Personelle Unterbesetzung:Notruf aus den Inspektionen

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In den vier Polizeidienststellen des Landkreises sind nicht mal vier von fünf Stellen besetzt. Fußstreifen gibt es nicht mehr - und an Feiertagen oder nachts wird es eng. Auch für die Jugend-Präventionsarbeit fehlt es an Fachkräften

Stefan Salger

Die Polizei sieht sich gerne als Freund und Helfer. Fürs Helfen aber fehlt ihr die Zeit. Im Alltag treten die Beamten inzwischen kaum noch in Erscheinung. Noch schlimmer: Der Personalmangel ist so groß, dass vor allem an Sonn- und Feiertagen oder nachts kaum mehrere Einsätze gleichzeitig bewältigen werden könnten. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist in allen vier Inspektionen des Landkreises eine von fünf Planstellen unbesetzt.

Die besorgniserregende Entwicklung in der ganzen Münchner Region lasse sich besonders deutlich am Landkreis Fürstenfeldbruck ablesen, heißt es. Fußstreifen, wie sie früher üblich waren, gehören längst der Vergangenheit an. Weil aber der Landkreis mit seinen etwa 205 000 Einwohnern unaufhaltsam weiter wächst und neue Bereiche wie die Internetkriminalität kaum zu bewältigen sind, schlagen Experten Alarm. Eigentlich wäre sogar deutlich mehr Personal nötig, doch nicht einmal die zu niedrig angesetzte "Sollstärke" wird erreicht.

Genaue Personalzahlen sind von der Polizei im Landkreis aus einsatztaktischen Gründen nicht zu bekommen. Bei der SZ-Veranstaltung "Was Fürstenfeldbruck bewegt" räumte der Brucker Inspektionsleiter Walter Müller aber personelle Probleme ein, und sein Stellvertreter Michael Fischer wollte der These, die Polizei verwalte den Mangel, nicht widersprechen. Man arbeite die Einsätze ab, darüber hinaus aber bleibe in der Tat wenig Spielraum. Peter Schall von der GdP, der auch für den Landkreis zuständig ist, wird deutlicher. Er hält es für nicht hinnehmbar, dass die Staatsregierung Zahlen schön rechnet und die Realität offenbar nicht wahrhaben will. Das Problem: Offiziell ist die "Sollstärke" in den Inspektionen erreicht. In der Realität sieht es anders aus: So werden etwa Teilzeitstellen, deren Zahl analog zur Frauenquote deutlich zugenommen hat, als volle Stellen gezählt. Und wenn ein Beamter ein zweijähriges Kommissarsstudium absolviert, dann schiebt er weiterhin Dienst - auf dem Papier.

Beispiel Fürstenfeldbruck: 78 Beamte sollten hier für Ordnung und Sicherheit sorgen, nach Berechnung der GdP aber sind es lediglich 66. Ein Einsatzzug, mit dem das Ministerium gerne argumentiert, steht nach Schalls Worten längst nicht immer in der Kreisstadt zur Verfügung. Das Ergebnis: Eine Personaldeckungsquote von lediglich 77 Prozent. "Und das, obwohl es mehr Einwohner gibt, mehr Gewerbegebiete und damit auch mehr Schwerverkehr und die Belastung zudem durch die Öffnung der Grenzen zunimmt, weil beispielsweise mehr Delikten wie Wohnungseinbrüche verzeichnet werden", so Schall. In der Tat verzeichnen die Inspektionen im Landkreis zunehmend Probleme mit offenbar aus Osteuropa stammenden Banden - die Zahl der "Tageswohnungseinbrüche" habe spürbar zugenommen. Schwer zu fassen sind auch die Schleuser, die offenbar Bettler gezielt in die Münchner Region bringen. Als "modernes Sklaventum" bezeichnet Müller das Phänomen und warnt vor dem "Missbrauch der Freizügigkeit" innerhalb der EU. Doch ebenso wie für den Bereich Computerkriminalität gilt auch hier: Es fehlt an Beamten, die Präsenz zeigen können und die Zeit haben für langwierige Ermittlungen oder Kontrollen.

Vom ersten Februar an soll die bayerische Polizei mit ihren etwa 40 000 Angehörigen um tausend Stellen aufgestockt werden. Den 1230 Absolventen stehen aber 740 aus Altersgründen ausscheidende Beamte gegenüber. Ein paar werden wohl dennoch den Inspektionen in Bruck, Olching, Gröbenzell und Germering zugeteilt, es wirkt dennoch wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.

Was Brucks Polizeichef Walter Müller zusätzlich Sorge bereitet: Viele junge Kollegen verlassen die Kreisstadt nach zwei oder drei Jahren wieder, weil sie sich in ihre Heimatregion versetzen lassen - wo die Lebenshaltungskosten niedriger sind und es auch mehr Staatsbedienstetenwohnungen gibt. Während in den Neunzigerjahren viele Nachwuchskräfte aus der ehemaligen DDR kamen, sind es aktuell vor allem junge Kollegen aus dem Bereich Schwaben und Augsburg. Viele pendeln monatelang bis zu 50 Kilometer täglich zwischen Wohnort und Fürstenfeldbruck, werden hier also gar nicht erst heimisch. "Schade" findet das Müller. Ändern aber kann er es nicht. Zum 1. März kommen drei neue Beamte, aber bereits einen Monat zuvor wird dem Versetzungsgesuch von drei anderen Kollegen stattgegeben. In 15 Jahren, so der Polizeichef, sei der komplette Personalbestand der Inspektion rechnerisch mehr als einmal komplett ausgetauscht worden.

Anfang der Achtzigerjahre war es noch üblich, dass ein oder zwei Beamte drei Stunden lang durch die Stadt gingen, nach dem Rechten sahen, sich "einfach sehen ließen" oder auch mal um Falschparker kümmerten - lange vorbei. So etwas würde auch der Abschreckung, also der Prävention dienen. Gerade mit Blick auf die Jugendkriminalität bedauert Müller die Entwicklung: Jugendliche kennen Polizeiautos nur vom Vorbeifahren oder bekommen sie zu sehen, wenn es bereits zu spät ist. Der eine Jugendsachbearbeiter steht da auf verlorenem Posten, die dringend gebotene Schulsozialarbeit findet allzu oft ohne ihn statt. Und das, obwohl Müller und Fischer eine bedrohliche Entwicklung ausgemacht haben: Mehr Schulschwänzer, weniger Respekt vor der Polizei, allgemein einen Werteverfall, vor allem aber: eine gestiegene Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und mehr Fälle purer Zerstörungslust. Das zeigt sich an den Schlägereien auf dem Frühlingsfest, bei denen laut Fischer nicht selten bereits am Boden Liegende noch mit den Füßen getreten werden. Und es lässt sich ablesen an abgetretenen Autospiegeln und zerkratzten oder verbeulten Autos.

Das Führungsduo der Brucker Inspektion ist da froh, dass zumindest die Zusammenarbeit mit der Stadt sowie mit Jugendgerichtshilfe und Einrichtungen wie dem Sprint-Verein so reibungslos funktioniere. Auch der Landkreis trage einen Teil dazu bei, dass es zumindest in manchen Bereichen auch weniger Einsätze gibt als früher: So gelten landkreisweit nun einheitliche Regeln und Sperrzeiten für Feste und Veranstaltungen.

© SZ vom 21.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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