Süddeutsche Zeitung

Psychiatrie:So viel Alltag wie möglich

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In der Tagesklinik der Brucker Psychiatrie werden Menschen behandelt, die sich in einer akuten Krise befinden, zu Hause aber ein stabiles Umfeld haben. Deshalb ist eine vollstationäre Unterbringung nicht nötig

Von Florian J. Haamann

Ein bisschen gehobener Stimmung sei er, versichert der Mittvierziger und grinst. Aber wirklich nur ein bisschen. Fachärztin Christine Brackmann blickt ihrem Patienten in die Augen und lacht. "Sie wirken immer noch recht gehobener Stimmung." - "Sie merken aber auch alles", erwidert nun der Mann, Typ Bergsteiger, mit beiger Funktionshose, gebräuntem Gesicht, Wollmütze. Beide lachen. Der Patient leidet an einer bipolaren Störung. Das heißt, mal ist er bis ins Extreme positiv gestimmt, dann wieder folgen schwere depressive Phasen. Deswegen wird er in der Tagesklinik der Psychiatrie in Fürstenfeldbruck behandelt.

Wie der Name schon vermuten lässt, unterscheidet sich diese Station etwas von den anderen Stationen der Isar-Amper-Klinik. Die Patienten sind nicht vollstationär untergebracht, sondern kommen jeden Morgen und gehen am späten Nachmittag wieder nach Hause. In der Zeit auf der Station werden sie genauso behandelt, wie die anderen Patienten im Haus auch. "Es geht bei uns unter anderem darum, die Betroffenen in einer akuten Krise kurzfristig aufzufangen. In der Regel sind die Patienten hier etwas fitter. Vielen sieht man ihre Probleme nicht an. Das ist wohl der wesentliche Unterschied zu den anderen Stationen", sagt Stationsleiter Ingo Kühne. "Bei uns sind die Patienten, die außerhalb der Behandlung noch eine gewisse Stabilität im Leben haben. Hier werden sie nicht ganz so sehr aus ihrem Umfeld rausgenommen wie bei einer vollstationären Behandlung."

Christine Brackmann hat bei ihrem Patienten erstmalig diese Diagnose gestellt, nachdem er zuvor schon länger nach einer Erklärung für seine extremen Stimmungsschwankungen gesucht hat. "Er ist in einer ziemlichen Hochphase hierher gekommen. Bipolare Patienten in diesem Zustand können jeden voll und ganz von sich überzeugen." So auch der Mann Mitte Vierzig. Aber manchmal lassen sich die Patienten auch zu problematischen Handlungen hinreißen. "Einmal habe ich auf die Schnelle acht Handyverträge abgeschlossen. Als ich dann gemerkt habe, was ich gemacht habe, bin ich in ein Loch gefallen", erzählt der Mann.

So etwas sei ganz typisch, erklärt Brackmann. Weil der Patient aktuell gerade sehr in der manischen Phase ist, rät sie, seine Medikamentendosis zu erhöhen. "Ja, ich glaube, dass ist besser." Schon in der Jugend habe er diese Stimmungsschwankungen gehabt. Erst später habe er gemerkt, dass er an einer Krankheit leidet und sich auf die Suche nach den Ursachen gemacht. Die manischen Phasen sind für ihn weniger das Problem. "Wenn man da drin ist, merktman nicht, dass etwas nicht stimmt. Man kann alles und will nicht anders. Keine Angst, alles cool." Aber je höher die Stimmung in der manischen Phase, desto tiefer der Fall danach. "Ich kann das, wenn es kommt, zwar rauszögern. Aber nicht für immer. Und dann fühlt man sich einfach völlig am Ende." In der Tagesklinik wird er nun langsam auf die richtige Medikation eingestellt.

Vor der Visite bei Brackmann war der Mann, wie alle anderen Patienten der Station, pünktlich um neun Uhr bei der Morgenrunde. Sie markiert den Tagesbeginn. Mit einem großen Gong eröffnet eine Mitarbeiterin die Runde. Der Reihe nach beantworten die Anwesenden eine kurze Frage zu ihrem Alltag. In diesem geschützten Raum haben die Patienten keine Angst davor, für ihre Aussagen komisch angeschaut zu werden. Da wird von dunklen Gedanken ebenso erzählt wie davon, dass heute ein richtig guter Tag ist.

Nach der Morgenrunde geht es für die Patienten in den Aufenthaltsraum, andere stehen in Gruppen auf dem Gang und unterhalten sich. Nach und nach werden sie zur Visite gerufen. "Die Gespräche untereinander sind sehr wichtig. Jeder hat sein Thema, und niemand braucht sich zu verstecken. Dieses Milieu ist ein wichtiger Teil des therapeutischen Prozesses", sagt Stationsleiter Kühne. Die Säulen der Behandlung in der Tagesklinik sind die Gruppentherapien, in denen die Patienten ihre Themen bearbeiten können. Der Tag endet mit der Abendrunde zwischen 15 und 16 Uhr, manchmal auch etwas früher.

