Pflege:Aus eigener Erfahrung

Pflege: Zwei Vormittage pro Woche ist Marion Hölczl als Ansprechpartnerin auf der Station unterwegs.

Zwei Vormittage pro Woche ist Marion Hölczl als Ansprechpartnerin auf der Station unterwegs.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die ehemalige Patientin Marion Hölczl hilft Erkrankten

Von Florian J. Haamann

Kurz nach ihrem 50. Geburtstag kam der Zusammenbruch. Marion Hölczl dachte nicht mehr über ihre Zukunft nach, sondern darüber, ob sie ihrem Leben ein Ende bereiten solle. 2014 war das. "Ich war in einer Lebens- und Sinnkrise. Eigentlich in einer Alleskrise. Ich habe mit meinem Job in der PR-Branche gehadert, wollte das nicht mehr machen". Doch Hölczl entscheidet sich gegen das Aufgeben. Gesteht sich ein, dass sie krank ist und dringend Hilfe braucht. "Damals war das für mich die größte Schmach, die ich mir vorstellen konnte. Ich war in höchster seelischer Not, aber die Scham dafür, dass ich in der Psychiatrie gelandet bin war unglaublich groß."

Ihr Zustand ist damals so kritisch, dass sie in der Psychiatrie in Haar auf der geschlossenen Abteilung untergebracht wird. "Das Gefühl eingesperrt zu sein war für mich wahnsinnig beängstigend. Ich wollte einfach nur schnell wieder raus." Nach einigen Wochen verlässt sie die Klinik deshalb. "Draußen habe ich mich dann in Ablenkung und Verdrängung geflüchtet. Das war meine Strategie", erzählt Hölczl.

Zwei Jahre war ist sie erfolgreich. Doch dann kommt die Depression zurück, "viel extremer", wie Hölczl sagt. Und mit ihr die Suizidgedanken. Wieder fasst Hölczl den Entschluss, sich Hilfe zu suchen. Und diesmal bleibt sie. Erst fast vier Monate in der Psychiatrie, dann weitere acht Wochen in einer psychosomatischen Klinik. Während der Behandlung wird ihr klar, welche Ängste sich in ihrer Seele angestaut haben - und dass sie an ihnen arbeiten muss. Sie konfrontiert sich mit ihren Sorgen, lernt mit ihnen und ihrer Krankheit umzugehen. "Ich bin den Menschen, die in den beiden Kliniken arbeiten, bis heute unglaublich dankbar dafür, dass sie mir die Schritte zurück ins Leben gezeigt haben", sagt Hölczl, "und dafür, dass sie mir, als ich mich selbst aufgegeben hatte, vermittelt haben, dass da jemand ist, der mir hilft und der an mich glaubt."

Seit ihrer Entlassung befindet sie sich nun in einer guten seelischen Verfassung. Sie fühlt sich sogar so gut, dass sie sich dazu entscheidet, die Erfahrungen, die sie während ihrer Erkrankung und Behandlung gemacht hat, an andere Patienten weiter zu geben. In einem Zeitungsartikel liest sie vom "Ex-In"-Programm. Die Abkürzung steht für "Experienced Involvement", für Experten aus Erfahrung also. Es ist eine bundesweite Initiative, die Betroffene in einer einjährigen Ausbildung zu Beratern qualifiert. Seit Oktober 2017 arbeitet Hölczl nun als Ex-In-Genesungsbegleiterin auf der Akuteinheit Krise im Brucker Isar-Amper-Klinikum. Zweimal pro Woche ist sie am Vormittag auf der Station präsent, als Ansprechpartnerin für die Menschen, die aktuell dort behandelt werden.

"Ich halte das für ein wichtiges Angebot. Weil es den Menschen, die akut Probleme haben, das Signal sendet, da ist jemand, der hat es aus der Krankheit rausgeschafft." Natürlich sind die Gespräche, die sie führt, kein Ersatz für eine Therapie oder andere Behandlungen. Aber sie ergänzen das bestehende Angebot, bieten den Patienten die Möglichkeit, sich "auf Augenhöhe" zu unterhalten, mit jemanden, der das Gleiche durchlebt hat, wie sie. Eine Frage, die viele ihrer Gesprächspartner bewegt, sei die nach der Kommunikation der Krankheit im Umfeld, egal ob es sich um Freunde, Partner oder Arbeitgeber handelt. "Ich habe schon bei meiner Erkrankung bemerkt, wie schambehaftet das Thema gesellschaftlich ist. Bis auf wenige Freunde konnten die Leute in meinem Umfeld nicht damit umgehen. Psychische Erkrankungen sind heut leider immer noch sehr tabubehaftet", sagt Hölczl.

Die Arbeit als Genesungsbegleiterin tut aber nicht nur den Patienten gut, sondern auch Hölczl. "Das ist ein wichtiger Teil des Ex-In-Gedankens. Die Aufgabe hier trägt auch zu meinem eigenen Genesungsprozess bei und gibt mir große Stabilität." Vor allem, weil sie endlich das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun. Sie versteht sich deshalb auch als eine Art Botschafterin nach außen, die dazu beiträgt, das "Tabufeld seelische Erkrankung" abzubauen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: