Prozess vor dem Landgericht:Mädchen missbraucht und geschlagen

Ein 21-Jähriger gesteht, Beziehungen zu Minderjährigen unterhalten zu haben. Sein Bruder soll eines der Kinder angegriffen

Von Ariane Lindenbach, München/Fürstenfeldbruck

"Das sind so ungefähr die schlimmsten Familienverhältnisse gewesen, die man sich vorstellen kann." Mit diesen Worten unterstreicht der Verteidiger die Schilderung der Angeklagten. In dem Prozess vor der ersten Jugendkammer am Landgericht München II sitzen zwei Brüder, 21 und 28 Jahre alt, auf der Anklagebank. Dem Jüngeren wirft die Staatsanwaltschaft schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in insgesamt 75 Fällen vor - er hatte als über 18-Jähriger Beziehungen zu Mädchen unter 14, eine lebte in Fürstenfeldbruck. Sein Bruder soll eines der Mädchen, nachdem die sich von dem damals 18-Jährigen getrennt hatte, als Bestrafung geschlagen und getreten haben. Der Anklage zufolge soll der heute 21-Jährige seinen derzeit in Haft sitzenden Bruder zu der gefährlichen Körperverletzung seiner Ex-Freundin angestiftet haben.

Die Brüder, in weißen Oberteilen und meist mit gefalteten Händen auf dem Tisch, schildern dem Gericht unter Vorsitz von Richterin Regina Holstein eine von Gewalt und Missbrauch geprägte Kindheit mit einem alkohol- und drogensüchtigen Vater, der sich an den vier Kindern verging und der regelmäßige Gewaltausbrüche hatte. "Über meine Lebenszeit hinweg", antwortet der Jüngere lakonisch auf die Frage, wie lange er von seinem Vater sexuell missbraucht worden sei. Über diesen berichtet er noch: "Wenn wir nicht gemacht haben, was er sagte, hat er uns geschlagen, im Keller eingesperrt, den ganzen Tag."

2007 starb der "Erzeuger", wie ihn beide Angeklagte nennen, an den Folgen seiner Alkoholsucht. Wie der Verteidiger erläutert, erfror er auf einem Campingplatz, nachdem er sich vorher in Anwesenheit seines jüngsten Sohnes im Wirtshaus geprügelt hatte. Trotz des Missbrauchs, der damit beendet war, so der Verteidiger, "war es ein traumatisches Erlebnis für ihn". Der damals Zehnjährige, der schon seit seinem vierten Lebensjahr in psychiatrischer Behandlung ist, verbringt die nächsten Jahre in therapeutischen Einrichtungen. "Das Herausnehmen der Kinder aus der Familie ist wohl etwas spät passiert", der Missbrauch sei den Ämtern bereits 2005 bekannt gewesen, ergänzt der Verteidiger. Doch nur die Mädchen seien mit vier, fünf Jahren in Pflegefamilien gekommen.

"An mir hat er es einmal ausprobiert, mein Erzeuger", beantwortet der 28-Jährige die Missbrauchsfrage. Seiner Darstellung nach begegnete er den Gewaltausbrüchen seines Vaters mit Gewalt, zwei Mal bewahrte er seinen Bruder so vor einem weiteren Missbrauch. Auch er kam etwa zehnjährig in das erste Heim, es folgten ein zweites und drittes. "Dann ging es los mit den ganzen Straftaten", sein Strafregister enthält acht Einträge, darunter viele Eigentums- und Gewaltdelikte. Seit gut einem Jahr sitzt er in Haft, für insgesamt drei Jahre und drei Monate. Da mache er nun eine Therapie, die "gut läuft".

Bevor die Angeklagten etwas zur Anklage sagen, ziehen sich die Prozessbeteiligten zu einem Rechtsgespräch zurück, um die zu erwartenden Strafen auszuloten. Mit dem Ergebnis, wie die Vorsitzende im Anschluss darlegt, dass der 21-Jährige im Fall eines Geständnisses eine zweijährige Bewährungsstrafe, zwei Wochen Arrest und 60 Sozialstunden bekommen würde. Bei seinem Bruder würde die Dauer der Haft auf viereinhalb bis fünf Jahre steigen, vorausgesetzt er gesteht die Körperverletzung. "Die Alternative wäre, Sie würden beide kein Geständnis ablegen, die Strafen würden deutlich höher ausfallen", so die Vorsitzende.

Wie zunächst der Verteidiger ausführt, hatte der 21-Jährige "mit beiden Mädchen häufiger" Sex gehabt. Er betont lediglich, "dass es keine Anstiftung zur Körperverletzung gegeben hat".

Etwas detaillierter schildert das in der Folge der 21-Jährige: "Mir ist im Nachhinein erst bewusst geworden, was ich für einen Scheiß gebaut habe", erwidert er auf die Frage der Richterin, wieso er so kurz nach einer einschlägigen Verurteilung erneut als 18-Jähriger den Kontakt zu unter 14 Jahre alten Mädchen gesucht hatte. Allerdings legt er Wert darauf, dass die Intimitäten auf Freiwilligkeit beruhten: "Zugelassen hat sie es. Und sie wollte es auch."

Auch sein Bruder legt nach reiflich Bedenkzeit ein Geständnis ab; die Therapie während der Haft macht alles etwas komplizierter. Über den Tod des Vaters sagt er: "Unsere Mutter konnte wieder aufleben, wir konnten aufleben." Der Prozess dauert an.

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