Online Diskussion:Von zulässiger Kritik bis zu grobem Unfug

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Zwei Landtagsabgeordnete der Grünen diskutieren über den Umgang mit den sogenannten Querdenkern

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Der Protest gegen die Corona-Auflagen wird lauter. Zunehmend nutzen Vertreter des rechten Spektrums und Verschwörungstheoretiker die Gelegenheit für einen Auftritt. Dem Thema haben sich nun Gabriele Triebel, Stimmkreisabgeordnete für Fürstenfeldbruck-West, und ihr Kollege im Landtag, Cemal Bozolu, in einer Online-Diskussion gewidmet.

In Olching demonstrieren regelmäßig seit Frühsommer etwa hundert Menschen gegen die Beschränkungen. In Gröbenzell sät die Allgemeinärztin Birgit Hörger, die schon in Olching ihre Thesen verbreitet hat, im Oktober Zweifel an der Gefährlichkeit von Covid-19 - organisiert worden war die Veranstaltung von der Gemeinderätin der UWG Cordula Braun. In Kaufering (Kreis Landsberg am Lech) macht ein Homöopath Schlagzeilen, weil er offenbar ohne medizinische Indikation Atteste für Maskenverweigerer ausgestellt hat und bei einer Demo den Hitlergruß zeigt. Und in der Januarsitzung des Gemeinderats Gröbenzell mündet die in den sozialen Medien geführte Auseinandersetzung des Grünen-Gemeinderats Ingo Priebsch mit Dieter M. Dürr, der im Vorjahr für die UWG kandidiert hatte, in persönliche Beleidigungen. Die Tendenzen zu einer Verrohrung der Sprache und der Gesellschaft sowie das Abdriften nach rechts war nach Meinung vieler Experten bereits vor Ausbruch der Pandemie spürbar. Pandemiebedingt hat sich der Trend verstärkt.

Wie man mit den sogenannten Querdenkern, aber auch mit antisemitischen Protesten rechter Gruppen umgeht, diese Frage haben sich die Grünen-Politiker Gabriele Triebel und Cemal Bozolu gestellt.

"Auf den Demos in ganz Bayern wurden nicht nur die Maßnahmen kritisiert, sondern auch die Krankheit geleugnet", so Triebel, die Sprecherin für Bildung, Religion und Erinnerungskultur ist und Wert legt auf den Unterschied zwischen Kritik und pauschalem Leugnen von Fakten. Die in Bayern ansässige Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern Rias habe in einem Monat im Freistaat 125 Corona-Leugner-Demos gezählt, bei gut einem Drittel kam es zu antisemitischen Vorfällen. Die Landtagsabgeordnete erinnert daran, dass "Krisen immer Schuldige brauchen" und dass dafür in der Vergangenheit ganz häufig jüdische Mitmenschen angeprangert wurden und diese oft genug mit ihrem Leben bezahlen mussten.

Bozoglu berichtet von kruden Geschichten, die von Querdenkern erzählt werden, etwa dass die Reichen kleine Kinder essen, um ihre Jugend zu bewahren oder der Impfstoff einen Mikrochip zur allgemeinen Überwachung enthalte. Der Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus vermeidet das gebräuchliche Wort von Verschwörungstheorien, weil das irreführenderweise eine Nähe zur Wissenschaft impliziere. Er spricht von "Verschwörungserzählungen oder Mythen". "Wissenschaftsskepsis ist auch okay", unterstreicht er. Aber das Leugnen wissenschaftlicher Fakten, wie es die Querdenker tun, macht nach Bozoglus Einschätzung eine konstruktive Auseinandersetzung unmöglich.

Die Einschätzung des Experten deckt sich mit dem, was in der anschließenden Diskussion zur Sprache kommt. Einige Teilnehmer berichten aus dem eigenen Bekanntenkreis: wie da jemand mit einem Mal Mythen anhängt und eine sachliche Auseinandersetzung nicht mehr möglich ist. Oft stammten die betreffenden Personen aus dem Bildungsbürgertum und hätten schon lange einen Hang zur Esoterik, manche seien Impfgegner. Nach Bozoglus Erfahrung gibt es zwei Gruppen bei den Querdenkern: die unbelehrbaren Verschwörungserzählungs-Anhänger, die Fakten leugnen, öffentlich-rechtliche Medien als Lügenpresse abkanzeln und ungeprüft alles glauben, was in ihrer Telegram-Blase gepostet würde. Und andererseits die ängstlichen, die einfach mit der jetzigen Situation schlecht zurechtkommen und berechtigterweise Kritik an einzelnen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie üben. Letztere könnten nach seiner Einschätzung noch mit Fakten erreicht werden. Für Erstere empfiehlt Bozoglu, sie mit gezielten Nachfragen, insbesondere zu ihren Quellen, zu entlarven. Denn nach seiner Erfahrung können die Querdenker - wie im Grunde alle Anhänger von Verschwörungsmythen - keine nachvollziehbaren Fakten liefern. Für Gabriele Triebel lautet das Fazit der Diskussion: "Ich glaube, wir brauchen eine große Bildungsoffensive, was soziale Medien anbelangt", aber auch die allgemeine politische Bildung betreffend.

© SZ vom 26.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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