"Die Ergotherapie ist wichtig, weil sie den Patienten eine Beschäftigung gibt. Sie haben Aufträge und können etwas gestalten, arbeiten mit den anderen zusammen. Das hilft ihnen, den Alltag zu gestalten und erweckt die Assoziation zu Erwerbsarbeit", erklärt Kühne. Je nach Eignung und Neigung kann sich jeder Patient aussuchen, an welchen Therapien er teilnimmt.

Eine dieser Gruppen ist die Bewegungstherapie bei Körperpsychotherapeutin Lucia Weber. Nach dem Mittagessen sammelt sie ihre sieben Teilnehmer zusammen und geht mit ihnen ins Untergeschoss des Gebäudes. Dort gibt es einen Sportraum, der an eine Miniatur-Sporthalle erinnert, mit Umkleiden, Basketballkorb und Geräteraum. Dort holt sich nun jeder Teilnehmer eine Matte und einen Sitzball.

Die Bewegungstherapie helfe, die Befindlichkeit zu verbessern und zu stabilisieren. "Wir vergessen oft, welche Werkzeuge unser Körper uns zur Verfügung stellt. Über die Atmung können wir unser Nervensystem beruhigen und unsere Knochenstruktur bietet uns mit der Wirbelsäule im wahrsten Sinne des Wortes etwas zum Anlehnen, wenn wir uns nicht gut fühlen", erklärt Weber, bevor die Teilnehmer mit den Übungen beginnen.

Zu entspannender Musik sitzen die Teilnehmer auf ihren Bällen und folgen den Anweisungen der Therapeutin. "Jetzt die Schultern hoch bis zu den Ohren ziehen. Halten, halten, halten. Und fallenlassen." Ein Seufzen geht beim Ausatmen durch den Raum. Immer wieder variiert Weber die Übungen und Bewegungen. Bis sie zum Hauptelement der Stunde kommt. In Zweiergruppen finden sich die Teilnehmer zusammen. Nun müssen sich die Paare, verbunden mit zwei Holzstäben, die sie mit den Handflächen aneinander drücken, gegenseitig durch den Raum führen. Ohne zu sprechen, kommuniziert werden darf nur über Druck auf die Stäbe, Gestik und Mimik. "Zeigen Sie ihrem Partner, was sie brauchen", sagt Weber. Es geht in der Übung darum, die eigene Rolle zu definieren, zu verstehen, ob man seine Wünsche durchsetzen kann oder nicht, und ob man die Signale, die andere geben, versteht. "In dieser Übung stecken viele kleine Dinge, die sich auf den Alltag übertragen lassen", sagt Weber.

Im Anschluss wird über die Erfahrungen gesprochen. "Ich hatte das Gefühl, dass wir uns sehr gut verstanden haben und uns immer in der Führungsrolle abgewechselt haben", sagt ein älterer Teilnehmer und sein Gegenüber bestätigt: "Ja, so ging es mir auch." Ein anderer Patient ist nicht zufrieden und sagt seinem Gruppenpartner: "Ich glaube, bei uns hat es mit der Kommunikation manchmal nicht so gut geklappt. Ich habe versucht, die Richtung zu ändern, aber Du hast nicht reagiert." - "Wirklich? Das habe ich gar nicht gemerkt", erwidert der andere. "Sehen Sie, offenbar haben sie keine deutlichen Signale gegeben", wirft die Therapeutin ein. Und so bespricht sie mit jedem Teilnehmer individuell die Erkenntnisse dieser Übung. Danach wird noch gemeinsam aufgeräumt, bevor die Patienten zurück auf die Station gehen.

Die Tagesklinik gibt es bereits seit 2007 in Fürstenfeldbruck. Sie ist damit wesentlich älter als die psychiatrische Klinik, die erst vor zweieinhalb Jahren eröffnet wurde. Sie wurde damals, gemeinsam mit der Ambulanz, im Rahmen der Dezentralisierung des in Haar ansässigen Kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost eröffnet. "Ich glaube, das hat schon viel zur Entstigmatisierung des Themas psychische Erkrankungen beigetragen. Die Menschen haben uns und unsere Arbeit inzwischen kennengelernt", sagt Stationsleiter Kühne.

Angefangen hat die Tagesklinik seinerzeit mit vier Ambulanzärzten, inzwischen sind es deutlich mehr. "Ich glaube, die gestiegene Nachfrage hat damit zu tun, dass sich immer mehr Menschen trauen, sich bei psychischen Problemen Hilfe zu suchen", vermutet Kühne. Der Bedarf allerdings ist weit größer, als das Angebot. Es gibt Wartelisten mit mehreren Dutzend Patienten, die gerne einen Platz in der Tagesklinik hätten.

Jede Woche können etwa fünf von ihnen aufgenommen werden. Aber natürlich werden auch die anderen nicht mit ihren Problemen alleine gelassen. Für sie gibt es eine ambulante Versorgung oder Hilfe bei der Vermittlung von Therapieplätzen. Und in ganz akuten Fällen, gibt es ja auch noch die anderen Einheiten der Klinik, in denen die Patienten je nach Bedarf versorgt werden können.

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Quelle:
SZ vom 02.03.2019
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