Olympiaattentat:Der Fahrer

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Rainer Zöller hat als junger Polizist nach dem Massaker auf dem Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst einen überlebenden palästinensischen Terroristen ins Gefängnis gebracht. Die Erinnerung an die Ereignisse vor 40 Jahren quält ihn noch heute

Peter Bierl

Die Scharfschützen eröffnen gegen 23 Uhr das Feuer, die Scheinwerfer gehen an. Mehr als eineinhalb Stunden dauert der Kampf auf dem Rollfeld des Fürstenfeldbrucker Fliegerhorstes in jener Nacht vom 5. auf den 6. September 1972, als die Befreiung der israelischen Geiseln aus den Händen palästinensischer Terroristen scheitert. Am Ende sind sämtliche Geiseln und ein Polizist tot, ein Kollege schwer verletzt. Auch für Rainer Zöller ist diese Nacht die schlimmste seines Lebens.

Der junge Polizist hat als Chauffeur den stellvertretenden Polizeipräsidenten von Oberbayern nach Fürstenfeldbruck gebracht. Vom Tower aus sieht er alles: Die Landung der beiden Hubschrauber mit den Terroristen und den israelischen Sportlern, die Schießerei und die Explosion eines Hubschraubers, die einer der Palästinenser mit einer Handgranate ausgelöst hatte, um sicher zu gehen, dass die darin befindlichen Geiseln tot sind. "Ich habe das ganze Chaos miterlebt", erzählt Zöller, der heute in Puchheim lebt und dort für die CSU im Stadtrat sitzt, "da ist einiges falsch gelaufen". Mehr will er nicht zu den Debatten über den verpatzten Einsatz sagen.

Zöller, Jahrgang 1942, war von 1961 bis 1969 beim Bundesgrenzschutz. In der Ausbildung hat er am Watzmann seine ersten Toten gesehen, abgestürzte Bergsteiger. Vier Wochen vor dem Überfall auf die Israelis hat er geheiratet. Während der Spiele in München hat der Polizist, der im Olympia-Buch von 1972 auf einem Foto mit Schnauzbart zu erkennen ist, zunächst einen leichten Job. Er lotst in weißer Uniformjacke und mit dem Motorrad Prominente von den Hotels ins Olympiastadion, darunter Bundespräsident Walther Scheel und Bundeskanzler Willy Brandt.

Am frühen Morgen des 5. September greifen Terroristen im olympischen Dorf das Quartier der israelischen Mannschaft an. Zwei Sportler werden getötet - einer erliegt seinen Verletzungen, der andere wird bei einem Fluchtversuch erschossen. Im Lauf dieses schrecklichen Tages verzichten die Terroristen auf die Freilassung von Gesinnungsgenossen und wollen nach Kairo ausgeflogen werden. Sie werden mit Hubschraubern zum Fliegerhorst gebracht, wo ein Flugzeug bereitsteht.

Am Abend erhält Zöller den Befehl, den stellvertretenden Polizeipräsidenten zum Fliegerhorst zu fahren. Sie erreichen den Tower, bevor die Maschinen landen. Er hört das Dröhnen der Motoren, sieht die Hubschrauber landen und wird Zeuge des Gefechts und des Massakers an den Israelis. Er hört die Schreie aus dem Nebenraum und sieht den toten Kollegen Anton Fliegerbauer, der dort von einem Querschläger getroffen wurde, in einer Blutlache liegen. Er ist dabei, als der schwerverletzte Polizist vom Rollfeld hereingetragen wird. "Es waren grausige Bilder, ich war geschockt und habe geheult", sagt er heute.

Zöller bekommt den Auftrag, einen der überlebenden Geiselnehmer ins Gefängnis Stadelheim zu transportieren. Der Mann ist nur mit einer Unterhose bekleidet. Zöller fesselt ihn mit Handschellen, ein Kollege setzt sich mit dem Palästinenser auf die Rückbank und Zöller fährt mit dem Zivilfahrzeug und ohne Blaulicht los. Die Öffentlichkeit soll nichts mitbekommen, darum fahren sie erst zum Maisacher Tor des Fliegerhorstes. Doch der Hinterausgang ist zugesperrt.

Also wendet Zöller und fährt zum Haupttor, wo sich Journalisten und Schaulustige drängen. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur DPA macht dort ein Foto, auf dem man Zöller, einen Kollegen in Uniform auf dem Beifahrersitz und einen in Zivil auf dem Rücksitz erkennt, der den Gefangenen am Kopf nach unten drückt. Zöller fährt wie in Trance und ist immer wieder den Tränen nahe. Als er in Stadelheim ankommt, ist es hell.

Später arbeitet Zöller bei der Verkehrspolizei, dann als Unfallfahnder. Seit 1992 ist er Personalrat und bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Bezirk Oberbayern. Bei der Verkehrspolizei erlebt er Unfalltote auf der Autobahn. Besonders der Anblick getöteter Kinder setzt ihm zu. Aber das "absolute Negativ-Highlight meiner Arbeit war dieses Massaker", erzählt er. Psychologische Betreuung gab es damals nicht für Polizisten. Wochenlang konnte Zöller nachts nicht einschlafen, weil die Bilder vom Fliegerhorst immer wiederkehrten. Die Erinnerung verfolgt ihn bis heute.

© SZ vom 11.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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