Ein Blick in die Archive - SZ-Serie, Folge 19:Gemeindegeschichte im feuchten Keller

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Nicht nur Schriftstücke werden aufgehoben: Das Konterfei von König Ludwig III auf der Amtskette des Bürgermeisters von Aufkirchen. (Foto: Johannes Simon)

Der Raum im Egenhofener Rathaus eignet sich wenig zum Aufbewahren von Schriftstücken. Geschäftsleiter Stefan Pfannes spricht von "einem der schlimmsten Archive im Landkreis".

Von Andreas Ostermeier, Egenhofen

"Das ist eines der schlimmsten Archive im Landkreis." Wenn Stefan Pfannes das sagt, dann heißt das was, denn Pfannes ist Archivpfleger für den westlichen Landkreis. Er hat also einen Überblick wie nur wenige über die Aufbewahrung von Dokumenten in den Gemeinden. Und in der Tat: Das Gemeindearchiv Egenhofen ist in einem dauerfeuchten Keller im Rathaus untergebracht, die Akten lagern dort verpackt in Kisten.

Schulchronik von Egenhofen: Stefan Pfannes mit dem im Jahr 1953 begonnenen Buch. (Foto: Johannes Simon)

Seine eigenen Worte tun Pfannes bestimmt weh, denn täglich geht er ins Rathaus Egenhofen, das im Ortsteil Unterschweinbach liegt. Pfannes arbeitet dort als Leiter der Verwaltung. Sein Büro liegt genau über dem Archivraum, nur ein Stockwerk höher. Um die Akten kümmern kann er sich im Arbeitsalltag aber kaum.

Einige schöne Stücke hat Pfannes, der in Maisach wohnt, zum Gespräch mit dem Reporter mitgebracht, so die älteste Akte mit der Nummerierung A 1. Sie stammt aus dem Jahr 1802 und enthält Unterlagen zur damals in Bayern eingeführten Schulpflicht. Erheblich jünger ist das Feuerwehrbuch aus dem Ortsteil Wenigmünchen, es stammt aus dem Jahr 1898.

Wenig geeignet für die Aufbewahrung von Schriftstücken: der Archivraum im Keller des Rathauses Egenhofen. (Foto: Johannes Simon)

Diese und andere Dokumente hat Pfannes quasi aus dem Archiv "gerettet". Auch nach dem Gespräch wird er sie nicht in den Keller zurückstellen, er hat für sie einen anderen Platz gefunden. Die Gefahr, dass den Büchern aus dem 19. Jahrhundert die Luft im Keller schadet, ist Pfannes zu groß. Zwar läuft dort ein Entfeuchtungsgerät, doch die einmaligen Schriftstücke sind ihm zu wichtig, als dass er sie in dem früheren Abstellraum ablegt.

Folgen der Gebietsreform

Gemeindearchive wie das von Egenhofen sind geprägt durch die Folgen der Gebietsreform. In seinen heutigen Gemeindegrenzen ist Egenhofen in den Siebzigerjahren aus einem Zusammenschluss der namensgebenden Kommune sowie aus Aufkirchen, Unterschweinbach, Oberweikertshofen und etlichen weiteren kleinen Dörfern wie Wenigmünchen und Einöden entstanden.

Das Archiv besteht demnach aus Schriftstücken aus all diesen Orten - oder sollte es tun. Vordem wurden Chroniken und Ortsbücher meist im Schulhaus aufgehoben, einiges auch beim Bürgermeister zu Hause. In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurden die Verwaltungsbestände zusammengetragen. Eine wirkliche Archivierung passierte aber oft nicht. Uns seitdem ist auch wenig passiert. So ist es bis heute schwierig, den Aktenbestand nach bestimmten Themen auszuwerten.

Und das gilt nur für die Archivbestände bis in die Sechzigerjahre. Spätere Dokumente sind laut Pfannes noch überhaupt nicht durchgesehen. "In den Verwaltungen hängt Schriftgut aus 50 Jahren, das bewertet werden müsste", sagt der Rathausgeschäftsführer über das eigene und viele andere Gemeindearchive.

In den Akten finden sich viele handschriftliche Aufzeichnungen, hier zur Schulsituation. (Foto: Johannes Simon)

Etliche Dokumente sind auch beim Umbau oder der Sanierungen von Höfen verschwunden, anderes ist lange Zeit nicht aufgetaucht, weil es hinter einem Bretterverschlag in einem alten Schulhausspeicher lag - wie das Archiv der Gemeinde Aufkirchen. Wieder andere Akten wurden in den Achtzigerjahren weggeworfen, weil sie nicht für wichtig erachtet wurden.

