Süddeutsche Zeitung

Prozess wegen Containerns:Solidarität mit Franzi und Caro

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Fast 100 Demonstranten ziehen zum Fürstenfeldbrucker Amtsgericht. Dort wird verhandelt, ob das Entwenden von Lebensmitteln aus Müllbehältern strafbar ist. Die beiden Studentinnen erhalten eine Verwarnung

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

"Kein Essen in die Tonne" und "Containern ist kein Verbrechen" steht auf Plakaten der Demonstranten, die am Mittwoch durch Brucks Zentrum ziehen. Aus einem Lautsprecher erklingen Texte zu Lebensmittelverschwendung und Umweltzerstörung. Passanten auf den Gehwegen, an der Bushaltestelle, an Ladentüren verfolgen den Zug neugierig. Viele wissen sofort, worum es geht. "Es ist ein Wahnsinn, dass die Mädels bestraft werden sollen, bloß weil sie Lebensmittel aus dem Müll geklaut haben", sagt ein Ladeninhaber; seine Kundin nickt. Der Zug mit knapp hundert Teilnehmern zieht, begleitet von Polizeibeamten zu Fuß und in Streifenwagen, zum Amtsgericht Fürstenfeldbruck. Dort steht Franzi und Caro der Prozess wegen gemeinsamen Diebstahls bevor. Das Urteil ist milde: jeweils acht Arbeitsstunden bei der Tafel und 225 Euro Geldstrafe auf Bewährung.

Es ist Mittag, zwölf Uhr, als sich auf dem Platz vor der Sparkasse Fürstenfeldbruck immer mehr Menschen versammeln. Viele sind jung, Anfang, Mitte 20, im Alter von Franzi und Caro. Doch im Unterschied zur ersten Kundgebung im Dezember sind auch mehr ältere Teilnehmer dabei. Der Sprecher von Slowfood Fünfseenland, Richard Bartels, etwa, der noch darüber sprechen wird, dass das Hauptproblem bereits vor den Supermärkten beginnt. Oder Inge Ammon, die seit Jahrzehnten für den Frieden kämpft und Asylbewerbern hilft.

Außerdem unterstützen jetzt mehr Parteien das Anliegen der Demonstranten: Neben Vertretern der Linken sind auch welche von den Grünen sowie von der noch jungen Mut-Partei da. Sie alle haben das gleicher Ziel: Containern, wie das Entwenden weggeworfener Lebensmittel aus Müllbehältern großer Supermärkte heißt, darf nicht länger verboten sein. Am besten soll das Wegwerfen noch verwendbaren Essens unter Strafe gestellt werden.

"Die EU subventioniert völlig falsch", beklagt Ates Gürpinar das aktuelle System. Der Landessprecher der Partei Die Linke kritisiert, dass die Agrarsubventionen der Europäischen Union vor allem große Betriebe unterstützten. Mit der Folge, dass Kleinbauern pleite gingen und die im Übermaß produzierten Lebensmittel in Europa nicht verbraucht würden. Neben den bekannten Folgen für die Umwelt mit ausgelaugten, überdüngten Böden, Insektensterben und einer völlig aus dem Gleichgewicht geratenen Natur zieht diese Agrarpolitik nach der Analyse des Linken-Politikers noch weitere Kreise: "Der Export unserer Nahrungsmittel nach Afrika führt dazu, dass das System auch dort nicht mehr funktioniert." Die aktuellen Praktiken nennt Gürpinar "absurd". Am Ende dankt er Franzi und Caro für ihren standhaften Kampf für einen Freispruch. Die beiden wollen vor dem Verfahren keine Presseanfragen mehr beantworten.

Der nächste Redner, Mitglied der Linksjugend, beklagt die Ungerechtigkeit des Systems. Derweil holen sich Hungrige an dem zum Imbisswagen umgebauten Papiercontainer gegen eine Spende ein Chili. Es werde "nur auf Profit geschaut", tatsächliche Kosten würden durch Zuschüsse verschleiert. Dass es so weit kommen musste, dass mehr als die Hälfte der produzierten Nahrungsmittel weggeworfen wird, liegt dem Jungpolitiker zufolge nicht zuletzt am Anspruchsdenken der Verbraucher, also an allen. Mit saisonalem, regionalem Konsum könnte hier viel verbessert werden, betont er. "Wir müssen dieses kapitalistische System auf den Müllhaufen der Geschichte werfen", fordert danach Birgit Schiel von der Umweltgewerkschaft München unter dem euphorischen Applaus der Demonstranten. Dann setzt sich der Zug Richtung Amtsgericht Fürstenfeldbruck in Bewegung.

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SZ vom 31.01.2019
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