Süddeutsche Zeitung

Personalmangel:Pflegenotstand spitzt sich zu

Weil Fachkräfte fehlen, können im Brucker Rotkreuz-Pflegehaus von Lepel-Gnitz fünf der insgesamt 83 Plätze für Patienten nicht belegt werden. Einrichtungsleiter aus dem Landkreis befürchten, dass sich die Situation rasant verschlechtert

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Wegen fehlender Fachkräfte können im Rotkreuz-Pflegehaus von Lepel-Gnitz in Fürstenfeldbruck zurzeit fünf der insgesamt 83 Pflegeplätze nicht belegt werden. BRK-Kreisgeschäftsführer Rainer Bertram zufolge gelingt es trotz großer Anstrengungen nicht, dort auch nur zwei bis drei offene Stellen in der Pflege zu besetzen.

Bertram spricht von einer katastrophalen Situation. Nach dem für Bayern geltenden Personalschlüssel müssen Pflegeheime für statistisch 2,4 Bewohner eine Pflegekraft beschäftigen. Ist das nicht möglich, bleibt nur noch eine Alternative, wie sie bereits seit Jahrzehnten in Kliniken praktiziert wird: die Schließung von Zimmern oder Stationen. Das bringt für die Einrichtungen finanzielle Einbußen.

Laut Bertram betrifft der Pflegenotstand alle Senioren-Pflegeheime im Landkreis. In einigen der 16 Häuser, von denen momentan drei wegen Sanierungsmaßnahmen geschlossen sind oder einen Aufnahmestopp verhängt haben, können zwar alle Pflegestellen besetzen. Aber das kann sich von Tag zu Tag ändern. Der BRK-Kreisgeschäftsführer geht davon aus, dass aufgrund des Personalmangels inzwischen für fast 50 der insgesamt 1888 Plätze in Landkreis-Pflegeheimen das Personal fehlt. Das betrifft Langzeit- und Kurzzeitpflegeplätze genauso wie beschützende Plätze.

Die Unterversorgung ist zwar gerade noch zu verkraften, aber da weniger Altenpfleger ausgebildet werden als ausscheiden und die Zahl der Pflegebedürftigen zunimmt, sieht es für die Zukunft düster aus. Zumal eine gute Pflege nur möglich ist, wenn es qualifiziertes, motiviertes und vor allem genügend Personal gibt.

Der Personalmangel könnte zur Schließung weiterer Betten führen. Was Dirk Spohd, der Leiter des Evangelischen Pflegeheims Eichenau bestätigt. "Es müssen nur zwei Mitarbeiter in den Ruhestand gehen und zwei kündigen, und man hat ein Problem", sagt er. Zudem konkurrieren ambulante Pflegedienste wie der der Oekumenischen Nachbarschaftshilfe in Gröbenzell und Kliniken mit den Seniorenheimen um die wenigen Fachkräfte.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum verschärft diesen Notstand noch. Wer im Großraum München Pflegepersonal findet, kann sich nicht sicher sein, dass die neue Kraft die Stelle auch antritt, weil sie entweder keine Wohnung findet oder sich die hohen Mieten nicht leisten kann. Weshalb die Caritas prüft, den Neubau ihres abgerissenen Don-Bosco-Seniorenheims in Germering um Mitarbeiterwohnungen zu erweitern.

Mit Zahlen zum Personalmangel der Landkreis-Pflegeheime kann das Landratsamt nicht aufwarten. Eine Sprecherin verweist darauf, dass laut mehreren Heimleitern die Neuaufnahme von Senioren für Kurzzeit- und Langzeitpflegeplätze in manchen Fällen am fehlenden Personal scheitere. Die Heime seien zwar gut ausgelastet, aber nicht voll, heißt es mit Verweis auf eine Statistik zur Belegung. Nach dieser waren Ende August die Heime zu 87 bis 90 Prozent ausgelastet. Die amtliche Statistik berücksichtigt jedoch Betten, die nicht mehr belegt werden können, nicht gesondert. Rechnerisch gesehen, mag die Zahl der Pflegeplätze noch ausreichen. Schwierig wird es für diejenigen, die kurzfristig einen Platz benötigen oder ein Haus in Wohnortnähe suchen. So gab es Ende August auf der Heimplatzbörse für den Landkreis (www.heimplatzboerse-ffb.de) nur ein freies Einzelzimmer in der Langzeitpflege und 14 Plätze in Doppelzimmern für Frauen und fünf in solchen für Männer.

Laut Bertram ist keine Besserung in Sicht. Selbst von der Ankündigung des Bundesgesundheitsministers, 13000 zusätzliche Stellen für Pflegeheime zu schaffen, verspricht sich der BRK-Kreisgeschäftsführer keine Entlastung. Da es in Deutschland etwa 13 600 Pflegeheime gibt, bekäme sein Haus bei drei unbesetzten Stellen gerade mal eine zusätzliche, sofern sich dafür eine Kraft findet.

Als dramatisch bezeichnet Heimleiter Spohd die Situation. Es werde von Jahr zu Jahr schwieriger die Qualität der Pflege zu halten, weshalb sein Etat für 2018 für Anwerbung, Förderung und Fortbildung von Pflegekräften 26 000 Euro vorsieht. Auf dem leer gefegten Markt werden laut Spohd für die Vermittlung einer Pflegerin 10 000 bis 12 000 Euro gefordert. Für Innere Mission und Caritas lautet deshalb die Lösung: Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung. Die beiden kirchlichen Träger haben einen Vorteil. Sie verfügen über eigene Pflegeschulen und übernehmen jeden Absolventen. Um den Beruf attraktiver zu machen, fordern die Heimleiter eine höhere Wertschätzung und bessere Bezahlung des Fachpersonals.

Im Pflegezentrum Eichenau werden zurzeit elf Pfleger ausgebildet, im Gröbenzeller Caritasheim Sankt Anton sechs. Die Zeche wird den Bewohnern über einen Ausbildungsaufschlag aufgebürdet, was Spohd als Unverschämtheit bezeichnet. In Eichenau macht das immerhin 1,74 Euro pro Tag für jeden Heimbewohner oder 52,20 Euro im Monat aus. Billiger ist es, das Personal zu halten, weshalb sich der Wettbewerb ums Personal auf bessere Arbeitsbedingungen verlagert hat. Höhere Löhne als den Haustarif der Träger zahlen weder BRK noch Caritas oder Innere Mission. Stattdessen werden wie beim BRK Sonderrabatte bei Einkäufen gewährt, zusätzliche Weiterbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen oder wie bei der Caritas Möglichkeiten zum Entspannen geboten.

Zudem gilt es als unverzichtbar, ausländische Mitarbeiter anzuwerben. Wobei Caritas und Innere Mission das nur in den Ländern tun, die einen Überschuss an Pflegern haben. BRK-Geschäftsführer Bertram will diese Aufgabe nicht mehr länger den Pflegeheimträgern überlassen. Er weist darauf hin, dass das BRK für die Anwerbung ein staatliches Programm fordert. Geschieht das nicht, so dessen Befürchtung, könnte langfristig ein Drittel der Pflegebedürftigen unterversorgt bleiben.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018
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