Politischer Aschermittwoch:Demontiert binnen einer Woche

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Wahlhelferin Gesine Schwan mit dem SPD-Landtagskandidaten Peter Falk in Gernlinden. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Gesine Schwan analysiert im vollen Bürgerzentrum Gernlinden den Zustand der SPD

Von Ariane Lindenbach, Maisach

Ob es an den Ereignissen der vergangenen Wochen lag, bei denen die SPD ja großen Unterhaltungswert bewiesen hat, oder an der Gastrednerin Gesine Schwan - SPD-Urgestein, ehemalige Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin und Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD - bleibt vermutlich unklar. Fest steht aber, dass der Saal im Bürgerzentrum Gernlinden am Mittwochabend bis auf wenige Stühle voll besetzt ist. Und dass die Genossen von der Kreis-SPD offenbar nicht mit so vielen Zuhörern bei ihrem traditionellen politischen Aschermittwoch gerechnet haben. Ursprünglich, verrät ein sehr zufriedener Michael Schrodi, der erstmals in den Bundestag eingezogen ist, ursprünglich habe man mit etwa 80 Personen gerechnet. Doch zu dieser Veranstaltung kommen am Ende weit mehr. Vielleicht interessieren sie sich für Schwan als Person, erhoffen sich weitere Informationen zum Koalitionsvertrag oder gar eine Empfehlung, ob sie beim Mitgliedervotum für oder gegen die Groko stimmen sollen.

Vor den etwa 200 Zuhörern, darunter alteingesessene Genossen wie zum Beispiel das Ehepaar Williams aus Gröbenzell, ein paar SPD-Sympathisanten oder Ehemaligen sowie einige jüngere Leute begrüßt Schrodi Gesine Schwan. "Es ist mir eine Ehre", stellt er die seit 45 Jahren in der SPD wirkende Präsidentin und Mitgründerin der Humboldt-Viadrina Governance Platform als überzeugte Europäerin vor. Die vielen Zuhörer im Saal applaudieren begeistert.

"Bis Mittwoch voriger Woche standen wir eigentlich ganz gut da", sagt Schwan, Jahrgang 1943, zu den Ereignissen nach den Groko-Verhandlungen. Die Ergebnisse, die die SPD für sich bei den Verhandlungen herausgeholt hat, bewertet sie als durchaus positiv. Allerdings benennt sie, ganz realistisch, auch den Grund dafür: "Ohne dieses Mitgliedervotum hätten wir nicht so viele sozialdemokratische Positionen für uns herausholen können." Was sich aber im Nachgang der Verhandlungen bei den Genossen abgespielt hat, das kritisiert Gesine Schwan offen. Nach ihrer Analyse steckte hinter dem ganzen Debakel um einen neuen Außenminister Martin Schulz bei der Führungsspitze der SPD nur die eine Frage: "Wie kriegen wir ihn weg?" Dass sie mit dieser Einschätzung richtig liegt, in die sie im nächsten Satz auch noch den amtierenden Außenminister Sigmar Gabriel mit einbezieht, zeigt das wissende Gelächter im Saal. Schwan kritisiert Schulz auch dafür, nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche "apodiktisch" an seinem Nein zu einer weiteren großen Koalition festgehalten zu haben. "Wenn man das anders gehandhabt hätte, wäre die SPD jetzt in einer guten Verfassung", schließt sie.

Und wirbt trotz allem für eine Neuauflage der Groko, "weil es wirklich unabsehbar ist, was mit der SPD passiert, wenn es Neuwahlen gibt". Aber es müssten damit Bedingungen verbunden sein, etwa "deutlich machen, wo die Union anders ist als wir". Und man dürfe nicht nur sozialdemokratische Forderungen stellen, "wir müssen auch begründen". Schwan fordert die SPD auf, offensiver und selbstbewusster ihre Themen zu vertreten. Nach ihrer Ansicht müsste die Europapolitik mehr vorangetrieben werden. Ein EU-weiter Fonds soll Kommunen unterstützen, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen - und zwar in zweifacher Hinsicht. Einmal sollen sie laut Schwan Geld zur Unterbringung von Asylbewerbern bekommen, einmal für die eigene Weiterentwicklung. Schwan zufolge wurde diese Idee schon mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besprochen; er soll sie begrüßt haben. Im Bürgerzentrum in Gernlinden jedenfalls bekommt Gesine Schwan dafür kräftigen Applaus. Fast genauso viel wie für ihre offene Sympathie für eine derzeit nicht mehr mögliche rot-rot-grüne Koalition.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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