Pfannes erzählt, dass vor allem Rechnungen aus früheren Zeiten nicht aufgehoben wurden. Dabei gab es über Bauten oftmals nur die Abrechnungen mit den Handwerkern als einzige Quelle. Pfannes nennt als Beispiel das Armenhaus der Gemeinde. Pläne dieses Gebäudes sind nicht vorhanden, einzig Rechnungen geben ein wenig Aufschluss über das Haus.

Ein Dokument gewährt einen besonderen Einblick in die Zeit seiner Entstehung. Im Jahr 1953 wurde die Schulchronik von Egenhofen aufgeschrieben. Sie enthält etliche abgeschriebene Einträge aus der alten Chronik. Wer jedoch Nachrichten aus der Nazi-Zeit sucht, wird kaum fündig. Ganze drei magere Einträge gibt es dazu, ansonsten kommt die Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht vor. Das gesellschaftliche Schweigen zur jüngsten Vergangenheit, wie es in den Fünfzigerjahren weit verbreitet war, wird in der Schulchronik deutlich.

Zum Archiv gehören auch Postkarten mit Ansichten der einzelnen Ortsteile. Egenhofen hat sie von der Fürstenfeldbrucker Sammlerin Elisabeth Knape erworben. In Farbe und Schwarz-Weiß ist zu sehen, wie es in den Dörfern einmal ausgesehen hat. Einige sind als Ansichtskarten verschickt worden, die Erlebnisse in Egenhofen, Unterschweinbach oder Aufkirchen sind in Sütterlin-Schrift notiert. Die Karten ersetzen alte Stiche oder Fotos.

Überschaubares Dorf: Ansichtskarte von Egenhofen. (Foto: Johannes Simon)

Am Ausbau des Archivs beteiligen sich die Ortshistoriker vom Arbeitskreis Gemeindegeschichte. Sie geben einmal im Jahr die "Geschichte(n) aus der Gemeinde Egenhofen" heraus. Bürgermeister Martin Obermeier (Neue Liste Egenhofen, NLE) gehört zu den Ortshistorikern, die freilich nicht nur Texte über die Geschichte von Egenhofen und den anderen Ortsteilen verfassen, für die sie stundenlang in Archiven recherchieren. Das "N" sei wichtig, sagt Obermeier. Viele Texte sind eher Geschichten als Geschichte. "Erzähle, was dich interessiert", so laute das Motto der Verfasserinnen und Verfasser der Egenhofener Geschichten.

Science Fiction im blauen Palais

Für das Archiv hat deren Arbeit positive Folgen. So steht im Heft, das dieser Tage herauskommt, ein Artikel über die fünfteilige Science-Fiction-Filmreihe "Das blaue Palais" aus den Siebzigerjahren. Gedreht wurde seinerzeit im Schloss Weyhern. Bei der Recherche zu dem Artikel sind dort laut Obermeier Unterlagen gefunden worden, die nun ins Archiv wandern.

Zuwachs erhält das Archiv auch an Unterlagen zum Ortsteil Oberweikertshofen. Die Dokumente stammen aus dem Kirchenarchiv und sind ebenfalls im Zuge von Nachforschungen für einen Beitrag zu den Ortsgeschichten aufgefunden worden. Etliche Beiträge basierten eben auf Unterlagen, die sich in Kirchenarchiven oder privaten Hinterlassenschaften fänden, sagt Obermeier: "Wir sammeln Sachen, die zu verschwinden drohen."

Freilich nutzen die Ortshistoriker auch das Archiv. Beispiel dafür ist eine Geschichte über die Zusammenlegung der Ortschaften zur Gemeinde Egenhofen in den Siebzigerjahren. Dafür habe man den Bestand aus dem Keller im Rathaus genutzt, sagt der Bürgermeister. Gleiches gilt für eine Geschichte über die kurze Dauer einer Schule in Oberweikertshofen.

Angesprochen auf den Zustand des Kellers macht Obermeier ein wenig Hoffnung. Zwar gebe es momentan keinen anderen Standort für das Archiv, doch beim Neubau eines Rathauses soll auch die Lagerung der Dokumente und Archivalien berücksichtigt werden und das Archiv in einen neuen Raum umziehen.

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