Ornithologie:Die Rückkehr der Märzflöte

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Der Große Brachvogel, der im Ampermoos bereits ausgestorben war, ist wieder da. Wie behutsam man mit ihm umgehen muss, zeigt eine Führung des Landschaftspflegeverbandes

Von Heike A. Batzer, Kottgeisering

Beobachten kann eine mühsame Angelegenheit sein. Vor allem, wenn das zu beobachtende Objekt nicht zuverlässig ist. Wenn man nicht weiß, wo genau es sich aufhält und wann. Ein gutes Fernglas leistet nützliche Dienste und doch sieht man zunächst nur Gras, viel Gras. Er ist nur näher herangezoomt. Sehen möchten die mehr als 40 Interessierten, die sich ins Ampermoos hinter Kottgeisering aufgemacht haben, den Großen Brachvogel. Seinetwegen sind sie gekommen. Die Fachleute, die die Führung leiten, haben den professionelleren Blick und die bessere Ausstattung. Durch die Vergrößerung der Spektive, die sie mitgebracht und auf Stative gestellt haben, entdecken sie bald ein Exemplar in ordentlicher Entfernung. Der Vogel schreitet langsam auf und ab auf der Suche nach Nahrung. Sein Kopf und sein langer, nach unten gekrümmter Schnabel sind gut zu sehen, der übrige grau-braun gefleckte Körper verschwindet im hohen Gras. Mit bloßem Auge ist der Vogel nicht zu erkennen.

Christian Niederbichler und Sebastian Böhm, die beiden Gebietsbetreuer für Ammersee und Ampertal, stellen die Spektive, auf den Brachvogel ein, die Besucher können ihn so in Augenschein nehmen. Zusammen mit den beiden Gebietsbetreuern organisierte der Landschaftspflegeverband Fürstenfeldbruck die Exkursion zu Bayerns "Ureinwohner", wie der Brachvogel und die gleichnamige Kampagne der Landschaftspflegeverbände genannt wird, die "die Aufmerksamkeit auf bestimmte Arten lenken möchte", wie Petra Kotschi, Geschäftsführerin beim Landschaftspflegeverband, zu Beginn erläutert. Denn dem Großen Brachvogel geht es nicht gut. Er steht auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.

Formationsflug am Himmel: Fünf Regenbrachvögel tauchen plötzlich in der Abendsonne über dem Ampermoos auf. (Foto: Batzer)

Es ist als Erfolg zu werten, dass sich in diesem und im vorigen Jahr wieder sieben Brutpaare im Naturschutzgebiet Ampermoos niedergelassen haben. Vier Küken wurden im Vorjahr flügge. Es sei ungewöhnlich, sagt Christian Niederbichler, dass sich der Vogel in einer Gegend, wo er schon ausgestorben war, wieder ansiedelt und offenbar auch stabilisiert. Als typische Wiesenbrüter errichten die Großen Brachvögel ihre Nester in Bodenmulden dort, wo die Vegetation nicht allzu dicht ist. Niederbichler hat ein Brachvogel-Präparat dabei, um den Teilnehmern der Führung den Vogel aus der Nähe zu zeigen. Sebastian Böhm spielt dazu den typischen Triller-Ruf des Vogels von seinem Handy ab. Diese "Märzflöte", erläutert Niederbichler, sei früher als Frühlingsbote in vielen Feuchtwiesen zu hören gewesen.

Anhand von Schaubildern zeigt Böhm, wie sich die Landschaft an der Amper im Laufe der Jahrzehnte zu einem "um viele Strukturelemente ärmeren Lebensraum" entwickelt hat - zum Nachteil von Flora und Fauna. Die Wendungen des Flusses wurden weniger, es entwickelte sich ein stärkeres Gefälle und eine höhere Fließgeschwindigkeit. Der Fluss grub sich tiefer ein, der Grundwasserspiegel fiel, die Landwirtschaft rückte näher heran, das Moos wurde trockener. Damit wurden die Zeiten für den Großen Brachvogel schlechter.

