Projekt der Volkshochschule:Kunst als Kinderspiel

Abenteuertheater

Das auch aus Fundobjekten bestehende Germeringer Ringsmonster stellt sich als harmlos heraus.

(Foto: Günther Reger)

Bei einem fünftägigen Talent-Campus erleben und stellen junge Germeringer ihre Welt als Abenteuertheater dar

Von CHRISTIAN LAMP, Germering

Die stehende Luft in den Räumen der Volkshochschule ist drückend heiß, dennoch herrscht rege Betriebsamkeit. Dina Keller-Metje, Theater- und Opernregisseurin, und Katharina Hermes, Restauratorin und Kunstdozentin, versuchen etwa ein Dutzend Kinder zu beruhigen, die vor einer mit bunten Hula-Hoops geschmückten vogelscheuche-artigen Statue herumschwirren. Zur Hitze kommt das Lampenfieber: Die beiden sind künstlerische Leiter des Kunstprojekts "Der Ring - ein Abenteuertheater", das vom Dachverband der Volkshochschulen und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird kürzlich seine Premiere feiern konnte. Die beringte Vogelscheuche entpuppt sich dabei als von den Kindern konzipiertes Ringmonster.

Das titelgebende Wort "Ring" war die einzige Vorgabe für den fünftätigen TalentCampus. Künstlerische Leitung verstehen sowohl Keller-Metje als auch Hermes vor allem als An-Leitung, als das Schaffen und Bereitstellen von (gedanklichen) Räumen, in denen selbständig neue Zugänge zur Welt erkundet werden können. Diese partizipatorische Herangehensweise nennen sie künstlerisches beziehungsweise performatives Forschen, wie Keller-Metje es auch mit professionellen Ensembles praktiziert. Denn was die Kunst gerade ausmache sei das Einklammern der Geltung der Wirklichkeit und dadurch die Möglichkeit, deren sonst unhinterfragte Produktionsweisen zu problematisieren.

Insbesondere das Theater könne durch seine somatische Komponente, so die Regisseurin, mit dieser im haptischen Sinne "Ver-handlung" spielen. Genau da trifft sie sich mit Hermes, die in ihrer künstlerischen Praxis Fundstücke - found objects - vergoldet und so ihrem gesellschaftlichen Zweckzusammenhang entfremdet. Deleuzianisch angehaucht stehen also bei den beiden Leitern des Germeringer Projekts Experimentcharakter und Körperlichkeit im Vordergrund, die Kinder streiften trotz flirrender Sommerhitze drei Tage durch die Stadt auf der Suche nach thematisch relevanten Impulsen, Objekten und Assoziationen. So schreibt sich die Geschichte beinahe selbst. Ebenso gemischt entwarfen die jungen Bühnenbildner, Regisseure und Darsteller in Personalunion an zwei weiteren Tagen ihre Performance: Kunst als Spiel.

Der erste Akt des Stationentheaters, das die gesamten Räumlichkeiten der Volkshochschule sowie den Vorplatz als Bühne behandelte, erprobte performatorisch die lokale Bedeutungsvielfalt des Wortes Ring, das lautmalerisch in Germe"ring" und seinen Kreisverkehren als Verkehrsringen erfahrbar gemacht wurde. Die Kinder agierten dabei als formbare Masse, die sich jeweils zu wechselnden Wortbildern kristallisierte. Vor lauter Bewegung ging beim Szenenwechsel sogar ein Schuh verloren.

Der zweite, dreiteilige Akt entgrenzte schrittweise die Performance und näherte sie dem Fantastischen an, das sich in der Idee eines "Zauberrings" konzentrierte. Die Inszenierung stellte das im Positionswechsel der Kinder von oben nach unten dar: Zuerst standen sie auf den Tischen, dann saßen sie an ihnen und schließlich darunter. Nach der monologisch abgehandelten Frage: "Was bedeutet ein Ring für mich?" folgte mit einem sechsteiligen Schattenspiel die aufwendigste Szene der Performance. Auf eigens hergestellten Leinwandstationen stellten die Kinder mögliche Orte dar, an denen sich der Zauberring versteckt haben könnte. Dass das eben so gut in einer Wolke, auf dem Spielplatz im Sandkasten oder im Bauch eines Einhorns sein könnte, zeigt die zu diesem Zeitpunkt schon erfolgte fantastische Aufhebung der Realität.

Unter den Tischen ging es um die Wünsche der Kinder, die der Zauberring ihnen erfüllen könnte. Neben dem obligatorischen Universum voller Süßigkeiten oder befremdlichen Herrschaftsfantasien überwogen allerdings philanthropische Hoffnungen auf ein Ende von Hunger, Krieg und Leid. Dass sich dies im Erfahrungshorizont Zehn- bis Zwölfjähriger befinden muss, trübte allerdings die Freude über das dabei offenbarte kindliche Verantwortungsbewusstsein. Die Szene beschließend wehte ein beschworener Zaubersturm die Kinder aus dem (Welt-)Raum in den dritten Akt.

Dort wartete das Ringmonster. Trotz seines gefährlichen Aussehens - das Gesicht war eine alte Fahrradfelge, eins der gefundenen Objekte, mit denen die Performance auf materieller Ebene operierte - stellte es sich als harmlos genug heraus, ihm all die geschmückten Zauberringe zu entreißen, von denen es seinen Namen hatte. Vor den geäußerten Wünschen galt es zunächst den Weg zurück in Raum und Zeit zu versuchen, also nach Germering zu finden. Diese kleine zauberhafte Odyssee ließ das Publikum interaktiv die körperliche Anstrengung der Zauberei spüren, denn der zum Wurmloch umfunktionierte Gang stellte sich als für die Zuschauer verpflichtender Gang durch die Zauberringe dar. Erst dann konnte in einem letzten Akt die Rückkehr nach Germering gefeiert werden und die glücklichen Performer sich rundherum unter Applaus verbeugen und Sonnenblumen in Empfang nehmen.

Für den pädagogischen Wert solcher kulturellen Bildung spricht insbesondere die Fülle an Fundstücken, Materialien und performativen Elementen, die laut Regisseurin Keller-Metje für vier ganze Abende gereicht hätte. Die Kinder wollten jedenfalls begeistert weitermachen, denn im Ring, das haben sie als Kreisfigur gleich in der ersten Szene gezeigt, steckt schon die Unendlichkeit.

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