Prozess:Überreagiert

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Die Germeringer Polizei tritt einem Rentner die Tür ein, verhaftet ihn und weist ihn in die Psychiatrie ein. Zu Unrecht, befindet das Landgericht und beendet das Verfahren gegen den 70-Jährigen.

Von Andreas Salch

Günther K. ist Rentner und hat sich noch nie in seinem Leben etwas zu Schulden kommen lassen. Am 17. Juli 2013 aber geriet er in die Mühlen der Justiz. Was ihm dabei widerfuhr, macht fassungslos. Der 70-Jährige wurde von Beamten der Polizeiinspektion Germering in eine psychiatrische Klinik gebracht und dort 24 Stunden festgehalten. Grund: In einer privaten E-Mail an ein Institut für Persönlichkeitsentwicklung, an dem K. einen Kurs belegt hatte, soll er Suizidabsichten geäußert haben. Doch tatsächlich war der Rentner gar nicht suizidgefährdet. Vor seiner Einweisung hatten die Polizisten die Türe seiner Wohnung eingetreten und alles auf den Kopf gestellt. Warum, ist unklar. Der Senior war in einem Lokal beim Mittagessen. Als er zurückkam, nahm ihn die Polizei in Empfang und teilte ihm mit, sie werde ihn fesseln, sollte er Widerstand leisten.

An diesem Montag saß Günther K. auf der Anklagebank am Landgericht München II. Er legte Berufung ein gegen ein Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck. Denn einen Tag nach der Polizeiaktion hatte er es gewagt, seiner Verärgerung über die Behandlung, die ihm widerfahren war, Luft zu machen. Dabei beleidigte er einen Polizisten - allerdings unabsichtlich. Das aber soll den Richter vom Brucker Amtsgericht nicht interessiert haben.

Nach der Entlassung aus der psychiatrischen Klinik, in der ihm Ärzte attestiert hätten, so K., dass er nicht suizidgefährdet sei, sei er nach Hause gefahren, so K. Auf seinem Handy habe er eine Nummer gesehen, die er nicht kannte. K. wählte sie. Er wollte wissen, wer versucht hatte, mit ihm zu sprechen. Es meldete sich ein Beamter der Polizeiinspektion Germering. Der Rentner fragte, warum er angerufen worden sei. Der Beamte wich angeblich aus. Er soll "schnoddrige Antworten" gegeben haben. Günther K. war verärgert und beendete das Gespräch abrupt. Versehentlich hatte er sein Handy aber nicht ausgeschaltet. Und so hörte der Polizist, wie Günther K. sagte: "Dann nicht, Du A. . . ."

Der Beamte sandte K. einen "Anhörungsbogen", in dem zu der Beleidigung Stellung nehmen sollte. Er habe sich ausdrücklich entschuldigt, so K. in der Verhandlung vor dem Landgericht München II, aber auch das Vorgehen der Polizei kritisiert. "Ich habe mich auch gefühlt wie dieser Gustl Mollath", sagte der 70-Jährige zu Richterin Michaela Welnhofer-Zeitler. Die Nacht in der psychiatrischen Klinik sei die schlimmste in seinem Leben gewesen. Man habe ihn in ein Zimmer gesperrt. Und alles nur, wegen einer falsch interpretierten Äußerung in einer seiner E-Mails. "Wo ist da die Verhältnismäßigkeit", empörte sich K. "Der Gedanke kann sich schon aufdrängen, wo die ist", pflichtete ihm Richterin Welnhofer-Zeitler bei.

Da der 70-Jährige aufgrund der Aufregung über seine Einweisung wohl derart aufgebracht war, dass er in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, als er mit der Polizei telefonierte, schlug die Vorsitzende dem Staatsanwalt vor, das Verfahren einzustellen. Der Angeklagte habe ja gedacht, sein Handy sei ausgeschaltet, als er die beleidigende Äußerung gemachte habe. Somit fehle der "Kundgabewille". In den eigenen vier Wänden könne man jeden so heißen, wie man wolle, sagte die Vorsitzende. Er habe "Null-Chance" gegen die deutsche Polizei", stellte Günther K. verbittert fest. "Nicht ganz. Gott sei Dank ist die Polizei nicht die letzte Instanz", erwiderte Richterin Welnhofer-Zeitler. Als er die Polizisten gefragt habe, wer ihm die eingetretene Wohnungstüre ersetzte, so K., habe ihn ein Beamter höhnisch angegrinst und gemeint: "Versuchen Sie doch mal die Polizei anzuzeigen." Günther K., der von einer Rente in Höhe von 360 Euro leben muss, hat den Schaden über 550 Euro bis heute nicht ersetzt bekommen.

Bevor Richterin Welnhofer-Zeitler das Verfahren beendete, fragte sie den Staatsanwalt erneut, wie er denn nun den Fall beurteile. Der überlegte einen Moment sichtlich konzentriert und erklärte: Er gehe konform mit dem Vorschlag des Gerichts, das Verfahren einzustellen. Die Kosten dafür übernimmt die Staatskasse.

© SZ vom 15.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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