Umso wichtiger war die Wiedervernässung seines Lebensraumes durch eine Sohlschwelle, die vor fünf Jahren in der Amper oberhalb der Grafrather Rassokirche eingelassen wurde. Das Vorhaben war politisch lange umstritten, Landwirte fürchteten um ihre Existenz und Anwohner nasse Keller in ihren Häusern. Irgendwann setzte sich die umweltpolitische Vernunft dann doch durch, und die Sohlrampe konnte gebaut werden. Seither staut sich das Wasser der Amper in die Bäche und Gräben im Moos zurück und führt dort zu einer Erhöhung der Grundwasserstände. Das macht es dem Großen Brachvogel wieder möglich, seinen langen Schnabel wie eine Pinzette zu benutzen und Insekten und Würmer aus dem weicher gewordenen Boden zu ziehen. Über das Spektiv sieht man ihn, wie er mit dem Schnabel ins hohe Gras eintaucht, dann verschwindet fast der ganze Vogel im Grün. Später fliegt er auf, ein zweiter Brachvogel gerät in den Blick.

Wichtig ist, dass er seinen Nachwuchs durchbringt. Als Wiesenbrüter, der drei bis vier Eier auf den Boden legt, werden vor allem Füchse den Küken gefährlich. Deshalb haben Naturschützer Elektrozäune um die Gelege angebracht. Das ist gar nicht so einfach. Erst müssen die Gelege gefunden werden, dann die Helfer ihre Arbeit ziemlich schnell verrichten, die nur möglich ist, wenn die Elternvögel das Nest verlassen. Die Eier dürfen dabei nicht auskühlen. In einem Zehn-Meter-Radius um das Nest seien die Zäune dann angebracht worden, erzählt Niederbichler. Ohne Susanne Hoffmann würde das nicht funktionieren, das betont er auch. Die Grafrather Naturfilmerin und Biologin, die die Brachvögel regelmäßig beobachtet, ist bei der Führung anwesend und mit ihrer braun-grün getarnten Weste ideal angepasst an die Umgebung, obwohl sie heute den Vögeln gar nicht so nah kommen wird. Sie hat ein verlassenes Gelege mit vier gesprenkelten Eiern mitgebracht, damit die Besucher sie anschauen können. "Faszinierend" nennt Niederbichler, wie die Brachvögel ihre Nester im Moos wiederfänden. Der Vogel lande gut hundert Meter vom Gelege entfernt und schleiche sich dann an, um Feinden nicht den Weg zu weisen. Ist das Gelege umzäunt, muss er es anfliegen. Doch der Brachvogel lernt schnell.

Durch die Vergrößerung der Spektive ist die Fauna des Naturschutzgebietes auch für Laien erkennbar. (Foto: Batzer)

Die Teilnehmer der Führung haben sich entlang des Weges am Rand des Ampermooses hinter Kottgeisering aufgestellt. Immer wieder kommen Radfahrer vorbei, manche fragen, was die Gruppe denn hier vorhabe. Auch Hundebesitzer nehmen den Weg ortsauswärts. Einer lässt seinen Hund frei neben seinem Fahrrad laufen. Die Naturschützer weisen ihn freundlich darauf hin, dass hier ein Anleingebot gelte. Ein stöbernder Hund könne für eine kleine Population das Aus sein, warnt Niederbichler. Im Spektiv ist zu sehen, dass sich direkt an der Amper, die das Ampermoos durchfließt, ein Mensch im Schilf niedergelassen hat. Eigentlich gilt in der Brutzeit ein Betretungsverbot. Nicht alle halten sich daran. Auch deshalb gibt es Exkursionen wie diese: Um auf bedrohte Vogelarten aufmerksam machen, um Landwirte für eine wiesenbrüterfreundliche Bewirtschaftung zu sensibilisieren und um Störungen während der Brutzeit zu verringern, heißt es beim Landschaftspflegeverband.

Dass die Gruppe ein paar Brachvögel erspähen kann an diesem Tag, "ist schon Glück", sagt Christian Niederbichler. Durch die Spektive sind noch andere Schätze des Ampermooses zu sehen: ein Braun- und ein Schwarzkehlchen, Wiesenpieper, Goldammermännchen, eine Rohrweihe, die am Waldrand entlang fliegt, zwei Rotmilane am Himmel. Ein Großer Brachvogel fliegt auf, perfekt beleuchtet von der Abendsonne des schönen Frühlingstages. Zum Abschluss wird es fast kitschig, als noch eine Fünferformation über das Ampermoos zieht, die Niederbichler und Böhm als Regenbrachvögel erkennen. Sie sind ein bisschen kleiner als die Großen Brachvögel, leben nicht im Ampermoos, sondern ziehen weiter nach Norden bis in die Tundra. Die meisten Teilnehmer haben sich bereits nach und nach verabschiedet und sehen die Regenbrachvögel nicht mehr. "Die Leute haben nicht so viel Geduld", weiß Niederbichler. Eine Handvoll Besucher ist am Schluss noch übrig.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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