heiko Sakurai sie für seine Karikatur gewählt hat. "Wenn der große EU-Tanker unbeeindruckt Kurs hält, dann kann der kleine Eisbär auf seiner Scholle noch so sehr strampeln. Dann wird seine Welt untergehen", schreibt der Künstler zu seinem Bild.

"Oh, mit eingenähtem Hilferuf! Das bringt auf Ebay richtig Geld!" Diese Aussage zweier Frauen - die mit einem Pulli in der Hand, in einem Bekleidungsgeschäft stehen - steht im Zentrum der Karikatur von Til Mette. Vor allem in Kleidung von Billig-Mode-Ketten werden immer wieder versteckte Botschaften gefunden. Hilferufe der Arbeitnehmer in den Produktionsländern, die auf ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen hinweisen wollen.

Eine beängstigende und Augen öffnende Karikatur, die nicht nur die sklavenähnlichen Zustände verdeutlicht, sondern auch den Konsumenten in die Verantwortung zieht. Denn wer befürwortet heute noch Ausbeutung, Sklavenarbeit und Kinderarbeit? Und trotzdem dominieren Fast-Fashion-Konzerne immer noch den Modemarkt in Europa.

"All die Karikaturen haben so eine Aussagekraft, dass man eigentlich ohnmächtig daneben steht", sagt Eva-Maria Heerde-Hinojosa. Sie musste aus 1000 Karikaturen 99 auswählen. "Das war wirklich eine große Herausforderung, ich hätte am liebsten alle genommen", berichtet sie. Alle ausgewählten Kunststücke der Ausstellung in Puchheim sind in einem Buch zusammengefasst: "Glänzende Aussichten - 99 Karikaturen zu Klima, Konsum und anderen Katastrophen".

Die meisten Menschen scheinen zu wissen, dass ihr Lebensstil der Erde schadet und trotzdem führen sie ihn. Doch Ausstellungen wie diese helfen dabei, dass sich Menschen diesen Themen nicht mehr entziehen können. Nein, sie müssen hinschauen, fühlen und ihr Handeln hinterfragen. Um es in den Worten von Heiko Sakurai zu sagen: "Wir müssen unseren Kurs ändern - und zwar jetzt"

"Glänzende Aussichten" - Puchheimer Rathaus, Sankt Josef Kirche, evangelische Auferstehungskirche, zu sehen bis Freitag, 22. Oktober. Weitere Informationen unter www.puchheim.de

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Quelle:
SZ vom 09.10.2021
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