Süddeutsche Zeitung

Psychiatrie:Wenn die Seele leidet

In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die wegen einer Depression ins Krankenhaus müssen, verdreifacht. Grund dafür ist auch der Leistungsdruck, sagen Fachleute

Von Heike A. Batzer

Sie sind traurig und antriebslos, fühlen sich als Versager, ziehen sich zurück. Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an einer Depression, immer mehr von ihnen müssen deshalb ins Krankenhaus. Nach Angaben der Krankenkasse DAK-Gesundheit hat sich die Zahl der stationären Behandlungen depressiver Patienten im Alter zwischen zehn und 19 Jahren im Landkreis Fürstenfeldbruck in den vergangenen zwölf Jahren verdreifacht. Im Jahr 2000 waren es laut DAK noch acht, 2012 bereits 25 Fälle, die einer stationären Behandlung bedurften. Dabei ist der Anstieg im Landkreis vergleichsweise moderat, in ganz Bayern ist die Zahl sogar auf das Sechsfache gestiegen. Auch waren im Landkreis entgegen dem landesweiten Trend etwas mehr Jungen und junge Männer als Mädchen und junge Frauen betroffen.

Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen werden zumeist mit körperlichen Beschwerden gleichgesetzt. Dabei haben Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts in Berlin zur Kinder- und Jugendgesundheit herausgefunden, dass ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland psychische Auffälligkeiten aufweist, fast sechs Prozent leiden an depressiven Störungen. Auch das Jugendamt Fürstenfeldbruck hat in den vergangenen Jahren immer mehr mit Jugendlichen zu tun, die Depressionen, häufig gepaart mit weiteren psychischen Auffälligkeiten, haben. "Das stellen wir auch so fest", bestätigt Gerda Kistler vom Jugendamt.

Doch warum ist das so? "Depression ist immer auch ein Überlastungssymptom", weiß Albert Filser, der als analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in Gröbenzell arbeitet. Kinder und Jugendliche stünden heute unter einem großen Leistungsdruck und auch unter sozialem Druck, beispielsweise in den sozialen Netzwerken, sagt Filser. Depressionen können schon im Kleinkindalter beginnen. Eigentlich gehörten auch Schreibabys zu diesem Symptomkreis, sagt Filser. Auffällig werde die Depression dann beim Schulkind, wenn der Druck in Schule und Freizeit zunimmt. Dann kann es zur Überforderung kommen.

Meist ist das Aufkommen einer Depression nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Auch Kinder aus intakten Familien können eine Depression entwickeln. Auslöser kann ein belastendes Ereignis sein wie die Trennung der Eltern, der Tod einer Bezugsperson, eine Gewalterfahrung oder auch ein Umzug oder Schulwechsel. Die Symptome, die auf eine Depression bei Kindern und Jugendlichen hindeuten, sind allerdings häufig unspezifisch oder werden von anderen, auffälligeren psychischen Problemen überlagert. Je älter ein Kind ist, desto deutlicher ähneln die depressiven Symptome denen der Erwachsenen. "Bei älteren Schulkindern und Jugendlichen ist eine anhaltende Bedrücktheit und Hoffnungslosigkeit ebenso typisch für das Krankheitsbild wie ein Antriebsmangel oder der Verlust von üblichen Interessen und des Selbstvertrauens", schreibt das Heckscher Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie München auf seiner Internetseite. Ein Mit-sich-und-der-Welt-unzufrieden-Sein oder häufige abrupte Stimmungsschwankungen sind aber auch normale Bestandteile der Entwicklung in der Pubertät, weshalb die Symptome im Jugendalter "häufig als pubertäres Stimmungstief abgetan" würden, weiß Elmar Denzel, DAK-Geschäftsstellenleiter in Fürstenfeldbruck. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) wird die Krankheit in den Kinder- und Hausarztpraxen nur in höchstens der Hälfte aller Fälle erkannt. Im Verhältnis zur Häufigkeit der Erkrankung nennt die DGKJP die stationären Behandlungszahlen sogar "eher gering".

Eine Depression kann Fachleuten zufolge gut behandelt werden. Je früher der Beginn, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Ambulante Therapien führen Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten durch. Bei schweren Depressionen, vor allem wenn die Betroffenen Suizidgedanken äußern, wird ein stationärer Aufenthalt nötig, der im Landkreis allerdings nicht möglich ist, weil die in der Brucker Kreisklinik untergebrachte Psychiatrische Ambulanz und Tagesklinik des Isar-Amper-Klinikums wie auch die derzeit im Haeusler-Park von Fürstenfeldbruck neu entstehende Psychiatrische Fachklinik nur Erwachsene behandeln. Für Kinder- und Jugendliche stehen zum Beispiel das Heckscher Klinikum in München zur Verfügung, die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität in der Münchner Nussbaumstraße oder diverse Kurkliniken.

Dass zuletzt immer mehr depressive Heranwachsende in Kliniken behandelt wurden, hat freilich auch mit einer verbesserten Diagnostik zu tun und einer erhöhten Sensibilität für seelische Krankheiten. Experten beklagen allerdings, dass die therapeutische Versorgung dem wachsenden Behandlungsbedarf hinterherhinkt und Patienten viel zu lange auf ein Erstgespräch und eine Therapie warten müssten. Und auch von einer Enttabuisierung und allgemeinen Akzeptanz psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft kann noch keine Rede sein. Es sei immer noch "schambesetzt", wegen eines psychischen Leidens zum Therapeuten zu gehen, sagt Albert Filser: "Der Leidensdruck muss dann schon sehr groß sein."

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SZ vom 28.04.2014
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